Kapitel 8 ~ Der Sturm

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Lurri beugte sich über die Waschschüssel und stieß zwischen jedem Würgen Flüche und Verwünschungen aus. Die Fensterläden klatschten laut gegen die Hausmauer und das Tosen des Sturms übertönte nahezu ihr Gezeter. Lurri wünschten den Männern im Allgemeinen und Elija im Besonderen alle Krankheiten und Gebrechen an den Hals, die ihr einfielen. Selbst Pinna hatte sich in den Stall zurückgezogen.

Voller Wut und Trauer hatte sich Lurri am Abend zuvor auf ihr Bett geworfen, hatte abwechselnd geweint und geschrien. Nun war sie heiser, aber der Zorn und das gebrochene Herz waren immer noch da. Sie quälten Lurri und folterten ihre Seele.

Sie konnte es nicht erklären, doch als sie in Elijas markantes Gesicht geblickt hatte, war ihr Herz aus dem Takt geraten. In ihrem Bauch hatte ein Feuerwerk getobt und ihre Knie waren weich geworden.

Wunderbar, mein Körper erinnert sich an ihn – nur mein Verstand weigert sich, dachte Lurri und versuchte ruhig zu atmen.

Noch in der Nacht war Sina an ihre Tür getreten und hatte sich nach ihr erkundigt.

„Morgen", hatte Lurri gerufen.

Und jetzt ist Morgen, dachte sie, als sie sich das Gesicht mit einem kühlen Tuch abwischte. Sie machte sich nicht die Mühe sich zu verkleiden. Stattdessen streife sie ein schlichtes Kleid über und verließ das Zimmer. Im Nähzimmer schließlich fand sie ihre Verwandte, wie sie mit einer Tasse Tee einige Dokumente durchging. Als Lurri eintrat, hob Sina den Kopf.

„Guten Morgen Lurri, du siehst abscheulich aus." Lurri schnaubte und setzte sich zu Sina. Sie goss sich ebenfalls eine Tasse ein, doch als sie über den heißen Tee pustete, flogen die Tropfen in alle Richtungen. Frustriert stöhnte Lurri und barg das Gesicht in Händen.

„Schätzchen, du musst dich kontrollieren. Ich darf raten, den Sturm draußen haben wir auch dir zu verdanken?"

Lurri nickte, sah aber nicht auf. „Ich kann nicht. Ich habe es die ganze Nacht versucht, doch es geht nicht."

Sina legte die Papiere beiseite und berührte Lurri an der Schulter. „Lurri, aber niemand sonst kann es stoppen. Du weißt, kein anderer Sylphe kann deinen Wind aufhalten." Lurri nickte wieder. „Magst du mir nicht erzählen, warum du gestern so plötzlich verschwunden bist? Und warum du so wütend bist?"

Ein fast animalisches Brummen löste sich aus Lurris Kehle – augenblicklich legte der Orkan draußen an Stärke zu. Sie hob den Blick und sah ihre Großcousine mit vor Wut flackernden Augen an. „Ich habe den Vater meines Kindes gefunden."

„Das ist doch gut, oder?", fragte Sina lächelnd. Doch ihre fröhliche Mine entglitt ihr, als Lurri immer noch finster dreinschaute. „Nicht?"

„Nein", brummte die Luftnymphe und versuchte ihr Glück erneut mit dem Tee. Dieses Mal würde sie warten, bis er kalt genug war. „Er ist leider auch derjenige, der mir mein Gedächtnis genommen hat. Kannst du dir das vorstellen? Er hat seinen Spaß mit mir und dann schiebt er mich auf diese perfide Weise ab." Lurri verschränkte die Arme vor der Brust und sah aus dem Fenster. Die Bäume und Büsche in dem kleinen Garten bogen sich unter dem starken Wind.

„Und wer ist es nun?"

„Elija, sein Name ist Elija. Er ist ein Wassernymph." S

ina schlug laut auf den Tisch, wobei Lurri zusammenzuckte. „Ein Wassernymph sagst du? Dann ist es sicher Hakons Elija. Es ist sein Nachfolger für den Rat."

Lurri blieb der Mund offenstehen. „Sicher?"

Sina nickte bestimmt. „Dann hat dieser Hakon aber einen feinen Kerl für den Rat ausgesucht. Was meinst du was der König dazu sagt, wenn er erfährt das ein perverser Mistkerl in den Rat aufgenommen werden soll?"

Lurri schnaubte und sah auf ihre Tasse hinunter. Sie fand die Regelung, dass ein Ratssitz nicht durch Vererbung weitergegeben wurde, eigentlich sehr sinnvoll. So konnte jedes Ratsmitglied einen passenden Nachfolger auswählen und vorbereiten. Natürlich musste er demselben Element angehören, aber das war auch schon das einzige Kriterium. Ansonsten war Herkunft, Vermögen oder Aussehen vollkommen egal.

Ein leichtes Beben unter sich riss Lurri aus ihren Gedanken. Sie sah rüber zu Sina und bemerkte, dass diese die Zähne fest zusammen gebissen hatte. „Lurri, wir werden ihn in Stücke reißen."

Ein weiteres kleines Beben erschütterte das Haus. Ehe Sina den Mund wieder öffnete, ging die Tür des Zimmers auf und Tullo trat ein.

Er musterte beide Frauen aus zusammengekniffenen Augen. „Meine Damen, was hat dieser Aufruhr der Elemente zu bedeuten? Bei dem Wind draußen war ich mir nicht sicher, aber sobald ein Erdbeben diese Stadt erschüttert weiß ich, an wen ich mich richten muss."

Sina machte eine wegwerfende Handbewegung. „Bisher habe ich ja noch nichts kaputt gemacht. Aber du könntest Lurri nach dem Grund fragen, weswegen Erde und Luft in Unruhe geraten sind."

Tullo richtete den Blick seiner grauen Augen auf Lurri und hob fragend eine Augenbraue. „Bei meinem ersten Besuch hier scheine ich eine Affäre mit Elija gehabt zu haben. Ergo ist er der Vater meines Kindes. Und er war es, der mir mein Gedächtnis nahm." Einige Augenblicke herrschte Stille. Tullo stand reglos da und schien durch Lurri hindurch zu sehen.

„Also...", fing er an, brach aber dann wieder ab. Er musterte Lurri abermals vom Scheitel bis zu Sohle. „Lurri, der Orkan da draußen muss aufhören."

„Sie sagt aber, dass sie es nicht stoppen kann. Ihre Emotionen sind zu stark, als dass sie sie kontrollieren könnte." Sina sah zu Lurri, welche nickte. „Wunderbar, dann bringe ich dich jetzt zum Tempel. Die Priesterschaft wird dir helfen. Komm mit."

Wie geheißen erhob sich Lurri. „Und zu den anderen Dingen hast du nichts zu sagen Tullo?", fragte Sina ihren Mann. Tullo drehte sich auf der Schwelle nochmals um. „Ich entscheide über gar nicht, ehe ich nicht beide Seiten gehört habe." Sina zuckte mit den Schultern und widmete sich wieder ihren Papieren. „Viel Spaß im Tempel Lurri."

Lurri - Die Nymphen von Mirus (2)Where stories live. Discover now