Kapitel 11.

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Nico

„Bye Jungs" verabschiedet sich Kayla zwinkernd, bevor sie vor uns das Gebäude verlässt. Ihre neuen roten Haare glänzen im Herbstlicht. Sie hat sich schliesslich dafür entschieden ihre Haare mit diesem Henna zu färben und dann erst später radikal abzurasieren.

„Beni, bis heute Abend!", trällert sie noch und verschwindet Richtung Veloständer.

„Bis heute!", ruft mein Kumpel ihr nach und ich grinse ihn mit vielsagendem Blick an.

„Es ist nicht so wie du denkst. Wir arbeiten zusammen an einem Kunstprojekt", verteidigt sich Beni hastig, als er mein Grinsen sieht.

„Hör schon auf zu grinsen", murrt er und boxt mir gegen die Schultern.

„So ein Kunstprojekt braucht bestimmt viel Zeit. Viele Stunden die ihr also gemeinsam verbringen könnt...kann also viel passieren", erkläre ich mit neutraler Stimme und mein Grinsen wird nur noch breiter, als ich Bennis angepisster Gesichtsausdruck sehe.

„Ja ja, träum weiter Brand. Ich muss noch in die Theatergruppe, also lass mich da durch", schnaubt er mit verärgerter Miene und ich lasse ihn lachend passieren.
Er schenkt mir einen gespielt finsteren Blick bevor er sich auf den Weg Richtung Aula macht.

„Du kannst glauben was du willst, aber ich sag' dir Pippi Langstrumpf steht auf dich", posaune ich ihm noch hinter her, bevor ich mich selbst auf den Heimweg mache.
Benni zeigt mir nur seinen Mittelfinger ohne sich zu mir umzudrehen. Dann verschwindet er im Hauptgebäude.

Ich setzte meine Kopfhörer auf, öffne eine zufällige Spotify Playlist und drücke auf shuffle.
Ich hätte den Bus nehmen können, aber ich gehe lieber zu Fuss. Heute ist schönes Wetter, der Winter ist noch nicht richtig hereingebrochen. Ich laufe ultra langsam, damit ich nicht all zu schnell zu Hause sein muss.
Ich hasse Donnerstage. Emily arbeitet an Donnerstagen nie, was bedeutet sie ist die ganze Zeit zu Hause. Donnerstage sind also so was wie meine persönlichen Montage.

Schliesslich bin ich dann doch schneller zu Hause als mir lieb ist und ich öffne möglichst leise die Tür, um vielleicht doch unbemerkt in mein Zimmer zu gelangen.

Aber kaum habe ich die Tür geöffnet, blickt mir Leon erwartungsvoll entgegen. Er wirkt, als hätte er jemanden erwartet. Vermutlich nicht mich.

Trotzdem lässt er mich nicht gleich durch und ich stöhne genervt auf.

„Ich hab' dir heute Morgen schon gratuliert, was erwartest du von mir?" , frage ich genervt und Leon grinst hinterhältig.
Okay, er freut sich, dass er Geburtstag hat, aber da ist noch etwas, dass ihn mehr freut. Und ich könnte schwören, dass dieses Etwas mit mir zu tun hat.
Und das dieses Etwas mich eher weniger freuen wird.

„Mom, erwartet dich im Wohnzimmer. Ich glaub es geht um ...naja du weisst schon, um deine Leistungsunfähigkeit und deine Intelligenzfreiheit", lässt er auch schon die Bombe platzen und sein beschissenes Grinsen wird immer breiter. Na also. Er gibt sich nicht einmal Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen.

Meine Hände ballen sich langsam zu Fäusten.
Aber ich habe keine Lust mich länger mit Leon abzugeben, weswegen ich ihn anremple, damit er mich durch lässt.
Frustriert trotte ich Richtung Wohnzimmer. Am besten ich bring es gleich hinter mich.
In dem Moment klingelt es an der Haustür.

„Hey, Babe", höre ich Leon sagen und wundere mich schon, seit wann er Nora Babe nennt, als ich ein mir nur all zu bekanntes Kichern wahr nehme. Ich muss mich umdrehen, um mich zu vergewissern, dass ich meinen Ohren trauen kann.
Aber dort steht tatsächlich Jessica. Und die beiden scheinen wieder zusammen zu sein, nach dem innigen Kuss zu urteilen, mit welchem sie sich jetzt begrüssen.
Hat Leon sich von Nora getrennt? Davon habe ich nichts mitbekommen. Aber es war eh nur eine Frage der Zeit, bis er Jessica wieder in die Arme läuft. Oder umgekehrt, sie ihm wieder in die Arme läuft.

