Kapitel 1 - Cappuccino

9 0 0
                                    

07:00 Uhr, der Handywecker reist mich mit fröhlichen Beats aus meinen unschönen Träumen. Vor den schmutzigen Fenstern meines Schlafzimmers erwacht mühsam die Stadt aus der unruhigen Nacht. Zwei Mal habe ich seit gestern den Krankenwagen gehört, die Sirene konnte leicht meinen wenig erholsamen Schlaf stören. Doch das macht nichts aus. Eigentlich macht gar nichts etwas aus.

Ich starre an die Decke, noch unfähig mich zu bewegen. Eigentlich ist es ein ganz normaler grauer Februarmorgen. Die dicken Wolken, die den Blick auf die wärmenden Strahlen der Sonne verhängen sind zur Gewohnheit geworden, so wie die stickige, kalte Luft in meinem Zimmer jeden Morgen.

Ich sollte das Fenster auf machen, schätze ich, aber dazu müsste ich aufstehen und nicht nur den Schutz meiner wärmenden Decke verlassen, sondern auch wieder einem neuen Tag ins Auge blicken. ‚Nun ja, das lässt sich wohl nicht vermeiden', ermahnt mich eine innere Stimme und trotzdem möchte ich keinen Fuß aus meinem Bett setzen.

Erst als meine Mitbewohnerin an die Tür klopft, richte ich mich auf.

„Morgen Sternchen, was für einen Tee möchtest du?", dringt es gedämpft aus dem Wohnzimmer herein. Mein Kopf pocht etwas, ich kneife die Augen zusammen und versuche mich zu konzentrieren.

„Irgendwas süßes...",rufe ich zurück und füge nach einer kurzen Pause noch schnell hinzu: „Danke, du bist die Beste!"

Jeder, der einmal das Gefühl eines gebrochenen Herzens erlebt hat wird wissen, dass gute Freunde oder einfach nur Menschen, die für einen da sind, das wertvollste in dieser Zeit sind.

Ja, mein Name ist Nathalia Kalbach und ich habe ein gebrochenes Herz:

Ich hätte nie für möglich gehalten, dass es so schmerzhaft sein könnte, wenn einem eine bestimmte Person den Rücken kehrt. Vermutlich bin ich einfach nur zu dumm, zu jung und zu naiv oder ich fühle einfach irgendwie zu stark, aber das, was Dominik Kuzmin in meinem Herzen hinterlassen hat, ist im besten Fall ein Brei aus zerrissenen Muskelfaserfetzen.

Seinen Namen nenne ich so bewusst, weil ich seit einem Monat jeden Morgen mit diesem Gedanken aufwache: Dominik Kuzmin, fett gedruckt, als Banner, das über allem schwebt. Ständig denke ich daran.

Und ja, es ist tatsächlich schon einen Monat her, dass er mir das Herz gebrochen hat und es tut immer noch weh. Ich meine damit nicht nur seelisch, ich spüre physische Schmerzen! Es ist als würden sich immer wieder kleine Nadeln in meine inneren Organe bohren, wenn ich an ihn denke. Ist das noch normal?

Vermutlich nicht, ich weiß es nicht und es ist eigentlich auch egal in Anbetracht der Tatsache, dass ich es ohnehin nicht ändern kann. Ich wünschte nur, es würde irgendwann mal besser werden. Aber so heißt es jeden Tag aufs Neue, Arschbacken zusammenkneifen, aufstehen, und darauf hoffen, dass mein Herz einen Weg aus diesem endlosen See von schmerzender Sehnsucht findet.

Vielleicht ist der Weg in die Küche, ja heute schon ein erster Schritt dafür? Auf dem kleinen Tischchen steht schon meine Tasse bereit, aus der es herrlich nach Blaubeeren duftet. Es überkommt mich ein Moment der Dankbarkeit, für all die Energie, die meine Mitbewohnerin Loretta nun schon so lange in mich emotionales Wrack investiert.

„Danke!", rufe ich ihr noch mal ins Wohnzimmer zu, wo Lore gemütlich mit ihrer Schüssel Müsli auf dem Sofa sitzt und Frühstücksfernsehen schaut.

„Ich wusste nicht, ob du auch was essen willst...", kommt es von ihr zurück.

„Alles gut, hab noch keinen Hunger."

So beginnt grade eigentlich jeder Tag. Ich brauche immer eine Weile, bis ich halbwegs in Schwung komme und die Reste meiner eigenständigen Lebensfreude wieder finde, die mir am Vorabend durch viel zu lange Gedankenreisen irgendwie abhandengekommen sind oder von Träumen verdrängt wurden, in denen Dominik Kuzmin immer eine übergeordnete Rolle spielt.

Das Ganze ist doch echt beschissen, denke ich, als ich im Bad vor dem Spiegel stehe. Bei dem Gedanken muss ich fast ein wenig lachen. Es ist zwar ein gequältes Lachen, aber immerhin.

Dass ich eigentlich keinen Grund habe derart deprimiert zu sein, ist mir bewusst. Aber das rationale Wissen allein hilft leider nicht. Es gab keinen schweren Schicksalsschlag in meinem Leben, ich bin gesund, habe eine Familie, genug zu Essen und ein Dach über dem Kopf. Natürlich hatte ich damit schon viel mehr Glück, als viele andere Menschen auf der Welt. Das weiß ich.

