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Die Zeit verging wie im Flug. Liz und ich sahen uns unter der Woche im Unterricht oder ab und an in den Pausen, in denen ich bei ihr im Arbeitsraum vorbei sah und wir uns kurz unterhielten. In dieser Zeit wurde mir immer deutlicher bewusst, dass wir zwar erste Komplikationen überwunden hatten und wir beinah eine solide, aber 'geheime' Beziehung führten, wir aber auch anderseits noch Meilen von einem ausgeglichenen Leben, in dem ich bei ihr und sie in meinem Lebenslauf auftauchen würde, entfernt waren.
Ein 'uns' existierte nur bedingt in gewissen Grenzen, denn in erster Linie war sie Ronnies Frau, Mutter von 2 Kindern und meine Lehrerin. So sehr ich mich auch anstrengte, die Zukunft für uns war in Nebel gehüllt und obwohl ich das wusste, machte es mir doch mehr zu schaffen, als ich je zugeben wollte. Ich musste mich auf die Momente konzentrieren, die wir schon erlebt hatten oder auf die, von denen ich wusste, dass sie auf jeden Fall noch kommen würden. Ich konnte nicht genug von Liz kriegen. Sie war wie der Mittelpunkt meines Universums und dennoch tat mir zuweilen etwas Abstand einfach gut.

Mein Leben hatte sich in den 2 Wochen bis zum geplanten Samstagskaffee wieder einigermaßen eingependelt. Ich unternahm viel mit Tanya, besuchte Lena und telefonierte mit Jasmin. Ich war ihr immernoch dankbar, dass sie mir einfach zugehört hatte und da war, als ich eine Schulter zum Ausheulen und vor allem eine gute Freundin brauchte, jemanden der nicht zu sehr in das Geschehen mit einbezogen war, mich aber doch durch und durch verstand.
Samstag gegen 3 stand ich aber trotzdem vor meinem Kleiderschrank und brauchte mindestens 10 Minuten, um was einigermaßen Schickes zum Anziehen zu finden. Schlussendlich entschied ich mich für ein schlichtes weißes Tshirt und eine hellgraue Caprihose, dazu schwarze Lackschuhe und meinen neuen Mantel in dunkellila. Ich drehte mich im Garderobenspiegel noch mehrere Male hin und her. Alles sollte perfekt aussehen, wenn ich schon den gesamten Abend Ronnies Aufmerksamkeit ausgesetzt sein würde. Ich bekam Magenschmerzen bei dem Gedanken an seinen unaussagenden Blick, der mir doch mehr verriet, als er sollte. Aber ich hatte es Liz und irgendwie auch Ronnie versprochen, heute vorbei zu kommen und Liz vor seinem Bruder zu 'verteidigen'. Was auch immer es damit auf sich hatte. Aber irgendwie wusste ich, dass die Erklärung dazu schneller folgen würde, als mir lieb war. Zusätzlich wollte ich auf keinen Fall einen doofen Eindruck bei Ronnies Arbeitskollegen und seinem Bruder hinterlassen. Das würde der ganze Missäre nur noch die Krone aufsetzen. Also fuhr ich etwas verspätet vom Hof und während die Bäume an mir vorbei zogen, überlegte ich mir fast schon verzweifelt, wie die beiden bitte mein Erscheinen begründen wollten. Immerhin würde die Masche der Patentochter dank seinem Bruder nicht ziehen und anders herum würde ich dank seinen Kollegen auch nicht als Praktikantin durchgehen. Aber im Endeffekt lag es bei den beiden, als wen sie mich vorstellen würden. Mir war es so ziemlich egal. Es wäre nicht das erste Mal das ich eine Rolle spielen musste, die mir zugewiesen wurde und die nicht ich selbst war.

