VL. Loderndes Feuer

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Arya wagte nicht, zu hoffen. Sie spürte, dass ihr Körper in Bewegung war, doch sie konnte weder sehen noch hören.

Es war aber auf jeden Fall besser als die Folter. Sie musste keine weiteren Verletzungen erdulden. Schmerz kam nur von den schon vorhandenen Wunden.

Noch immer wusste sie nicht, was wirklich passiert war, aber Arya konnte nichts gegen diesen Funken Hoffnung tun, der weiter in ihr glühte.

Es war so, so unwahrscheinlich, dass sie endlich gerettet worden war, das sagte ihr Kopf, aber ihre verzweifelte Seele wollte einfach daran glauben.

Die Dunkelheit, die immer weiter in Arya vorgedrungen war, existierte noch immer, aber sie war zu einem kleinen Klumpen zusammengeschrumpft, der sich nur manchmal vergrößerte.

Zum ersten Mal seit so langer Zeit konnte Arya wieder an etwas anderes denken, als an Schmerz, Folter oder Durza.

Natürlich hatte sie noch Schmerzen, aber langsam traten wieder andere Erinnerungen hervor. Erinnerungen, die Arya für sie immer verloren glaubte.

Erinnerungen an Sonnenschein, das Geräusch von Lachen oder das Rauschen des Windes. Eine leise Musik, die Arya schon ihr Leben lang begleitet hatte, aber seit ihrem Aufenthalt in den Verliesen verstummt war, setzte wieder ein.

Arya merkte nicht, wann die melodischen Töne in ihrem Geist wieder ihre Klänge verströmen, irgendwann waren sie einfach da.

Die Musik hatte sich verändert. Sie war nicht mehr so unbeschwert wie früher, immer wieder tönten dunkle Akkorde durch die hohen Läufe.

Schnell verstand Arya, was sie vorher noch nie begriffen hatte. Die Musik in ihrem Geist spiegelte ihre Persönlichkeit, ihr Leben wieder.

Früher, mit Fäolin, war Aryas Leben unbeschwert und einfach gewesen, ohne große Probleme. Dann kam das Drachenei und die Sorgen mit ihrer Mutter dazu, und die Musik hatte sich ein klein wenig verändert.

Es war Arya damals schon aufgefallen, doch sie hatte sich nichts weiter dabei gedacht. Aber jetzt, nachdem sie all die Folter und Qualen erlebt hatte, würde ihr Leben nie wieder so sein, wie es vorher war, ebenso wie die Musik.

Die Zeit in den Kerkern hatte ihre Persönlichkeit für immer verändert, sie war jetzt ... reifer. Ja, das war das richtige Wort.

Das Leid hatte sie geprägt, wie eine alte Frau, die den Krieg überlebt hatte und nun ihre Familie, Freunde und ihren Halt im Leben verloren hatte.

Auch Arya hatte Freunde verloren. Fäolin. Familie verloren. Islanzadi. Halt im Leben verloren. Sie war kurzzeitig fast tot gewesen.

Und noch immer war ihr Überleben noch sehr lange nicht gesichert. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie gerade nicht auf dem Weg nach Uru'baên zum König war?

Nicht sehr hoch. Eigentlich kaum vorhanden. Und trotzdem war da dieser Funke Hoffnung in Arya. Womit sie wieder beim Anfang war.

Doch trotz dieses Funkens spürte Arya noch etwas anderes in ihrem Körper. Den Tod. Die Wunden waren noch immer nicht geschlossen, außerdem konnte sie keine Nahrung zu sich nehmen.

Zumindest Letzteres wurde nach einigen Tagen ihrer Ungewissheit behoben; Arya spürte, wie ein wenig Wasser in ihren Körper eingeflößt wurde.

Das war noch immer kein Zeichen, ob sie nun noch immer in den Händen des Imperiums war, oder ob ihr unbekannter Retter sich um sie kümmerte.

Beziehungsweise, so unbekannt war der Retter - wenn er denn wirklich ein solcher war - ja gar nicht. Zweimal hatte Arya ihn gespürt, einmal gesehen.

