~XVI.~

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Aragorn stolperte, doch er hatte nicht die Kraft, sich selbst abzufangen. Blitzschnell drehte ich mich um und hielt ihn am Arm fest. Überrascht blickte er auf. „Danke." „Nichts zu danken", antwortete ich kühl und wandte mich von ihm ab, Richtung Norden. „Wir können uns jetzt keine Verletzten leisten." Mit diesen Worten lief ich weiter.

Schweigsam verlief der heutige Marsch. Abends rasteten wir wieder in einem winzigen Tal am Fuße des Berges. Doch viel mehr als eine Kerbe in dem mächtigen Gestein war es nicht. Der Wind blies uns eiskalten Schnee ins Gesicht. Auch Bäume wuchsen hier nicht, nur einige wilde Büsche. Deshalb suchten wir uns Schutz an einer Felswand. So pfiff der Wind nur von vorne zu uns. Müde breiteten wir unsere Decken aus und legten uns ohne ein weiteres Wort darauf. Lange konnte ich nicht einschlafen, suchte Hilfe bei dem klaren, dunklen Sternenhimmel. Eigentlich war der Himmel nicht dunkel. Tausende von Lichtern blinkten selbst am verborgensten Winkel des Himmels. Es hatte am Nachmittag endlich aufgehört zu schneien und die Wolken hatten sich verzogen. Nur noch ein sanfter Windzug pustete bereits gefallenen Schnee von den Berggipfeln zu uns. Mein Blick fiel auf einen Stern, abseits von den anderen Lichtern. Das hieß, abseits war er nicht, nur inmitten von nicht so hell leuchtenden Lichtern. Er war nicht der hellste, und nicht der kleinste. Doch irgendwie faszinierte mich das Gewöhnliche an ihm. Er hypnotisierte mich und, je länger ich zu ihm blickte, desto größer schien er zu werden, bis er zu einer hellen Lichtexplosion wurde. Vor meinen Augen erschien Loth Lorién, wie es aussah, als ich vor langer, langer Zeit einmal dort war. Die Herrin des Goldenen Waldes, Galadriél, erschien mir. ‚Suche die Wahrheit im Gewöhnlichen, im Unscheinbaren, und du wirst sie sehen.' Sie lächelte ihr stolzes Herrinnen-Lächeln, pustete etwas auf ihren Händen zu mir. Es war wie goldener Staub. Dieser kam direkt auf mich zu. Ich suchte mich davor zu schützen, doch er traf mich und ich fiel nach hinten. Ein dunkler Schatten übermannte mich. Lange Zeit war es schwarz. Auf einmal hörte ich ein helles Klirren und ich sah, wie jemand unter Tränen Spiegel auf den Boden warf. Es war eine Frau mit langen, blonden Haaren. Ihr Gesicht erkannte ich nicht. Jedes Mal, wenn erneut ein Spiegel auf den Boden traf, zuckte ich zusammen. In dem Moment schrie die Frau immer, sie schrie etwas in einer fremden Sprache. Ich verstand sie nicht. Plötzlich nahm sie einen teuer aussehenden, weißen Spiegel in die Hand. ‚Galdriéls Spiegel', schoss es mir durch den Kopf. ‚Und er zeigt das Auge Saurons.' Wie in Zeitlupe riss sie die Arme hoch und schmetterte ihn zu Boden. Gewissheit machte sich in mir breit, und ich fühlte mich für einen kurzen Moment sicher. ‚Beide, Sauron und Galadriél werden zugrunde gehen.' Als er auf den Steinboden aufkam, ertönte ein heller Klang, wie eine Erlösung im ersten Moment. Doch dann wandelte er sich. Die Frau verschwand. Stattdessen zog ein Schlachtfeld vor meinen Augen auf. Die Schlacht war bereits geschlagen, es war nicht zu erkennen ob verloren oder gewonnen. Überall lagen Leichen. Plötzlich öffneten sich die Tore einer Stadt und Frauen mit ihren Kindern stürmten hinaus. Sie schrien. Die Soldaten waren nicht mehr zu sehen. Viele Familien knieten sich neben ihre gefallenen Verwandten. ‚Es wird großes Leid über Mittelerde kommen.' Eine mächtige, tiefe Stimme flüsterte die Worte, wie eine unheilvolle Warnung. Verzweifelt wand ich mich, doch