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Auf der Tatsache beruhend, dass ich meine ersten 2 Wecker nicht gehört hatte, rannte ich morgens wie angeschossen durchs Bad. Alles, was unwichtig war, ließ ich weg. Ich riss irgendwas an Klamotten aus dem Schrank, beließ es bei Abdeckzeug und Wimperntusche und schüttete mir den heißen Kaffee regelrecht in den Rachen. Es brannte wie Feuer, aber ich hatte einfach keine Zeit mehr, denn der Bus kam in 10 Minuten und ich stand noch immer neben der Kaffeemaschine.

Ich war echt angepisst. Lena hatte mir gegen 3 Uhr geschrieben, dass sie mit Übelkeit zu Hause bleiben würde und so nicht fahren konnte. Das wiederum hatte ich aber nur mitbekommen, da ich gegen 3 immer noch wach im Bett lag und ausgerechnet heute war mein Auto zur Inspektion. Zu viel ging in meinem Kopf rum, was mich von friedlichem Schlaf abhielt oder mich zumindest beruhigen würde. Liz, Ronnie, Liz, Louisas Klausur, ach ja und Liz natürlich. Es war zum kotzen. Warum musste man immer dann fühlen, wenn fühlen so überhaupt nicht in die Lebenslage passte? Bescheuert.

Fuchsteufelswild nahm ich den roten Mantel von meiner Mutter vom Kleiderbügel und schlüpfte in mein altes Paar rote Lackschuhe. Es schüttete wie aus Eimern, als ich vor die Tür trat. "Mist. So eine Scheise." fluchte ich. Ohne Schirm, Mütze und Schal rannte ich den elend langen Bürgersteig von meiner Haustür zur Haltestelle. Wenn es kommt, dann kommts richtig!

Auf den letzten Metern überholte mich der Bus, den ich gerade so rechtzeitig zum Einsteigen noch erreichen konnte und ließ mich sacknass auf einen der Sitze fallen. Mir war heiß und schlecht vom Rennen. Ich war es einfach nicht mehr gewohnt. Mir war nach heulen zu Mute. Doch ich tat es nicht. Nichts war so schlimm, dass man heulen musste. Das hier erst recht nicht.
Keuchend schloss ich die Augen. "Fuck." War alles was ich zu stande brachte und blinselte die aufkommenden Tränen weg, die unter den Regentropfen eh nicht auszumachen gewesen wären.
Den Kopf Richtung Scheibe gedreht, starrte ich in die morgengraue Kälte der Schnellstraße. Die Fahrt würde, dank der Haltestellen, doppelt so lange dauern, wie die Fahrt mit Lena und wäre auch nur halb so unterhaltsam. Denn ihr morgentlicher Enthusiasmus war zum niederknien komisch und wenigstens eine kleine Aufheiterung, die ich heute getrost vergessen konnte. Das einzig Gute war, dass ich mich meinen melancholischen Gedanken um Liz' gestrigen Abgang hingeben konnte, ohne mit irgendwem auch nur reden zu müssen und ich konnte der Herbstsonne beim Aufgehen zu sehen.

"Wie sie is nich da? Und wann machen wir endlich die scheis Hausdinger fertig? So ein Mist!" Leonie schlug mit ihrer linken Hand neben den Vertretungsplan an die Wand. "Das sieht ihr überhaupt nicht ähnlich. Sie plädiert doch sonst immer so auf Pünktlichkeit." Ihrem Schlag setzte sie einen Tritt nach, der einen kleinen grauen Fleck an der weißen Wand hinterließ. "Fr. Geißner da ich weiß, dass sie diese Wand nicht reinigen werden, bitte ich dringendst darum, dass sie sie auch nicht beschmutzen!" Herr Hönig sah mit verschränkten Armen über seine kleine schmale Brille und wirkte damit noch mehr wie ein fieser Mathelehrer, als er eh schon war. Ich musste schmunzeln. "Sry. Kommt nicht mehr vor." Sie setzte ein Fakelächeln auf und zog mich mit in Richtung Gestaltung.

"Frau Jansen ist krank und ich habe nebenbei schon 2 andere Klassen, da noch jemand ausgefallen ist. Ihr seid heute auf euch gestellt. Wo ihr euer Material findet, wisst ihr. Ich komme ab und an zur Kontrolle und für Fragen." Mehr sagte Frau Meyer nicht und verschwand aus dem Raum.
Ich ließ mich auf meinen Stuhl fallen. Liz war bestimmt einiges, aber bestimmt nicht krank. Sie war nie krank. Nie.
Ich sah aus dem Fenster, an dem sich kleine Kristalle gebildet hatten. Die Nacht war kalt gewesen und ich war im jetzigen Moment, nachdem ich 4 Std Unterricht damit vergeudet hatte an Liz zu denken, nicht mehr fähig,  irgendwie irgendwas zu machen.
"Johanna mir geht's nicht gut. Ich laufe zum Zug. Schreib mir, was ihr geschafft habt, ich bin eh mit den Zeichnungen fertig." Ohne auf eine Antwort zu warten, erhob ich mich aus meinem Kristallkoma, riss meinen roten Mantel vom Stuhl und schmiss mir meinen Rucksack über die Schulter.
"Ä ja, ok gute Besserung." Hörte ich noch Johanna flüstern, als ich die Treppe in einem Affenzahn hinunter sauste.

Ihr Weg zu DirWo Geschichten leben. Entdecke jetzt