Kapitel 6: Die Wolken

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Violettas Perspektive:

Das Wetter war schlechter als die ganzen letzten Tage über, und auch, wenn es immer noch warm war, so wachte Violetta mit Blick
auf einen Himmel voller grau-weißer Wolken auf.
Sie seufzte genervt. Bei solch einem Wetter würden sie bestimmt keinen längeren Ausflug irgendwohin machen, es sei denn, es gab
vielleicht ein Kino in der Nähe oder so was.
Trotzdem beschloss sie, das morgendliche Schwimmen nicht auszulassen, denn kalt war es ja nicht, und den Pool wollte sie bis zum Vollsten ausnutzen.
Nachdem sie kurz im (um diese Uhrzeit noch leeren) Bad gewesen war und sich einen Bikini unter einem kurzen orangen Kleid angezogen hatte, holte sie ihr Handtuch aus ihrem Zimmer und wollte sich auf den Weg nach unten machen.
Sie überlegte, Laura zu fragen, ob sie auch schon wach war, und mitkommen würde, denn sie mochte Laura wirklich gerne, aber nachdem sie einen Moment lang vor ihrer Tür gestanden hatte, ohne zu klopfen, entschied sie sich dagegen.
Der Frühstücksraum war noch ziemlich leer, bis auf Michael, der schon da war, und natürlich die junge Köchin, Gina.
„Guten Morgen", Michael entdeckte sie durch das Fenster, während sie vorbeiging, und sie winkte ihm zu, aber auf ein Gespräch hatte
sie keine große Lust.
Am Pool war niemand, und sie selbst musste auch zugeben, dass heute wirklich kein ideales Wetter zum Schwimmen war, denn nachdem
sie ihr Kleid ausgezogen hatte war ihr auf einmal ziemlich kalt.
Die Sonne war zwar schon aufgegangen, aber sie war nur als weiß- gelblicher Schein hinter den Wolken zu sehen, weshalb nicht viel Wärme unten ankam.
Einen Moment lang überlegte Violetta, wieder reinzugehen, und einfach später am Tag schwimmen zu gehen, aber ihr gefiel der Gedanke nicht, dass sie dann wieder mit allen möglichen Leuten reden müsste, und höchst wahrscheinlich auch noch so nervige Fragen beantworten wie „Wie weit bist du bis jetzt mit deiner Kurzgeschichte?". Mit einer Antwort konnte sie an dieser Front nämlich noch nicht dienen, denn sie wusste einfach nicht, wie sie
anfangen sollte. Am liebsten würde sie gar nicht erst anfangen.
Sich überwindend ließ sie zuerst ihre Füße mit dem Wasser Bekanntschaft machen, und war enttäuscht darüber, dass das Schwimmbad sich in all den heißen Tagen nicht mehr aufgewärmt
hatte. Sie entschied, dass es zwar kälter war, als all die letzten Tage, aber trotzdem nicht allzu kalt, also zählte sie im Kopf bis drei und ließ sich auf drei ins Wasser fallen. Es war...
erfrischend, auf jeden Fall.
Der Gedanke, dass sie sich nach kurzer Zeit an die Temperatur gewöhnen würde musste sie als Lüge an sich selbst aufdecken, als sie drei Bahnen geschwommen war und ihr immer noch am ganzen Körper kalt war. Ein Vergnügen war es heute definitiv nicht. Sie wollte gerade aus dem Wasser kommen, als Adam die Stufen runter auf die Terrasse kam.
„Guten Morgen", begrüßte er sie, „Geht es dir wieder gut?"
Eine Sekunde lang musste sie überlegen, was er damit meinte, bis die Erinnerung an den verschwendeten gestrigen Tag und den Ausflug, zu dem sie nicht mitgekommen war, wieder einfiel.
Sie lächelte Adam an.
„Ja, zum Glück. Ich hatte nur ein bisschen Kopfschmerzen."
Wenn sie so auf einer Stelle blieb war das Wasser noch kälter, bemerkte sie.
„Da bin ich ja froh."
Sie nickte, da es nichts weiteres dazu zu sagen gab, aber weil Adam nicht vom Beckenrand wegging und sie ihm nicht die Möglichkeit geben wollte, ein Gespräch über das beliebte Thema „Wie weit bist du mit deiner Geschichte?" zu beginnen, fragte sie nach dem Ausflug zur Burg.
„Oh ja, es war auf jeden Fall interessant! Aber nicht allzu spektakulär, du hast nicht so viel verpasst", berichtete er und ließ eine Hand geistesabwesend durchs Wasser gleiten.
„Wow, das ist ganz schön kalt", stellte er fest.
Ach ne.
„Ja, selbst in Italien ist eben nicht immer gutes Wetter. Ich wollte eigentlich eh gerade rauskommen."
Sie machte Anstalten, zur Treppe am Ende des Pools zu schwimmen und Adam ging nicht am Beckenrand neben ihr her, wie sie es fast vermutet hätte, sondern verabschiedete sich mit den Worten „Wir sehen uns dann beim Frühstück."
Während sie rausging winkte sie ihm noch einmal zu, wobei sie sich bewusst war, dass er sie dabei ansah, als wäre sie Ursula Andress in Dr. No.
„Ja, bis gleich."
Nach einem kurzen Gespräch mit Gina war Laura jedoch die erste, mit der sie beim Frühstück redete, als sie eine halbe Stunde später das luxuriöse Esszimmer der Hollands betrat, da Laura Violetta direkt beim Buffet abfing.
„Na, wie geht's dir heute?", fragte sie, während sie sich einige dünn geschnittene Orangenscheiben auf einen Teller hievte, „Alles
wieder gut?"
Violetta war es nicht gewöhnt, dass sich direkt so viele Leute
nach ihrem Wohlbefinden erkundigten, obwohl sie doch nur gesagt hatte, dass sie Kopfschmerzen hatte.
Bei Laura fühlte sich es jedoch anders an als bei Adam, denn während sie bei Adam echte Besorgnis um ihre Gesundheit gehört hatte, so fixierte Laura sie nun mit ihren seegrünen Augen, als würde sie auf eine Lüge warten.
„Ja, alles wieder gut", versicherte sie ihr mit einem Lächeln, von dem sie hoffte, dass es echt wirkte.
Laura nickte nur und setzte sich mit ihrem Teller Orangen zurück an den Tisch. Engländer waren schon merkwürdig, dachte Violetta.
Oder vielleicht war einfach nur Laura merkwürdig.
Immerhin zog sie kein Aufsehen von weiteren Schriftstellern auf sich, da Dave begann, von irgendwelchen Plänen zu reden, am Abend
nach Rimini zu fahren und dort essen zu gehen.
Sie hörte nur mit halbem Ohr zu, obwohl sie heute ja wirklich keinen überzeugenden Grund hatte, nicht mitzukommen, aber besonderes Interesse hatte sie trotzdem nicht.
Als ihr Handy mit einer Nachricht von Scaletti vibrierte, ignorierte sie diese und konzentrierte sich darauf, eines von jeder Sorte der Blätterteigteilchen auf ihren Teller zu tun, die
Gina gebacken hatte. Gut, dass es Gina gab.

A murder mysteryWhere stories live. Discover now