Kapitel 2: Die Gäste

44 7 16
                                    

Es war noch angenehm kühl, als Violetta gegen neun Uhr die Stufen
zum Pool hinunterging. Der Pool war wirklich ein großer Vorteil
dieses Writing Retreats, das musste man sagen, denn Violetta
hasste es, nichts zu tun, und noch vor dem Frühstück 20 Bahnen zu
schwimmen, war für sie eine sehr reizvolle Vorstellung.
Sie warf ihr Handtuch auf eine der vielen aquafarbenen Liegen und ließ sich ins um diese Uhrzeit noch relativ kalte Wasser gleiten. Auch wenn das Schwimmbad kein Infinity Pool war, so hatte sie trotzdem allein aufgrund der erhöhten Lage des Hauses einen Blick auf die Campagna, die unter der gerade erst aufsteigenden Sonne noch von langen Schatten geprägt war.
Mit schnellen Zügen ließ sie sich durchs Wasser gleiten, an dessen
Temperatur sie sich schnell gewöhnt hatte.
Eine gewisse Spannung füllte sie aus, trotz der angenehmen
Aktivität, denn es lagen noch ganze zwei Wochen vor ihr; zwei
Wochen, in denen sie irgendwie eine Krimi Kurzgeschichte zusammen
basteln müsste, deren Niveau keinen zu enormen Kontrast zu Größen
wie Dave Holland oder Henry Redfern bilden dürfte.
Das Wasser glitzerte blau und silbern unter den frühen
Sonnenstrahlen.
Was könnte sie schreiben? Ein Thema hatte Dave nicht vorgegeben,
das war ein bisschen vage, oder nicht? Und sie könnte sich auch
nicht mit dieser Laura oder sonst jemandem darüber unterhalten,
denn das hatte Dave Holland ja verboten.
Zwei einhalb Bahnen hatte sie bis jetzt, oder war sie schon drei
einhalb geschwommen? Nein, es waren zwei einhalb.
Was war schon eine Kurzgeschichte? Das waren wie viele Wörter?
3000? 10 000? Das dürfte sie hinkriegen.
Sie stieß sich mit Schwung vom Beckenrand ab und glitt durch das
glimmernde Wasser. Es war so blau, dass es fast schon zu intensiv
war.
Was für eine Krimigeschichte könnte sie denn schreiben? Ob die
anderen schon Ideen hatten? Aber was ihr mehr Sorgen bereitete
war, dass Dave Holland gar nichts von irgendwelchen Aktivitäten
gesagt hatte - sie würden doch nicht wirklich ganze zwei Wochen
nur in Villa und Umgebung verbringen, oder? Sie konnte jetzt schon
mit Sicherheit sagen, dass sie das nicht aushalten würde.
Sie begann die sechste Bahn und schob das Wasser mit den Armen
energisch zur Seite.
Nein, Dave Holland müsste mehr geplant haben, was wäre er denn
sonst für ein Gastgeber? Es stand bestimmt der ein oder andere
mehrstündige Besuch irgendeines historischen Gebäudes oder einer
schönen Kirche auf dem Plan, da würde sie mal nachfragen, wenn sie
Dave sah...
Die Sonne stand schon ein wenig höher über der Landschaft, so dass
sie Violetta in der einen Richtung ein wenig blendete. Umso
schneller wendete sie am Beckenrand und schwamm der Sonne
entgegengesetzt, beendete die siebte Bahn, und bekam Gesellschaft:
„Guten Morgen!" Henry Redfern hatte sein Handtuch auf der Liege
neben ihrer abgelegt und stand in Badehose am Beckenrand, „Auch
schon so früh dabei?"
„Seit neun, ja", beantwortete sie seine Frage, während er sich
direkt vom Beckenrand aus ins Wasser schwang, anstatt die paar
Schritte bis zur Treppe zu nehmen.
„Dann werde ich ja Gesellschaft haben." Er lächelte sie verschmitzt an, mit weißen Zähnen, die eindeutig besser nach California passten als in irgendein Kaff südlich von London, wo er eigentlich herkam (wobei - die Zähne hatte er sich wahrscheinlich auch in Hollywood machen lassen).
Henry war ein ziemlich guter Schwimmer, stellte Violetta schnell fest, denn er war fast so schnell wie sie und sie war eine sehr gute Schwimmerin.
„Ich versuche, jeden Tag mindestens eine halbe Stunde zu schwimmen", erklärte er, obwohl sie ihr Kompliment an seine Schwimmkünste nicht laut ausgesprochen hatte, „Hilft gegen Rückenprobleme."
Oh ja, wenn man eine Villa mit Pool oder zwei besitzt, ist es natürlich kein Problem, jeden Tag eine halbe Stunde zu schwimmen, dachte Violetta, aber antwortete nur: „Ja, schwimmen ist gesund." Ein gewisser Stolz erfüllte sie, da sie so schnell war, wie er, und das, obwohl sie sich kein bisschen anstrengte.
„Das Haus ist wirklich toll, oder? Da hat Dave sich schon ein tolles Fleckchen ausgesucht."
„Definitiv", stimmte sie zu und überlegte, was für ein Fleckchen sie sich aussuchen würde, wenn die Gelegenheit kommen würde. Auch eine Villa? Oder etwas weniger protziges? Scaletti hatte eine Hacienda in Südamerika vorgeschlagen, aber wollte man in Südamerika wohnen? Sie hielt mehr von dem Plan mit der tropischen Insel. Aber noch hatte sie sowieso nicht die Mittel und eine Kurzgeschichte müsste sie auch noch schreiben.
„Und, schon Ideen für den Wettbewerb?"
Violetta schüttelte den Kopf. „Noch nicht, aber es war ja auch erst gestern Abend, dass wir von der Existenz des Wettbewerbs erfahren haben. Wie sieht's bei dir aus?"
Da war wieder das gewinnende Lächeln. „Ich habe ein oder zwei Ideen, aber nichts konkretes. Und die bleiben natürlich geheim." Er zwinkerte und wechselte dann abrupt das Thema: „Lust auf ein Wettschwimmen?"
„Na klar", antwortete sie wahrheitsgemäß, und sobald sie den Beckenrand erreicht hatten und wendeten, rief sie „Los!", bevor Henry „1, 2, 3" sagen konnte und stürzte sich nach vorne ins Wasser.
Sie bewegte die Arme, als wären sie von einem Motor betrieben, spürte das Wasser auf einmal als viel schwerer und viel mehr, kickte mit den Füßen, so dass die glitzernde blaue Oberfläche unruhig und voller kleiner Wellen wurde. Sie sah Henrys Gesicht neben sich auftauchen. Er war also doch so schnell wie sie?
Vom Ehrgeiz gepackt schwang sie die Arme noch schneller nach vorne, so dass sie nicht mehr nur die Wassermassen spürte, sondern auch ihre eigene Lunge, als würde sie rennen, und Henry war

A murder mysteryWhere stories live. Discover now