Ich richtete meinen Kragen im Seitenspiegel meines Autos und ging zur Haustür. Es war ein kalter, verhangener Samstag und nicht gerade ein Tag für wilde Gartenparties. Also stellte ich mich auf eine ruhige, aber auf keinen Fall entspannte Runde ein und betätigte die Klingel. Louisa öffnete die Tür. "Hey Charlie. Was machst du denn hier?" Sie zog die Augenbrauen hoch. Ich lächelte leicht, während sich meine Hände in meinen Manteltaschen zu Fäusten ballten. "Hi, ich wurde eingeladen." "Oh ok?! Nadann komm rein." Sie trat bei Seite und ließ mich in den warmen Flur. Wie immer streifte ich den Mantel von meinen Schultern und hängte ihn über den Bügel. "Also ich weiß zwar nicht, ob dich Firmenpolitik und sowas interessiert, aber gut. Mama is in der Küche." Sie zuckte mit den Schultern und ging die Treppe hinauf, vermutlich in ihr Zimmer. Ich nickte ihr zu und als sie oben verschwunden war atmete ich aus. Ich sah an mir herunter und richtete die Bügelfalten in meiner Hose. Irgendwie war ich aufgeregt. Mit einem Ruck ging ich dann durch die Tür zum Wohnbereich, aus welchem Gespräche und das Klirren von Geschirr zu hören waren. Ich trat in den Raum, doch anders als ich erwartet hatte, waren nicht sofort alle Blicke auf mich gerichtet. Nur 2 Herren, die am Küchentisch, der etwas weiter in den Raum gerückt worden war, sodass jeder genügend Platz hatte, saßen, sahen mich an. Ronnie und 2 weitere Personen standen näher am Fenster und schienen in ein Gespräch vertieft. Ich lächelte freundlich und suchte mit meinem Blick nach Liz, welche in der Küche stand und gerade dabei war einen Kuchen zu schneiden. Sie trug ein schickes, eher sommerliches naturfarbenes Kleid, dass bis kurz über die Knie ging und ihre dunkle Brille. Als sie mich bemerkte, sah sie auf. "Charlie." Sie lächelte, kam die wenigen Schritte zu mir und umarmte mich leicht. Ihr Parfüm stieg mir in die Nase und meine Aufregung begann akut abzuklingen. In den letzten Tagen waren solche Zärtlichkeiten zwischen uns selten gewesen. Ich liebte das alle meine Sinne auf sie reagierten, sobald ich bei ihr war. So etwas hatte ich nie zuvor erlebt. Liz gab mir flüchtig und so, dass es niemand bemerkte, einen Kuss auf die Wange, welcher sogleich zu kribbeln begann. Als sie sich aus der Umarmung gelöst hatte, bemerkte ich, dass alle Augenpaare im Raum ihren Fokus auf mich legten. Um meine Fassung nicht zu verlieren, lächelte ich kurz und formte mit meinen Lippen ein deutliches 'Hallo'. Daraufhin löste sich Ronnie von seinen 2 Begleitern und kam langsam auf mich zu. Sein Blick war wie bereits gedacht, eher monoton, aber er wirkte freundlich. Auch sah er umwerfend gut aus in seinem schwarzen Hemd und der gebügelten Anzughose. Für einen kurzen Moment bedankte ich mich inständig für meine Kleiderauswahl. "Charlotte. Schön das du es einrichten konntest." Er sprach amüsiert und deutlich. Wenn er mich in diesem Moment innerlich tatsächlich hasste, konnte er es besser verstecken, als irgendwer sonst und das machte mir Angst. Aber jetzt wollte ich daran nicht denken. "Hey." Sagte ich nochmals zu ihm und versuchte meine Augen von den seinen abzubringen. Ich vergaß jedes Mal, dass nicht nur Liz das Talent besaß mit Blicken zu spielen und zu wagen, sondern das auch Ronnie ein Meister darin war, obwohl er sich immer zurück hielt und die fesselnden Blicke Liz überließ. Im Großen und Ganzen konnte ich ihn noch immer nicht 100% einschätzen. 'Stille Wasser sind tief.' hatte meine Oma immer gesagt und bis jetzt war mir noch nie jemand begegnet der darauf mehr passte, als Ronnie.
"Ach Hi, du musst die Nachhilfelehrerin sein. Schön dich kennen zu lernen. Ich bin Chris." Ich war zu sehr auf Ronnie fixiert gewesen, um zu bemerken, dass sich einer der Herren am Tisch erhoben und sich zu uns gesellt hatte. Er war in etwa genau so groß wie Ronnie, hatte aber keine dunklen sondern blonde Haare, einen ebenso blonden Dreitagebart und er trug ein hellblaues Hemd passend zu einer lässigen dunklen Jeans. Auch wenn es niemand erwähnte, war ich mir beinah sicher, dass das Ronnies Bruder sein musste. An sich sahen sie sich nicht wirklich ähnlich, auch war Chris sicher um 10 Jahre jünger und wirkte von vornherein eher wie ein Frauenheld, was auch daran liegen konnte, dass er selbst sehr wohl genau zu wissen schien, dass er enorm gut aussah. Ich musste mir ein breites Grinsen verkneifen. Kein Wunder, dass Ronnie so besorgt war. Chris schien sich, so meine Vermutung, eher weniger an irgendwelche Regeln zu halten. Er streckte mir lässig seine Hand entgegen und als ich sie vorsichtig nahm, entwich ihm ein kurzes schiefes Lächeln, dass ich so gut von Ronnie kannte und die Ähnlichkeit war für wenige Sekunden dann doch vorhanden. "Hi, ich bin Charlie." "Mh 'Charlie'. Ein ungewöhnlicher Name für ein