Auch deshalb zwinge ich mich jeden Morgen, nicht in Selbstmitleid und negativen Gefühlen zu versinken, sondern aufzustehen und zu Leben. Es ist ein Privileg, das ich das kann.

Allein das fließende, warme Wasser, das ich mir ins Gesicht klatsche, um den Schmutz der Nacht abzuwaschen, ist ein Privileg. Mit solchen Gedanken hangle ich mich durch den Tag.

Heute steht für mich ein weiterer Besuch in der Universitätsbibliothek auf dem Plan. Nicht, weil ich mich dort besser konzentrieren kann, oder noch irgendwelche Lehrbücher brauche, sondern einfach weil mir während der Prüfungsphase in meiner Wohnung sonst irgendwann die Decke auf den Kopf fallen würde. Und eventuell auch, weil ich hoffe, dort eine ganz bestimmte Person zu treffen?

„Wann bist du heute wieder da?", fragt Lore, als ich mir bereits meinen dicken Wintermantel von der Garderobe nehme.

„Ich denke ich bleib nicht lange... gegen Mittag irgendwann.", antworte ich und schlüpfe in meine Sneakers.

„Okay bis dann, Nati!"

Nach noch einem lächelnden Blick ins Wohnzimmer öffne ich die Wohnungstür und trete in den hellen Hausflur.

Es gibt momentan nur wenige Dinge, die einen grauen, kalten Tag für mich erträglich machen. Der morgendliche Besuch beim Bäcker, um mir einen Kaffee-to-go zu holen gehört dazu.

Ich laufe direkt dort vorbei, jeden Morgen, auf dem Weg zum Bus. Mein Lieblingsbäcker liegt vorne an der Straßenecke, sodass ich sehen kann, wenn ich zur Haltestelle sprinten muss.

Auch heute wieder schlägt mir der Geruch von frischen Brötchen und Brot entgegen, ich liebe das.

Nicht, dass ich wirklich Hunger hätte. Das gebrochene Herz hat auch meinen Magen gehörig durcheinander gebracht, wodurch mir die eine Hälfte des Tages meistens schlecht ist und ich in der anderen alles verdrücken könnte, was mir vor die Nase kommt. Diesen Duft allerdings genieße ich zu jeder Zeit. ‚Vielleicht sollte ich mir noch etwas zu Essen für später mit nehmen?', überlege ich, verwerfe den Gedanken jedoch wieder. Besser ich komme später einfach noch mal her.

„Einen Cappuccino zum Mitnehmen?", fragt mich der junge Mann hinter der Theke freundlich lächelnd. Er ist sicher nicht viel älter als ich, vermutlich auch Student, der sich hier etwas dazu verdient. Oder er ist doch ein Lehrling, auf jeden Fall ein verdammt gut aussehender. Vielleicht liegt es auch an ihm, dass ich dieses Morgen Ritual so akribisch verfolge, seit Dominik weg ist. Andere schöne Männer ansehen hilft meist für den Moment, auch wenn mich dann immer das Gefühl überwältigt, dass für mich keiner so vollkommen erscheint, wie ich ihn gesehen habe. Und doch komme ich jeden Morgen hier her, um mich von dem schönen Brötchen Verkäufer anlächeln zu lassen.

Ich war an dem Tag hier, an dem sich Dominik, von mir getrennt hat, innerlich völlig verzweifelt, ohne richtig verstanden zu haben, was grade passiert war. Und dann hatte mich dieser schöne Verkäufer angelächelt und meinen Schokokuchen –ja, Schokolade hilft gegen Kummer- so elegant eingepackt, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Und da steh ich nun. Jeden Morgen von Montag bis Freitag, hole mir meinen Kaffee und lasse mich anlächeln, von jemandem dessen Namen ich nicht kenne, einfach um mich für einen kurzen Augenblick begehrt zu fühlen. Ist das nicht irgendwie traurig?

Naja, immerhin weiß der mysteriöse Schöne hinter der Theke mittlerweile wie ich meinen Kaffee trinke.

„Ja danke.", erwidere ich ihm lächelnd. Er befüllt meinen Becher, ich bezahle, unsere Blicke treffen sich ein letztes Mal und schon bedient er den nächsten Kunden. Da ist er vorbei, mein Moment als Königin und ich trete wieder hinaus in die dreckige Realität.

Die Zeit in der Bibliothek ist nicht sehr ergiebig. Die Stühle sind unbequem wie eh und je und von dem hässlichen gelben Licht bekomme ich jedes Mal Kopfschmerzen. Hoffentlich habe ich mir wenigstens ein paar Leitungsbahnen einprägen können. Medizin war immer mein Traum, aber schon jetzt am Ende des ersten Semesters bemerke ich, dass man hier nichts geschenkt bekommt.

Wenn da doch nicht immer dieser Name durch meinen Kopfschwirren würde, der mein Herz zum Bluten bringt.

beste ExfreundinnenDove le storie prendono vita. Scoprilo ora