18 - Hyppolita

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Julian d'Alessandini-Casanera stand seinem Tod Auge in Auge gegenüber. Wie viele Atemzüge blieben ihm noch? Wie viele Wimpernschläge? Wie viele Herzschläge? Julian war schweißgebadet gewesen, noch bevor er die Arena durchquert hatte. Herzschlag um Herzschlag.
Atemzug um Atemzug.

Hyppolita, schrien sie alle. Das Monster war benannt nach der Königin der Amazonen.
Sie wandte sich ihm zu, hart und gerade wie das Metall ihrer Flügel. Kein Wort kam über die ledrigen Lippen, keine Beleidigung und kein Gruß. Mildes Interesse lag in den uralten Augen.
Er bemerkte erst, dass etwas nicht stimmte, als die Menge für einen Moment leiser wurde, fast als hätte man an einem Klavier den Dämpfer eingesetzt.
Als er den Kopf wandte, war die fremde Priesterin da, nur wenige Meter entfernt von Henker und Verurteiltem. Sie hob beide Arme und begann sie langsam zusammenzuführen. Mit jeder Sekunde näherten sich ihre Handflächen einander, unaufhaltsam. Der Lärm der Menschen, das flackernde Licht und das Geräusch von über Fels schabendem Metall verschmolzen zu einem Strudel. Das war das Schlimmste. Die Momente, bevor die Hölle losbrach.
Zentimeter. Millimeter.
Als die Handflächen der Priesterin zusammentrafen, explodierte die Henkerin in einen tödlichen Sturm. Julian hatte kaum noch die Zeit, sein Schwert hochzureißen, bevor sie ihn traf, wie ein Rammbock.

Meterhoch wurde er in die Luft geschleudert, knallte mit voller Wucht auf den Fels. Blendender Schmerz in seinem Rücken. Ächzend kam er auf die Beine, hatte nicht einmal Zeit, die bunten Funken aus seinem Blickfeld zu blinzeln, bevor sie bei ihm war. Er blockte ihre Klinge, aber seine Muskeln und Knochen drohten zu bersten unter ihrer Gewalt. Es war mehr Instinkt als bewusste Reaktion, als er ihren Sturm an Stichen und Hieben parierte. Man buhte ihn aus dafür, dass er sein Leben um ein paar Sekunden verlängerte. Die Gladiatorin ließ ihn entkommen, zog sich nach ihrer ersten Salve zurück und begann mit einem geschwungenen Grinsen im Gesicht auf und ab zu gehen. Julians Kopf dröhnte.

Er klammerte sich an seinen Plan, klammerte sich an jahrelanges Training und seinen blanken Überlebensinstinkt.
Angst. Herzschlag. Atemzug.

Schon wieder war sie da. Ein Ellenbogen traf ihn so hart in die Schulter, dass er fast zu Boden gegangen wäre. Eine Flügelspitze riss seine linke Armschiene fort. Das hier war ein Fiebertraum. Das konnte nicht real sein.
Sie zog sich zurück. Griff an.
Sein Können brachte ihm nichts. Wenn überhaupt waren es die Schlägereien, die ihm nützten und nicht die Fechtstunden.
Ducken. Ducken. Ausweichen.
Er stolperte nach hinten, entging um Haaresbreite einem tödlichen Hieb.

Sie riss einen tiefe Wunde in seinen Oberschenkel und die Menge begann zu kreischen vor Jubel, während der Schmerz ihn fast in die Knie zwang. Sie hatte sich zurückgezogen, ging schon wieder auf und ab, wie eine Katze, die mit einer Maus spielte. Bläulich schimmerndes, dunkles Blut sickerte durch seine Finger, tropfte auf den Stein. Es tat höllisch weh. Aber sie hatte die Oberschenkelarterie verfehlt. Absichtlich.

Er wusste, dass er tot war. Dass sie nur mit ihm spielte, um die Menge zufrieden zu stellen. Dass sie ihn ausbluten ließ. Und doch kämpfte er um jede Sekunde, als ob er noch eine Chance hätte. Verzweiflung.
Fluchend, spuckend, schreiend, warf er sich in den Kampf.
Er schaffte es, einem Flügel auszuweichen, strauchelte, aber blieb aufrecht. Ihre Stärke brachte ihn zum Erbeben. Er tauchte wieder ab, schaffte es, ihre Klinge zu parieren. Nahe wie Geliebte.
Sie war direkt in seine Falle gelaufen. Julian schnellte unter ihrem linken Flügel hindurch, knapp über den Blut besudelten Boden der Arena.
Sie war stärker, ja, aber auch schwerer als er.
Nur Momente langsamer.

Er riss das Schwert der Priesterin nach oben, ließ es mit seiner ganzen Kraft niedersausen. Sie drehte sich, schon wieder halb bei ihm, aber es war zu spät. Er traf.
Direkt oberhalb ihres Flügels.
Er tanzte zurück, keuchend und euphorisch, während sie von ihm weg taumelte. Er hatte es geschafft. Das würde sie zumindest ein bisschen schwächen.

Doch als das Wesen sich zu ihm umwandte, war ihr Blick fast mitleidig.
Fassungslos, blutbeschmiert und panisch sah er sie an.
Sie hatte ihn treffen lassen.
Sie wollte nur Spannung schaffen. Darum ging es hier.
Spannung.
Das war kein Kampf, es war ein Tanz. Sie könnte ihn jeden Moment umbringen, wenn sie wollte.

Sein Bein brannte wie Feuer, sein Rücken schmerzte mörderisch, seine Schulter war vermutlich ausgekugelt. Er wusste nicht, ob es Schweiß war, oder ob er zu weinen begonnen hatte.

„Dann lass uns tanzen", krächzte er.

Sie senkte den Kopf, spannte die Flügel in einer Kaskade aus Lichtreflexen auf und kam über ihn wie ein Sturm.
Sie tanzten. Tanzten. Tanzten.
Bis er nur noch auf einem Auge sah und sein Körper in Flammen stand.
Julian brüllte auf, als sie ihm die Brust aufriss.
Das Mitleid im Blick der Henkerin war so ehrlich, dass es weh tat.

„Auch Prinzen werden zu Asche", flüsterte sie, als sie ihn auf die Knie schickte.

Smokehands (Skythief pt. 2)Where stories live. Discover now