Kapitel 6

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Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug hatte ich keine Ahnung, ob das gestrige Erlebnis nur ein Traum, oder doch die Realität gewesen war.
Ich lag in meinem Bett- nicht im Wald. Jedoch stand meine Balkontür breit auf, was mich ein wenig frieren ließ.

Ich schlug meine große Bettdecke von mir, schwang meine Beine aus dem Bett und schloss das Balkonfenster.
Seufzend ging ich in Richtung meines begehbaren Kleiderschrankes, um mir meine Kleidung für den heutigen Tag herauszusuchen.
Grinsend erinnerte ich mich an die Tage, in welchen ich das erste Mal eine Violine in der Hand halten durfte.
Ich war damals so motiviert gewesen, wollte alles richtig machen. Mein Talent für die Musik und die Geige wurde schnell erkannt, was meine Mutter dazu veranlasste, alles aus mir herauszuholen, um, wie sie sagte "mir eine gute Zukunft zu schaffen".

Ich denke, es war eine Mischung aus dem Wille meiner Mutter, und dem eigenen Wunsch meinerseits, meine Gefühle in Form von Musik darzustellen, dass ich mit dem Violinenspiel angefangen hatte.

Warum ich das Bedürfnis hatte, Gefühle ausdrücken zu müssen?

Schon als kleines Mädchen hatte ich erfahren, dass nicht alles nur perfekt laufen konnte. Schon als kleines Mädchen hatte ich erfahren müssen, was es bedeutete, den eigenen Vater zu verlieren.

Fünf Jahre alt, war ich gewesen.
Fünf Jahre alt, als mein Vater verstarb.
Fünf Jahre alt, als meine Mutter sich gänzlich vor mir verschloss.
Fünf Jahre alt, als der Perfektionsmus meiner Mutter seinen Lauf nahm.
Fünf Jahre alt, als ich das Geigespielen erlernen sollte, wollte, und musste.
Fünf Jahre alt, als meine Mutter mich das erste Mal bestrafte.

Ich hatte es damals nicht verstanden.
Ja, wie hätte ich es auch verstehen können?
Wie hätte ich verstehen sollen, dass meine Mutter all das, was sie mir antat, aus Schmerz tat, und, dass sie nur das Beste für mich wollte?

Ich konnte mich an ein kleines, rosarot gekleidetes Mädchen mit zwei roten Zöpfen erinnern, welches nach mehreren Malen üben immer noch den fünften Ton, das b, in ihrer Etüde verfehlte, und dafür das erste Mal geohrfeigt wurde. Ich konnte mich daran erinnern, wie dieses Mädchen mit gebrochenem Herzen und Tränen in den Augen versucht hatte, alles für seine Mutter zu tun, und ich konnte mich daran erinnern, dass sich dies nie geändert hatte.

Mit einem- mittlerweile traurigen- Lächeln, band ich mir die Haare in einem strengen Dutt zusammen und machte mich auf den Weg nach unten.

"Guten Morgen, Mutter." lächelte ich diese freundlich an, woraufhin sie nur ein "hmm" zur Begrüßung erwiderte.
Ich lief weiter in Richtung des Tisches, als ich plötzlich von der Stimme meiner Erzeuger in unterbrochen wurde.
"Elizabeth, du wirst einen neuen Violinenlehrer erhalten. Kathleen habe ich gestern noch entlassen müssen, da sie mir mit dir zusammen zu wenige Fortschritte gemacht hat. Du wirst ab heute von Mr. Wright unterrichtet werden, welcher dich in genau", sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr "einer Stunde, also nach dem Frühstück, erwarten wird."

Ich lächelte meine Mutter an, schob einen Stuhl zurück, um mich zum Essen an den Tisch zu setzen, und bejahte ihr Vorhaben.
Ich musste ehrlich zugeben, dass ich es nicht sehr gut fand, einen neuen Lehrer zu bekommen. An Kathleen hatte ich mich in den letzten Jahren bereits gewöhnt, und auch, wenn sie öfters herumschrie, war ich doch froh, einen "festen" Menschen in meinem Leben gehabt zu haben. Einen Menschen, welchen ich jeden Tag sah, welcher Routine ausstrahlte, und mich nicht von Grund auf abschätzend musterte.

Doch nun gut- den Wille meiner Mutter konnte ich nicht brechen, und wollte es auch lieber nicht erst versuchen.
Also fing ich an, mein, von unserer Köchin zubereitetes Omelette zu essen, und mir schonmal Gedanken darüber zu machen, wie ich diesen "Mr. Wright" begrüßen sollte.
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Nach dem Frühstück also, um Punkt 10Uhr, begab ich mich in Richtung des Musiksaales der Villa, die meine Mutter als "Zuhause" betitelte.

Als ich die Türen öffnete, erwartete mich dort meine Mutter, in Anwesenheit meines neuen Lehrers, welcher sich freundlich mit dieser zu unterhalten schien.

Eines Lehrers, den ich sicherlich nicht erwartet hätte.
Alles hätte ich geglaubt- aber nicht, ihn nocheinmal wiederzusehen.

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Hey meine lieben Leser/innen!

Es tut mir leid, dass jetzt so lang nichts kam. Ich hoffe, dass ich trotz dessen einen guten Rutsch ins neue Jahr hattet, und wünsche euch viel Glück!

~Nelly

Der Klang meiner Violine~ MateWhere stories live. Discover now