Kapitel 1

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Ich hatte den Tod meiner Mutter noch immer nicht ganz verdaut, ebenso wie die Tatsache, warum es ausgerechnet sie hatte treffen müssen. Warum hatte es sie erwischt und nicht den Mann, der über meinen Ranzen stolperte? Ich wusste, dass ich es mir nicht wünschen sollte, dass jemand anderes für einen von mir geliebten Mensch starb, aber trotzdem tat ich es.

Nach vier Jahren, fragte ich mich noch immer, ob ich sie hätte warnen können, wenn ich meinen Mund aufbekommen hätte. Aber ich hatte es nicht. Nicht ein Wort war mir über die Lippen gekommen, während ich mit ansah, wie meine Mutter starb. 

Ich war nicht Religiös, aber ich tröstete mich dennoch mit dem Gedanken, dass sie es nun besser hatte.

Ich wandte meinen Blick zu ihrem Grab, dessen Grabstein zu meiner linken Seite aufragte. Der Stein war in einem einfachem Grau gehalten, mit vielen kleinen Schmucksteine, die in ihn eingelassen worden waren. Das Ganze wirkte, als wären es Sterne, die in der Nacht ihr rettendes Licht ausstrahlten. Es hatte etwas schönes und tröstliches an sich. 

In dem Stein war ebenfalls das Geburts- und Sterbedatum, ebenso wie der Name meiner Mutter eingraviert. Falia Collins, geborene Wilson. Ich liebte ihren Namen, weil er außergewöhnlich war und etwas Feenhaftes an sich hatte.

Jeden Sonntag kam ich auf den Friedhof, um ihr alle meine Sorgen zu erzählen, aber auch die lustigsten und banalsten Dinge, die mir so einfielen. Das alles hier los zu werden war besser als es jedes Tagebuch oder jeder Seelsorger hätte sein können. Außerdem hatte man hier seine Ruhe und keine Autos oder lärmende Menschen. Sobald ich durch das eiserne Tor trat, hielt für mich die Zeit einfach an.

Dennoch rückten die Zeiger meiner Armbanduhr weiter fort und drängten mich zum Aufbruch. Seufzend stand ich auf und klopfte mir das Gras und die Erde von der Hose und meinem T-Shirt. Noch ein letztes mal schaute ich ihren Namen an und versicherte mich, dass alles ordentlich war, bevor ich mich auf den Kiesweg begab.

Gerade als ich einen Fuß auf die kleinen Steine gesetzt hatte, sodass sie unter meinen Füßen knirschten, blitzte etwas für eine Millisekunde auf. Kurz darauf materialisierte sich ein paar Meter vor mir eine ovale Scheibe, die in der Luft flimmerte.

Was um alles in der Welt war das? Ein blöder Scherz von irgendeiner Fernsehsendung? Ich hatte nicht mal viel Zeit über dieses komische flimmernde Ding nachzudenken, denn auf einmal stürzte ein Junge aus diesem Teil und nur eine Sekunde später verschwand es.

Hatte ich Halluzinationen? War ich verrückt? Doch selbst nachdem ich mich in den Arm gekniffen hatte, war der Junge noch da. Eigentlich sah er ganz normal aus mit seiner Jeans, dem Shirt und dem Rucksack, welchen er auf dem Rücken trug. Die schwarzen Haare waren kurz, aber noch lang genug, um leicht vom Wind bewegt zu werden. Mehr Details konnte ich nicht erkennen, auch wenn ich mich noch so sehr anstrengte. 

Da ich mich noch keinen Millimeter von der Stelle bewegt hatte, schien der Typ mich nicht wahrzunehmen, sondern schlenderte ganz gelassen Richtung Ausgang. Ich war froh darüber, dass er mich nicht bemerkt hatte. Wer wusste schon, was er dann mit mir angestellt hätte? Oder war das doch alles nur Einbildung gewesen? 

Ich schüttelte den Kopf und beschloss dieses...Ereignis erstmal in die hinterste Ecke meines Gehirns zu verbannen. Danach verließ ich schnell den Friedhof und schwang mich auf mein Fahrrad, um noch rechtzeitig zum Abendessen zu kommen. Zum Glück wehte ein frischer Wind, der die Hitze etwas abschwächte, sodass man noch ohne so stark zu schwitzen draußen sein konnte.

Zuhause schloss ich mit Hilfe des Schlüssels die Haustür auf und zog meine Schuhe aus, die ich in das Schuhregal stellte. Meinen Schlüssel hängte ich noch schnell an den Haken, bevor ich mich in die Küche begab. Antonio war gerade dabei, den Tisch zu decken und schaute auf, als ich zur Tür herein kam.

Die Tochter der SterneWhere stories live. Discover now