ich konnte nicht entkommen. „Das ist nicht mein Schicksal! Ich bin verbannt!", brüllte ich wie verrückt. Dann, es war wie Fliegen, kam ich an einer Stadt vorbei, die brannte, genau wie viele, kleine Dörfer. Hass und Angst waren hier nur allzu gegenwärtig. Plötzlich wurde es leiser. Das Knistern der Feuer verschwamm im Hintergrund. Zitternd versuchte ich meine Augen vor der Gefahr zu verschließen, die nun wohl wieder auf mich wartete. Doch es kam kein Bild mehr. Herrin Galadriél tauchte vor meinem geistigen Auge auf. ‚Etwas wird geschehen, das dein Leben grundlegend ändert.' Ihre Worte waren nicht mehr als ein Wispern, und ich wusste nicht genau, ob es nur der Wind gewesen war und meine Ohren mir einen Streich gespielt hatten. Wieder blies sie etwas zu mir, doch diesmal wirbelte es an mir vorbei. Dann Stille. Ich öffnete meine Augen und wartete auf das grell blendende Licht, doch um mich herum war es dunkel. Eine eisige Kälte machte sich bemerkbar und mein Mund war trocken. Am Himmel waren die blinkenden Lichtpunkte schon weitergewandert. Der Morgenstern war gerade aufgegangen und erklomm den östlichen Himmel. Über mir erkannte ich die schmale Sichel des Mondes, an der einige Wolkenfetzen vorbeizogen. Man hörte nur die üblichen, nächtlichen Geräusche. Irgendwo stritten sich ein Marder und ein Rabe, auf den Schotterhängen der Berge blökte ein Bergschaf und eine Eule flog eilig über uns hinweg und schrie unentwegt. Aufgewühlt von meinem Traum setzte ich mich auf und richtete meinen Blick auf jenen Teil des Himmels, an dem in ein paar Stunden die Sonne steigen würde. Was wollte Galadriél nur von mir? Ich war verbannt, auch verstoßen von der Herrin des Goldenen Waldes. In meinen Grübeleien vertieft, merkte ich nicht, wie Aragorn sich aufsetzte und mich besorgt ansah. Erst, als er zu mir kam, nahm ich ihn wahr. „Was ist los, Emewýn?" Einen Moment starrte ich ihn mit aufgerissenen Augen angstvoll an wie einen Geist. Danach fing ich mich wieder. „Ich... bin nur aufgewacht..." Verlegen wandte ich mich ab. „Aber nun, da wir beide wach sind, können wir auch weiter. Zeit ist zu wertvoll, um sie zu verschwenden." Entschlossen, doch noch etwas schlaftrunken, marschierte ich zu unseren Vorräten und wollte zusammenpacken, doch in der Hocke fiel ich fast um. Aragorn fing mich noch gerade rechtzeitig auf. „Nein, nein, nein, du gehst nirgendwo hin. Du brauchst deinen Schlaf." Mit diesen Worten hob er mich einfach hoch und trug mich zu meinem provisorischen Bettgemach, weil er wahrscheinlich Gegenwehr erwartete. Doch ich tat nichts. Als er mich abgelegt hatte, fragte er: „Brauchst du irgendwas?" Stumm schüttelte ich den Kopf. „Nur manchmal... da bin ich von dem ganzen Herumziehen so erschöpft, dass ich mir wünsche, irgendwo sein zu können, wo ich keine Angst mehr haben muss vor Verfolgern. Wo ich in Friede meine Augen schließen könnte, ohne Sorgen vor dem nächsten Sonnenaufgang." Doch schon nach ebendiesen Worten bereute ich sie. Ich gab ihm zu großen Einblick in meine Seele, ließ ihn meine Wünsche wissen. „Aber wirklich nur manchmal", murmelte ich noch leise. Aragorn schwieg, dann kam er zu mir. „Nun kannst du dich ausruhen, sei unbesorgt. Morgen bin ich immer noch da und werde schon auf dich aufpassen." „Danke", sagte ich schnell und undeutlich. „Du..." Ich brach ab. ‚Einfach schweigen, sonst bist du zu verletzlich.' Er gab keine Antwort, doch ich merkte noch, wie er sein Schlaflager näher zu mir rückte, bevor ich einschlief.

Der Wandel ist nun nicht mehr aufzuhalten (Lotr-FF)Where stories live. Discover now