Kapitel 44

137 8 0
                                    

In zwei Tagen ging es los. In zwei Tagen fängt das Certamen Disciplina II an und ich bin nur noch Matsch. Mein Hirn hat sich verflüssigt bei der Hitze. Für mich sollte es eigentlich ans Kofferpacken gehen, aber das übernahmen mit Freuden meine Freundinnen. Seit geschlagenen drei Stunden diskutierten Ellie und Adriane über meinen Kofferinhalt und bei diesen lautstarken Diskussionen spannten sich meine Nerven noch weiter an. Ständig grübelte ich über den Wettkampf, denn ich wusste nicht, ob ich gut genug wäre oder ob ich es überhaupt verdient hatte dort dran teilzunehmen. War meine Leistung denn überhaupt gut genug um gegen die anderen zu bestehen? Ich wusste es nicht und konnte mir auch nichts drauf reimen und das machte mich fertig. Zum Glück lenkten mich die absurden Debatten meiner Freunde etwas ab! „Nein, das müssen wir mitnehmen... Das ist zu altbacken... Oh ja und das auch!" Nur wenige meiner Kleidungsstücke überstanden die anspruchsvolle Kontrolle und das wenigste aus meinem Kleiderschrank fand den Weg in meinen Koffer. Ich hatte ja vorgeschlagen nur Sportkleidung und Bücher mitzunehmen, aber darauf erntete ich nur empörte Blicke und bekam nicht mal mehr einen blöden Satz zu hören! Wenn sie nicht die Bücher reinpacken, dann schmuggel ich sie später eben unter! Ich schaute nur blöd in der Gegend rum und spielte mit Liv und einem ihrer Kuscheltiere. „Nein! Für eine Afterparty braucht sie was Kurzes!" „Nein, sie braucht etwas mit tiefen Ausschnitt!" „Nein!" „Nein!" „Was sagst du dazu, Pippa?" richtete sich Adriane aufgebracht an mich und stemmte, wie auch Ellie, ihre Arme in die Hüfte. „Hm?" ich schreckte von meinem Spiel auf und wendete meine Aufmerksamkeit den beiden Streithähnen zu. Wütend blickten mich jetzt beide an und ein gefährliches Funkeln schlich sich in beider Augen. „Ähm, was ist los?" fragte ich irritiert und Adriane schmiss nur frustriert die Arme in die Luft bevor sie wieder mit Ellie anfing zu diskutieren. Leise und darauf bedacht keinen Lärm zu machen oder aufzufallen zog ich mich aus meiner Lesenische raus und tappte mit Liv an meiner Seite zur Tür, wobei ich sie an ihrer neuen Leine befestigte und mit einem kurzen „Ich bin dann mal draußen!" verabschiedete. Ich spazierte mit Liv durch den Wald, übte mit ihr das Apportieren und lernte ihr noch weitere Befehle, sodass ihre Ausbildung zum Killerwolf voranschritt. „Na Liv, was meinst du? Wird das eine gute Reise oder werden wir versagen?" Ein Heulen konnte von ihr vernommen werden und ich spürte es tief in meinem Herzen, dass sie mich umsorgte und mir Mut schenkte. Wir verstanden uns blind und ohne Worte. Genau das war es, was ich in all den Büchern gelesen habe oder was man uns im Unterricht beibrachte, diese starke Verbindung zwischen den Seelenverwandten. Ich konnte ihre Gefühle erspüren und sie die meinen. Ich liebte dieses kleine, stürmische Wesen das meinem Leben wieder etwas lebhaftes einhauchte und ich wusste, dass sie auf mich warten und sich um mich sorgen würde. Unmittelbar leiteten mich meine Füße auf den Weg in die Stadt, raus aus dem Wald und ich genoss die Sonnenstrahlen die auf mein Haupt fielen. Auch Liv schien Freude an unserem Spaziergang zu haben, schließlich jagte sie tollend durch den Wald und beschnupperte alles. In den Seitenstraßen des Tempelplatzes säumten sich die Leute und man hörte Marktgeschrei, die das frische Obst und Gemüse oder auch den Fisch anpriesen.

Ich stand in der Mitte des Platzes, umsäumt von den altgriechischen Gebäuden und den vielen Arcani und saugte all diese Lebenskraft in mich ein. Gerade in diesem einfachen, bedeutungslosen Moment dachte ich über die letzten Monate nach. Was alles passiert ist seit dem Tod meiner Tante. So vieles hat sich verändert und so vieles ist neu, doch ich habe hier zu mir gefunden und meine Freunde, Alex, Philipp und auch Liv haben dazu viel beigetragen. Ich hätte noch Stunden hier in Erinnerungen schwelgen können, doch Liv wollte nicht mehr nur herumsitzen und zog mich mit sich an der Leine zu dem schlichten Tempel. Wie beim letzten Mal überkam mich das Gefühl der Demut und sofort sank ich vor der großen Statur auf die Knie. Ich betrachtete sie genauer und bewunderte die Römersandalen und die knielange Toga, die sie trug. Obwohl ihre Augen aus Mamor gemeißelt waren, steckten sie so voller Leben und ich dachte sogar ihre Augen würden mich verflogen und mustern. Liv legte sich ohne Aufforderung neben mich auf den Boden und bettete ihren Kopf auf den Boden. An sich wusste ich nicht wirklich was ich jetzt machen sollte, aber in unserem Fach Götterlehre, sagte uns der Lehrer, dass man mit den Göttern auch reden könnte. Man konnte sie auch um Dinge bitten, aber man sollte im Gegenzug auch Opfergaben darlegen. Also probieren wir das Ganze mal aus. „Hallo. Ähm, ich bin Pippa. Ich habe sowas noch nie gemacht, aber ich habe gerade nichts vor und würde es gerne mal ausprobieren. Also reden." Fing ich an, fühlte mich zwar ein wenig dumm, aber konnte jetzt ja auch nichts dran ändern. „Ähm, sie sind Artemis und ehrlich gesagt finde ich sie toll. Sie haben einen schönen Bogen und auch Köcher. Wissen sie, ich bin auch Bogenschützin. Da ist dieser Wettkampf und ich nehme daran teil, weiß aber nicht, ob ich gut genug bin..." Ich erzählte dieser Statue viel und irgendwie war es auch lösend, aber nicht befriedigend. Keiner hat bisher meine Zweifel verstanden, aber es war schon mal erlösender es überhaupt auszusprechen. „Wissen sie, das ist total irrsinnig, aber ich habe das Gefühl sie schon mal irgendwo gesehen zu haben und obwohl sie eine Statue sind, habe ich das Gefühl, dass sie direkt vor mir stehen und mich hören können." Meinte ich und lachte verrückt auf. Das war wirklich mehr als komisch. Ich schaute auf in das makellose Gesicht der Frau und dachte, ihr Kopf hätte sich bewegt. Ich blinzelte überrascht und rieb mir nochmals über die Augen, da ich mich sicherlich versah. „Ähm, es tut mir Leid, das ich keine Opfergabe bei mir habe, aber nächstes Mal bringe ich ihnen etwas mit." Versprach ich und griff mir die Leine um mit Liv hinaus zu gehen. Ich blickte mich noch einmal kurz um und schon wieder bildete ich mir ein, ihr Kopf hätte sich dankbar geneigt. Ich schüttelte den Kopf und lief die Treppen des Tempels hinab, ohne mich umzusehen.

Die Chroniken der Arcani - das GeheimnisWhere stories live. Discover now