Was hieß gesehen, kurz hatte sie ihn in der Tür stehen sehen können, mit überraschtem und angstvollem Gesichtsausdruck, bevor sie sich dem Funken Hoffnung hingegeben hatte.

Aber selbst in diesem, kleinen, kurzen Augenblick hatte sich sein Antlitz in ihr Gedächtnis eingebrannt. Seine blauen Augen, sein schlanker Körper.

Arya verlor mal wieder jegliches Zeitgefühl. Vielleicht waren Wochen vergangen, vielleicht Tage oder Jahre. Nur das bleierne Gefühl in ihrem Körper konnte sie nicht los werden. Das Gefühl des Todes.

Irgendwann geschah etwas, mit dem Arya in keinem Fall gerechnet hatte. Das löste in Arya ein Gefühl aus, wie sie es so intensiv noch nie erlebt hatte.

Sie hatte so lange in jeder Sekunde Schmerz gespürt, dass sie sich wie neugeboren fühlte, als ihre Wunden plötzlich geheilt wurden. Mit Magie.

Und jetzt war es Arya egal, ob sie auf dem Weg in die Hauptstadt des Imperiums oder in die Freiheit war, alles, was sie wollte, war, nie wieder auf dieses Gefühl verzichten zu müssen.

So lange hatte sie kein Zucken machen können, ohne ein schmerzhaftes Stechen zu spüren, dass sie es jetzt kaum glauben konnte.

Eine Wunde nach der anderen heilte zusammen und verbannte einen weiteren Teil des Schmerzes. Und dann war auch der letzte Kratzer geschlossen.

Der kleine Funke Hoffnung hatte sich in diesen Stunden in eine züngelnde Flamme verwandelt, die in Aryas Seele flackerte und von keinem Wasser der Welt gelöscht werden konnte.

Natürlich konnten die Wunden auch nur geheilt worden sein, um wieder mehr Platz zum Foltern zu haben, oder damit sie für den König hergerichtet war.

Trotzdem. Die Flamme brannte weiter.

Dann geschah so lange nichts mehr, dass Arya schon dachte, sie hätte sich alles nur eingebildet. Die Flamme sprach jedoch andere Sprache.

Arya war alleine mit ihren Gedanken, ihrer Ungewissheit. Niemand hinderte sie am Denken oder Befürchten, aber auch niemand am Hoffen oder Ausmalen.

Der Tod breitete sich weiter in ihr aus, und sie konnte nichts dagegen tun. Bleierne Schwere befiel sie. Aber noch konnte diese nicht in ihr Herz eindringen.

Grund dafür war mal wieder diese kleine, helle Flamme in Aryas Innerem.

Dann geschah wieder etwas, einfach ohne Vorwarnung. Etwas, das die Flamme wieder zu einem fast erloschenen Funken werden ließ.

Ein Geist tastete sich zu Arya vor, versuchte Kontakt aufzunehmen. Ihre gesammelte Kraft setzte sie nun gnadenlos ein.

Dieser Geist, es konnte nur Galbatorix sein. Mit scharfen Dolchen stach sie auf den Geist ein, der sich erschrocken zurückzog.

Jetzt ging Arya in den Angriff über, und versuchte ihrerseits, in den unbekannten Geist einzudringen. Dieser hatte sich zu einem kleinen Klumpen gedrängt und konzentrierte sich darauf, Arya abzuwehren.

Unbarmherzig machte Arya weiter, ohne auf die Gefühle des Anderen zu achten. Doch plötzlich hörte sie Worte.

Worte, die einen Satz bildeten. Einen Satz, wie Arya ihn nie geglaubt hatte, so zu hören.

,,Eka ai Fricai un Shur'tugal.''

Und ohne Aryas Zutun wuchs der Funken wieder, weit über die Flamme hinaus, bis zu einem lodernden Feuer, das Aryas Inneres in Regung brachte.

Ich bin ein Freund und Drachenreiter.

Das Feuer der Hoffnung züngelte, loderte, brannte wie nie zuvor.

Eragon - Aryas GefangenschaftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt