5. Erste Eindrücke

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Die Dunkelheit, die mich im Schatten der Säule umgab, verdeckte mich schützend vor den Blicken der High Lords und ihres Gefolges. Den Blicken aller verborgen spähte ich in den Saal, in den sich die High Lords einfinden würden. Die Stühle der High Lords waren in einem Kreis aufgestellt, mit genügend Abstand zwischen sich, um die Höflichkeit zu wahren und doch auf subtile Art und Weise für Abgrenzung zu sorgen. Einzig die Stühle von Beron, Thesas, Kallias und Tamlin waren bereits besetzt. Ein jeder von ihnen war in feine Gewänder gekleidet, die den Farben ihrer Höfe entsprachen. Unwillkürlich strich ich mit einer Hand über den sanften Stoff meines Kleides. Es war sündhaft teuer gewesen, hatte mich fast meine gesamten Ersparnisse gekostet, aber da heute alles High Lords anwesend waren, hatte ich beschlossen, dass es eine lohnenswerte Anschaffung gewesen war. Tamlin hatte mich seit gestern allein gelassen, er wusste nichts von meinem Kleid. Wahrscheinlich war er, wenn alle eingetroffen waren, dann auch zu konzentriert auf Feyre, um mich überhaupt zu bemerken. Ich hatte nicht lang gebraucht, um hierher zu finden. Der Saal war durch keine Türen begrenzt, jeder konnte sehen, was in seinem Inneren ablief. Ich war durch die Schatten geschlichen und war, unbemerkt von den High Lords, eingetreten. Wo früher vielleicht einmal Fenster gewesen waren, wehte nun die warme Seeluft herein. Ich atmete sie ein und schloss für einen Moment die Augen, um die Frische zu genießen. Es war lange her, seit ich das Letzte Mal Luft gerochen hatte, die nicht von Rosen dominiert wurde. Ich versuchte, mich zu konzentrieren und öffnete meine Augen.
Beron und Tamlin ignorierten einander geflissentlich, die Lady des Herbst Hofes saß starr zwischen ihnen. Thesan war in ein leises Gespräch mit seinem Partner vertieft und beachtete außer Kallias sonst niemanden. Der Krieg hatte die Fronten der High Lords alle mal geklärt. Niemand würde Thesan jetzt noch als neutral bezeichnen. Etwas am Rand des Saales bewegte sich und mein Blick zuckte zum Eingang. Schwarze Schwaden, fein und kaum zu erkennen, stiegen in der Luft auf.
Die Schwärze war hart und keineswegs so sanft wie in Velaris.
Dies war die Schwärze der Albträume. Schritte erklangen auf den glänzenden Marmorfließen und die Schwaden verdichteten sich. Ich starrte gebannt auf den Eingang, nun wieder voll und ganz konzentriert.
Und dann trat der High Lord des Hofes der Nacht ein. Seine hohe Gestalt in schwarze Seide gekleidet, eine dunkle Krone auf dem Kopf. Tamlin blieb bemerkenswert ruhig, dafür, dass er seinem Feind in die Augen sah. Hinter Rhysand ertönte ein genervtes Stöhnen.
,,Da kommen wir schon eine viertel Stunde zu spät, und sind trotzdem nicht die letzten. Das mit dem großen Auftritt kannst du vergessen, Rhys."
Cassian ging mit lässigem Schritt an Rhys vorbei und setzte sich demonstrativ auf en Stuhl, der am weitesten von Tamlin entfernt war. Rhys schüttelte nur mit einem leicht amüsierten Lächeln den Kopf und sah zurück. Die Schwaben nahmen eine weichere Form an und glitten sanft über den Boden.
Ich sah, wie Tamlins Atem stockte, als die High Lady eintrat. Sie ging mit durchgestrecktem Rücken zu ihrem Seelengefährten und lächelte, als er eine Hand auf ihren Rücken legte und sie zu ihrem Platz begleitete. Trotz ihres geschwollenen Bauches ließ sie sich elegant niedersinken. Mit einem warmen Funkeln in den Augen sah sie zu Rhysand. Ich hielt den Atem an und betrachtete sie.
Dies war die Frau, die im Krieg gegen den König gekämpft und den Kessel zerstört hatte.
Sie war für die Fae unter dem Berg gestorben und saß nun als High Lady an der Seite Rhysands.
Ich bewunderte sie wirklich. Azriel tauchte hinter ihr auf und trat aus den Schatten. Sein Blick war der einzige, der zu der Dunkelheit an der Säule fuhr. Schützend zog ich den Mantel aus Schwärze enger um mich und lenkte das Licht auf die High Lords. Azriels Mundwinkel zuckten und er nahm auf dem Stuhl Platz, der mir genau gegenüberstand. Ich spürte seinen Bick auf mir und lächelte ihn zaghaft an. Seine dunklen Augen sahen mich beruhigend an und ich entspannte mich unmerklich. Azriel würde mir helfen, das wusste ich.
Kallias udn Beron begrüßten die Neuankömmlinge mit einem knappen Nicken, Thesan lächelte ihnen zu und Tamlin rührte sich nicht. Sein Blick lag auf Feyres Bauch, seine Lippen waren wütend aufeinandergepresst. Ich sah, wie viel Überwindung es ihn kostete, nicht aufzuspringen und aus dem Saal zu laufen. Cassian öffnete seinen Mund und ich machte mich auf die unweigerlich folgende Spitze gegen Talin gefasst, aber bevor er etwas sagen konnte, war Vivianne schon aufgesprungen und hatte Feyre in eine feste Umarmung gezogen. Rhysand zuckte zusammen und sein Blick schnellte zu Feyres Bauch, aber seine High Lady lachte nur.
,,Wir haben uns ewig nicht gesehen!", jammerte Vivianne, als sie Feyre aus ihrer Umklammerung entließ.
,,Wo ist Mor?", fragte Vivianne und Feyre verzog entschuldigend ihre Lippen. Ich überhörte ihre Antwort, denn beide gingen an die offene Seeseite des Saales.
Ich sah mich um und unterdrückte eine Gänsehaut. Es war das erste Mal, dass ich alle High Lords auf einen Schlag sah, und die Atmosphäre im Saal war elektrisierend. Tamlin saß steif auf seinem Platz, der Herbsthof weigerte sich strikt, mit irgendjemandem zu reden und Nacht- und Winterhof wahrten eine ruhige Höflichkeit, die aus belanglosen Gesprächen und gehorsam eingehaltenem Abstand bestand.  Thesan unterhielt sich überwiegend mit seinem Partner, warf den anderen aber immer wider ein sanftes Lächeln zu und beteiligte sich Stückchenweise an den Unterhaltungen aller.
Er war den einzige, den ich, die Mitglieder des Nachthofes ausgeschlossen, wirklich als sympathisch bezeichnen konnte. Tamlin saß allein im Kreis, redete mit niemandem und ar so angespannt, dass ich befürchtete, er würde aufspringen und weglaufen. Er war allein bei dieser Versammlung, hatte niemanden aus seinem Gefolge mitgebracht, bloß mich.
Ich widerstand dem Drang, zu ihm zu gehen und mit ihm zu reden, denn einerseits wäre ich so in den Fokus der High Lords gerückt und andererseits konnte ich mit Tamlin sowieso nicht wirklich reden. Es war anders zwischen uns gewesen, als ich in Prythian ankam. Tamlin hatte vor Leben gesprüht, hatte gelacht und sich mit seinen Untertanen unterhalten, sie besucht und sich darum bemüht, ein guter High Lord zu sein. Nachdem Amarantha ihren Fluch ausgesprochen hatte, war alles kaputt gegangen. Nicht nur das Land, auch die Fae darin. Manchmal hörte ich noch immer die Schreie der anderen Bediensteten, wenn jemand einen Albtraum hatte. Doch sie versuchten, weiter zu machen und fingen irgendwann sogar an, wieder zu singen. Der Frühlingshof war nicht schlecht, ich mochte die Leute darin, aber sobald man auch nur in die Nähe des Herrenhauses kam, erdrückte einen die Luft förmlich. Manchmal gab es Tage, an denen ich noch nicht einmal in den Garten des Hauses gehen konnte, weil dort alles, was auch nur ansatzweise Schön genannt werden konnte, sofort zu Grunde ging. Ich schüttelte meinen Kopf, appellierte stumm an meine Vernunft, denn auch wenn Tamlin mich gerettet und versorgt hatte, mir ein Dach über dem Kopf und eine Arbeit gegeben hatte, konnte ich dort nicht bleiben. Ich würde untergehen, wenn ich auch nur noch einmal eine sterbende Rose sehen würde.
Stiefelschritte erklangen vor dem Saal und die noch fehlenden High Lords traten, in ein angeregtes Gespräch vertieft, ein. Es wäre eine Lüge gewesen zu sagen, dass die Schönheit der High Lords mir nicht den Atem verschlug.
Helion schien zu strahlen, als wäre er die Sonne selbst. Allerdings glaubte ich, dass er das auch selbst wusste. Die Arroganz, mit der er durch den Saal schritt, den muskulösen Arm elegant angewinkelt, ließen mich beinahe lachen.
Und dann sah ich Tarquin. Seine hellen, fast weißen Haare bildeten einen fast unüberwindbaren Kontrast zu seiner dunklen Haut und ich musste blinzeln, als ich ihn sah. Seine blauen Augen blickten wach umher und er registrierte alles, das sich im Saal abspielte, binnen einer Sekunde. Ich wusste nicht, ob ich es mir einbildete, aber ich meinte, seinen Blick auf mir gespürt zu haben. Ich erschauderte leicht und versuchte, meine Augen von ihm abzuwenden. Es wäre ein Frevel, ihn als gutaussehend zu beschreiben. Die High Lords waren allesamt Erscheinungen, bei denen jedem der Atem stockte, ganz besonders bei Rhys und Helion. Aber Tarquin besaß eine exotische Schönheit, die ich so bei keinem der anderen je gesehen hatte. Sie wirkten unnahbar, für immer unerreichbar, aber der High Lord des Sommerhofes schien in seiner Schönheit doch normal zu sein. Tarquin lächelte breit und nahm seinen Platz zwischen dem Hof der Nacht und dem Hof des Tages ein. Aus seinem Gefolge kannte ich bloß Varian aus Erzählungen, der Rest war mir gänzlich unbekannt. Tarquin sah aufmerksam in die Gesichter der Anwesenden und sagte:
,,Ich denke, wir können nun beginnen."

MareileWhere stories live. Discover now