Prolog

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Carolines Sicht:
In meinem dicken Wintermantel eingepackt und mit dem Gesicht im Schal versteckt, laufe ich durch die geschmückten Straßen. Wir haben gerade mal Anfang November und überall sieht man schon Weihnachtsmärkte und Lichterketten. Schrecklich. Einfach nur schrecklich. Ihr müsst euch das so wie in einem dieser kitschigen Weihnachtsfilme vorstellen. Ich laufe durch die geschmückten Straßen, alle sind gut gelaunt und im Hintergrund läuft ein Weihnachtslied. Es fehlt nur noch der Schnee, aber irgendwo reicht's dann ja auch mal.
Ihr dürft mich wirklich nicht falsch verstehen, ich hab Weihnachten immer geliebt und bis vor einem Jahr war ich auch die erste, die Weihnachtslieder gesungen hat.
Aber da wusste ich eben noch nicht, dass ich vor meinem 18. Geburtstag sterben würde. Dass ich nie meinen Führerschein machen oder legal feiern gehen kann. Vor einem Jahr, da ging ich noch zum HipHop, sang im Schulchor und hab mich auf einen Marathon vorbereitet. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich beim Training fast verreckt wär und man Lungenkrebs bei mir festgestellt hatte. Zack! Da war alles vorbei. Ohne Schal und Winterjacke durfte ich von Oktober bis April das Haus nicht verlassen. Sport ohne Arzt war tabu! Und Singen? Das lief noch gut. Bis heute... Nach meinem enormen Anfall von Schnappatmung wurde ich nach Hause geschickt. Das war's dann mit meinem Leben.
Warum ich Weihnachten nicht mag, versteht ihr trotzdem nicht? Nun gut, dann erklär ich euch das nochmal: mein einziger Wunsch ist es gesund zu werden. Aber das fällt aus. Also wozu überhaupt feiern? Meine Eltern stecken mich sowieso mit dem ersten Frieren ins Bett und lassen mich nicht mehr mit Freunden raus. Ich werde zuhause festgehalten, um zu überleben. Dass mein Leben dabei immer mehr in den Hintergrund rückt, interessiert keinen.
Aber zurück zum Hier und Jetzt. Ich komme endlich beim Kino an und gehe rein. Drinnen wartet schon meine beste Freundin auf mich.
„Brr, ist das kalt", zische ich und reibe meine Hände aneinander.
Leni - Helene - hält sofort einen Taschenwärmer hoch: „Willst du?"
„Du bist meine Lebensretterin", grinse ich und schnappe mir den Wärmer.
„Lass uns in den Saal gehen, ich hab die Tickets schon gekauft", Leni deutet zu besagtem Saal und ich nicke einverstanden.
Popcorn essen wir eh nie und alles andere ist viel zu teuer, selbst in unserem Dorfkino. Wir gehen in den Saal und sofort spüre ich die ersten mitleidigen Blicke auf mir. Ich hasse es.
„Sieh mal, unsere Stammplätze sind frei!", Leni zieht mich in die letzte Reihe, in die Mitte und setzt sich.
Auch ich setze mich neben sie und warte, dass das Licht ausgeht und die wenigen Leute, die hier sitzen, sich wieder auf die Leinwand konzentrieren. Wenn man in einem kleinen Dorf lebt, geht alles schnell rum. Kein Geheimnis bleibt sicher. Dass ich Krebs hab, ging schneller rum als ein Lauffeuer. Schneller als damals die Sache mit Kathi, die sich auf einen vierzigjährigen Snob eingelassen hatte. Hat schließlich keiner sonst Krebs hier. War klar, dass es ausgeplaudert wird. Dafür kassiere ich nun seit einem halben Jahr täglich mitleidige Blicke...

The Destiny in your eyesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt