Kapitel 29.

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Nico

Die Kapuze möglichst tief ins Gesicht gezogen verlasse ich die Kantine, durchquere mit grossen Schritten den Flur und stosse das Haupttor auf. Kalte Luft strömt mir entgegen und kühlt mich ab. Auf dem Schulhof ist in dieser Jahreszeit nicht viel los, es ist bereits zu kalt um draussen zu essen.

Nur zwei Mädchen aus der untersten Stufe schauen mich verstört an, als ich sie beinahe über den Haufen renne.

Ohne zurück zu blicken oder mich zu entschuldigen laufe über den Schulhof zu meinem Wagen. Das ich heute das Auto genommen habe, grenzt beinahe an ein Wunder. Vielleicht hatte ich eine Vorahnung was den heutigen Mittag betrifft.

Erst als ich im Auto sitze, kann ich durchatmen. Frustriert und verdammt noch mal wütend über mich selbst boxe ich einige Male gegen das Lenkrad, ehe ich mich frustriert seufzend zurück in den Sitz lehne. Stöhnend reibe ich mein schmerzendes Handgelenk. Am liebsten hätte ich meinen Kopf gleich auch noch gegen das Ding geschlagen.

Verdammt mies.

Verdammt mies habe ich mich gegenüber Nora verhalten.
Sie kann schliesslich auch nichts dafür, dass ich so ein Scheisser bin und mich tatsächlich von meinem Bruder erpressen lasse.

Gestern habe ich mir vorgenommen mich gegenüber Nora möglichst normal zu verhalten. Aber als sie vorhin in der Kantine wie aus dem nichts plötzlich auftauchte, schrillten bei mir die Alarmglocke.
Ich habe genau gesehen, wie Leon uns beobachtet hat. Wie ein Adler auf der Lauer, der nur darauf wartet runter auf seine Beute zu stürzen und sie in Einzelstücke zu zerfetzen.

Wenn er Dad und Emily etwas von den Pillen erzählt, bin ich am Arsch. Und vermutlich auch binnen von Sekunden auf diesem beschissenen Internat. Dann würde ich keine Galgenfrist bis Weihnachten bekommen, da bin ich mir ziemlich sicher.
Und das wäre das Schlimmste, was überhaupt passieren könnte.

Entschlossen starte ich jetzt den Wagen und fahre los. Es ist nicht das erste mal, dass ich mich während der offiziellen Schulzeit einfach so verpisse, aber dieses Mal fühlt es sich das erste mal schlecht an. Ich fühle mich schlecht und habe Angst, was Nora wohl jetzt von mir denkt. Dieses Mal sind es nicht die Gerüchte von Leon oder anderen, sondern ich selbst der meinen Ruf zerstört hat.

Leon hat sich ihr gegenüber schon aufgeführt wie ein Arschloch. Es ihm nachzutun war das aller letzte was ich wollte.

Vielleicht bin ich ihm doch ähnlicher als gedacht. Ich nehme lieber weiterhin meine dämlichen Schlaftabletten, als mich gegen ihn zu stellen. Echt erbärmlich.

Es ist Nachmittag, als ich mein Ziel erreiche. Die lange Fahrt hat mich tatsächlich etwas beruhigt. Ich bleibe noch kurz im Wagen sitzen und öffne das Handschuhfach. Erleichtert entdecke ich die kleine weisse Verpackung, die mir diese ganze Scheiss-Situation eingebrockt hat. Ohne zu zögern stopfe ich sie in die Tasche meines Hoodies und verlasse den Wagen.

Meine Beine laufen los, ohne dass ich es ihnen befehlen muss. Es ist kalt draussen, viel zu kalt, um nur einen Hoodie über meinem Shirt zu tragen, aber das juckt mich ihm Moment nicht wirklich. Es ist, als wäre ich gegen die Kälte abgestumpft. Sie prallt einfach an meinem Körper ab.
Ich jogge ein wenig über die Dünen und versuche mich innerlich zu beruhigen. Ich merke gar nicht, dass ich schneller werde und schon bald erreiche ich, die mir so gut bekannte Stelle.

Ich bleibe stehen, um eine Verschnaufpause zu machen. Mein Blick schweift über die vereisten Felder, die schwarzen Tannen und das eisklare Wasser des Sees. Ein Schauer geht durch meine Glieder. Die Welt ist kalt. Eiskalt.

Plötzlich überkommt mich eine Welle der Panik, oder vielmehr der Verzweiflung. Ich habe das Gefühl, dass alles über mir zusammen bricht. Alles, was ich in letzter Zeit so mühsam zu verdrängen versucht hatte.
Wieder einmal habe ich mich einfach aus dem Staub gemacht, gedacht, ich könnte von all meinen Problemen davon laufen. Aber eigentlich sollte ich genau wissen, dass sie mich schlussendlich doch wieder einholen werden.
Meine Augen brennen und ich ringe keuchend  nach Luft. Ich muss mich nach vorne beugen und mit den Ellbogen auf den Knien abstützen, um mein Gleichgewicht nicht zu verlieren. Hastig taste ich nach der Schachtel in meiner Pullovertasche. Das einzige, was mir jetzt helfen kann.

Mit von Tränen verschwommener Sicht öffne ich ungeschickt die Verpackung und lasse einige Tabletten auf meine Hand fallen.

Ohne sie abzuzählen, schlucke ich die weissen Pillen runter.

I'm sorry.

xoxo theworldadventurer

Zwei Sterne am NachthimmelWhere stories live. Discover now