Mädchen." "Naja, eigentlich heißt sie Charlotte, aber Charlie passt irgendwie besser." Mit diesen Worten meldete sich Liz hinter uns, während sie den Kuchen auf den Tisch stellte und sich die anderen Herren auf die Stühle drumherum setzten. Chris' Stimme war nicht so tief wie Ronnies, aber ebenso klangvoll, was mir Gänsehaut bereitete. Ungewollt hatte auch er eine undefinierbare Wirkung auf mich. Schien also alles in der Familie zu liegen. Ich zuckte mit den Schultern und nickte auf Liz' Aussage hin, während ich Chris und Ronnie zum Tisch folgte. Ich ergatterte zum Glück den Nachbarstuhl von Liz. Ronnie setzte sich auf ihre andere Seite und Chris platzierte sich mir gegenüber. Seine etwas längeren Haare fielen ihm ab und an beim Kaffee trinken ins Gesicht. Aber im Großen und Ganzen wirkte er dann doch sehr distanziert und ordentlich, auch wenn er den ein oder anderen verstohlenen Blick auf Liz richtete, die, so hatte ich es im Gefühl, dass genau zu wissen schien und gekonnt versuchte seinen Augen auszuweichen. Es beunruhigte mich irgendwie. Was war da in der Vergangenheit zwischen den dreien vorgefallen? Ich bekam nicht wirklich viel Kuchen runter, dennoch versuchte ich mich irgendwie zu etablieren und hackte mich in ein Gespräch von den Herren neben mir ein. Es war zwar nicht spannend, aber half mich davon abzubringen über Chris nachzudenken oder ihn anzusehen. Ich war von mir selbst überrascht. Eifersucht war eigentlich ein Fremdwort für mich und nie hätte ich gedacht, dass ausgerechnet ich, die in vollem Wissen mit einer verheirateten Frau geschlafen hatte, einmal eifersüchtig sein würde. Ronnie als ihr Ehemann hätte allen Grund dafür gehabt, eifersüchtig oder gar böse auf mich zu sein. Immerhin hatte ich mich in ihr perfektes Leben gedrängt, mit seiner Frau geschlafen und alles irgendwie durcheinander gebracht. Aber er schien es irgendwie einfach akzeptiert zu haben. Wir hatten seit dem Vorfall nicht mehr mit einander gesprochen und obwohl viel Ungesagtes zwischen uns stand, war es doch Chris der mich und sichtlich auch ihn an dem heutigen Samstag beinah mit seinen Blicken in den Wahnsinn trieb. Schon komisch, wie sich die Dinge drehen und wenden konnten.

Liz war in ein Gespräch mit einem älteren Herrn verwickelt während ich an der Kommode lehnte und so tat, als wäre ich in mein Handy vertieft. Eigentlich waren aber alle meine Sinne auf sie fokussiert, weshalb ich auch nicht mitbekam, wie Chris langsam neben mich trat. "Woher kennt ihr alle euch nochmal?" Fragte er interessiert. Ich zuckte zusammen und ließ mein Handy in meiner Hosentasche verschwinden. "Äm ... Schule... also ich bin eine Schülerin von Liz." Ich sah ihn perplex an. "Eine Schülerin? Und da is es erlaubt, dass du sie duzt?" Er lächelte wieder schief, doch anders als Ronnies, kam seines nicht ganz so herzlich rüber, sondern eher wie ein wissender Blick. Ich schluckte. "Privat ja." Ich versuchte mein Unbehagen zu überspielen. "Und du bist Ronnies Bruder?" Fragte ich, um das Thema irgendwie zu wechseln. "Ja." Antwortete er schulterzuckend, während er auffällig beobachtete, wie Liz in Richtung Raumtür ging und im Flur verschwand. Ich sah in diesem Moment meine Gelegenheit, um ihn unterschwellig und gespielt lässig auf den Zahn zu fühlen. "Was liegt dir so an ihr? Ich meine..." ich hob eine Augenbraue. "Du starrst sie schon nicht gerade unauffällig an." Ich versuchte ein belustigt-neugieriges Gesicht zu machen. Er nippte an seinem Kaffee und sah mich an. "Ach ich will bloß Ron kirre machen. Der und seine Liz sind doch so unfassbar unzertrennlich." Er schüttelte belustigt den Kopf, so als ob er an solche tiefen Gefühle nicht mal ansatzweise glauben konnte. Wenn er sie beide nicht leiden konnte, warum war er dann hier? "Aber ich darf ja nichts sagen. Ich bin ja das schwarze Schaf in der Familie." Er stellte seine Kaffeetasse scheinbar bewusst ohne Untersetzer auf die schöne dunkle Kommode und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. "Und weißt du, Charlie, so ganz nebenbei, da bin ich durchaus stolz drauf." Er sah kurz zu Ronnie. "Ich denke ich hau demnächst wieder ab. Meine Freundin wartet auf mich und ich muss noch locker 3h Auto fahren, bei dem scheis Verkehr auf den Straßen um diese Zeit. Also schön dich kennengelernt zu haben." Er sah flüchtig auf seine übergroße schwarze Armbanduhr. "Äm ja ok. Dann will ich dich mal nicht aufhalten." Sagte ich monoton, kurz davor ihm eine rein zu hauen. Was hatte er nur dagegen, wenn jemand glücklich war. 'Wie ich Pessimisten manchmal hasse.' Redete ich in meinem Kopf vor mich hin, im Wissen, dass die Sache zwischen ihm und den beiden noch lange nicht geklärt war und ich absolut keine Ahnung hatte, in welchem Film ich mich gerade befand.

Ihr Weg zu DirWhere stories live. Discover now