Aber ich habe ehrlich gesagt im Moment grössere Probleme. Und eines davon hat mich gerade entdeckt. Emily stolziert auf mich zu und wedelt heftig mit einem Zettel in der Luft herum.

„Nicholas, da bist du ja endlich. Hast auch lange genug gebraucht. Dein Vater und ich sind uns nun einig, dass du noch vor Weihnachten auf dieses Internat wechseln wirst!"
Sie ist bei mir angekommen und drückt mir nun den Zettel in die Hand.

Internat für schwer-erziehbare und lernschwache Jugendliche.

Nicht cool, Bro.

Als ich die Überschrift gelesen habe, mustere ich meine Stiefmutter ungläubig.
„Meine Noten sind gut genug, damit ich den Übertritt schaffe", erkläre ich wahrheitsgetreu und möglichst sachlich, doch das interessiert Emily scheinbar nicht im geringsten.
Ich versuche ruhig zu bleiben, doch innerlich koche ich gerade vor Wut.

„Du wirst hier unterschreiben, ob es dir passt oder nicht", befiehlt sie und ihre Stimme nimmt schon diesen hysterischen Unterton an, welchen sie so oft bei mir anschlägt.

„Hallo Familie was gib- was ist denn hier los?", unterbricht sich mein Vater selbst, als er das Wohnzimmer betritt und unsere Gesichter und Emily's Zeigefinger, der drohend auf mich deutet, sieht.

Dein Sohn weigert sich unsere Entscheidung zu akzeptieren und ist wieder einmal frech geworden!"
Was zum Henker? In welchem Paralleluniversum war sie denn eben gerade? Wann war ich denn bitteschön frech geworden?

Dad stellt seufzend seine Aktentasche auf den Couch-Tisch.
„Nicholas, hör zu. Das Internat ist nur zu deinem Besten, weil wir wissen, dass dir das Lernen so schwerfällt. Es fördert Jugendliche wie dich- „

„Jugendliche wie mich?", ich mache einen Schritt zurück, um vor Emily's beschissenem Zeigefinger auszuweichen.
„Du meinst durch Affären gezeugte Kinder, die möglicherweise etwas ungewollt waren? Die man deswegen nicht mehr im Haus haben will, weil sie dem Ruf schaden könnten?", werfe ich meinem Vater an den Kopf.

Ich weiss, dass er an allem weniger Schuld trägt, als Emily. Er glaubt und macht nur schlichtweg einfach alles was sie sagt. Und trotzdem kann ich es nicht länger mit anhören.

Ich hätte nicht gedacht, dass er sich auch dieses Mal auf Emily's Seite stellt. Er muss doch sehen, dass meine Noten in Ordnung sind, dass ich kein Problem mit dem Lernen habe und es nur darum geht, mich aus dieser Familie zu ekeln. Weil ich der Sohn einer anderen Frau bin und Emily das nicht in den Kram passt.

Aber er sieht es nicht. Er sieht nur seine Arbeit und Emily, als seine liebe und warmherzige Frau die natürlich nur das Beste für die Kinder will. Das war schon immer so.

„Wag es nicht, so mit deinem Vater zu reden", droht Emily jetzt und kommt einen Schritt auf mich zu. Automatisch mache ich einen Schritt zurück.

„Du weisst nicht was du sagst. Wir wollen doch nur das Beste für dich. Überleg es dir" , meint Dad, rauft sich die grauen Haare und sieht mich mit einem beinahe bettelnden Blick an.

Überleg es dir. Als ob ich dabei auch nur irgendein Mitspracherecht hätte. Emily ist schiess egal, dass ich volljährig bin. Irgendwie würde sie es trotzdem schaffen, mich so bald wie möglich aus dem Haus zu haben. Das weiss sie so gut wie ich.

Es hat keinen Sinn, mit Dad zu diskutieren, wenn Emily im Raum ist. Da kann ich genau so gut eine Wand anschreien.
Eine aus Panzerglas.

Das Blatt zerknittert in meiner Faust und ich lasse es fallen, als ich auf dem Absatz kehrt mache und einfach abhaue.
Ohne auf die Rufe der beiden Erwachsenen zu hören, verlasse ich das Wohnzimmer und beeile mich, das Haus hinter mir zu lassen. Emily und meinen Vater hinter mir zu lassen.
All den Scheiss hinter mir zu lassen.

Scheint mir im Moment die einzige Lösung zu sein.

Zwei Sterne am NachthimmelWhere stories live. Discover now