Kapitel 1

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,,Ella! Wie spät ist es?" Erneut wartet sie auf eine Antwort ihres Smart Speakers. Erneut blieb der Lautsprecher ihr eine Antwort schuldig. Sie zuckt mit den Schultern und geht zur Couch zurück. Würde der Lautsprecher morgen auch nicht funktionieren würde sie ihn wieder zurückbringen. Schließlich hatte sie sie ja erst vor kurzem gekauft.

Sie weiß nicht, wovon sie aufgewacht ist, registriert aber, das es noch mitten in der Nacht sein muss. Im Zimmer ist es beinahe vollkommen dunkel. Lediglich im oberen Bereich des Fensters gegenüber drückt sich ein Hauch von Mondlicht durch die beiden letzten Reihen des nicht ganz geschlossenen Rolladens, ein Punkt, an dem sich ihr Blick orientieren kann.

Sie will sich gerade wieder umdrehen, um weiterzuschlafen, als sie den Atem anhält. Ihr Name ... Hat da jemand ihren Namen gesagt? Nein, nicht gesagt. Geflüstert. Irgendwo außerhalb des Schlafzimmers.
Sie richtet sich ein Wenig im Bett auf und lauscht angestrengt in die Dunkelheit, während ihr Herz schneller schlägt. ,,Emily..." Da ist es wieder. Es klingt fremd, lockend.
,,Emmmmily..."

Ein eiskalter Schauer kriecht ihr über den Rücken, auf ihrer Stirn bilden sich winzige Schweißperlen.
Nein, das ist kein Traum. Jemand ist in ihrer Wohnung und diese Gewissheit jagte ihr Angst ein, als sie je zuvor gehabt hat.

Dann plötzlich taucht dieser Gedanke auf, der die einzig logische Erklärung liefert und sie gleichzeitig beruhigt.
Florian. Er weiß, wo der Ersatzschlüssel versteckt ist. Sie hat es ihm gesagt, falls er mal unangemeldet vorbeikommen möchte.
Und genau das ist jetzt der Fall. Er ist gar nicht in Rom. Das war nur ein Vorwand, um sie auf diese außergewöhnliche Art zum Geburtstag zu überraschen. Das passt zu ihm. Und das ist das einzig Wahrscheinliche.
Anders als der Gedanke, jemand würde Nachts lautlos in ihre Wohnung einbrechen, um dann im Wohnzimmer zu stehen und leise ihren Namen zu rufen. Das ist eher ein Setting für einen billigen Horrorfilm als die Realität, hier in der Wohnung.

Deshalb hat Florian sich also nicht gemeldet und war auch nicht zu erreichen. Wahrscheinlich steht er - mit einem riesigen Blumenstrauß in den Händen - feixend im Wohnzimmer.
,,Florian?" Sie bemerkt, das sie nur geflüstert hat, und wiederholt seinen Namen lauter. Lauscht wieder angestrengt. Nichts. Sicher hat er große Mühe, sein lachen zu unterdrücken, während er auf sie wartet.

Sie schlägt die Bettdecke zurück und schwingt ihre Beine aus dem Bett. Trotz der plausiblen Erklärung erschauern sie, als ein kalter Windhauch sie gestreift, als sie ihr Schlafzimmer verlässt.

Im Wohnzimmer knipst sie die Stehlampe neben der Tür an und sieht sich erwartungsvoll um, doch...da ist niemand. ,,Florian?", fragt sie abermals, nun wieder unsicher. ,,Ich weiß doch, das du da bist. Nun komm schon, zeig dich. Mach mir keine Angst."

Die Stille im Raum erscheint ihr mit einem Mal unnatürlich. Körperlich. So, als presse jemand Watte gegen ihre Ohren. Erneut beschleunigt sich ihr Herzschlag, steigert sich zu einem Wummern, das die bedrückende Stille zwar unterbricht, die situation allerdings nicht besser macht. War da ein Knacken? Hatte sich neben ihr etwas bewegt?
Nein. Oder?
,,Emily!"

Sie stößt einen spitzen Schrei aus und weicht unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Stimme ist weiblich, und die Art, wie sie ihren Namen flüstert, klingt...irre. ,,Du wolltest wissen, wie spät es ist." Die Haare auf Emily's Armen richten sich auf. Ella! Ihr Blick fällt auf den Smart Speaker. Das ist ja vollkommen verrückt...
,,Ja" antwortet sie leise und wunder sich, wie dünn ihre Stimme klingt.

,,Es ist Zeit für dich zu sterben Emily"
Ihr stockt der Atem, der Raum beginnt sich zu drehen, ihre Hand tastet nach dem Türrahmen, sie stützt dich daran ab.
,,Was?" flüstert sie kaum hörbar.
,,Du wirst ster-ben" flüstert die Ella-Stimme in einem absurden Singsang. ,,Er kommt dich holen."
Emily's Herz hämmert gegen ihre Rippen, das Atem fällt ihr schwer. Eine Schlinge legt sich unnachgiebig um ihre Brust und zieht sich zu, enger und enger.

,,Wer...sind Sie?"
,,Du kennst mich,Emily..." Aus dem Flüstern ist ein säuselndes Wispern geworden. Schlimmer noch- es ist nicht mehr Ellas Stimme, die da zu ihr spricht. Sie ist nun männlich, und Emily kennt sie wirklich. Aber...
,,Du wirst Sterben. Bald...bald komme ich dich holen."

Sie spürt, wie etwas in ihr geschieht. Es ist wie ein Schalter, der sich ohne ihr Zutun umlegt. Sie stößt sich vom Türrahmen ab, ist mit wenigen schnellen Schritten an der Kommode, greift mit zitternden Händen nach dem Kabel, mit dem Ella am Netz hängt, und reißt mit einem wilden Ruck den Stecker aus der Dose.

Dann hebt sie den Lautsprecher hoch und wirft ihn mit aller Kraft auf den Boden, wo er regelrecht explodiert, als wäre ein kleiner Sprengkörper gezündet worden. Sie steht da und start das aufgeplatzte Gerät an, aus dem kleine Bauteile an Drähten heraushängt. Wie Gedärm aus einem aufgeschnitten Bauch, denkt sie.
,,Ella?" Sie wartet, fünf Sekunden...zehn. Nichts. Den Blick noch immer auf das zerstörte Gerät gerichtet, das plötzlich von einer feindlichen Aura umgeben zu sein scheint, macht sie einen Schritt zurück, noch einen und einen weiteren.
Schließlich wirft sie sich herum und läuft auf unsicheren Beinen ins Schlafzimmer, wo sie ihr Mobiltelefon abgelegt hatte.
Sie muss die Polizei rufen.
Das Gerät liegt neben der Lampe aus dem Nachtschränkchen. Der Anblick des Schwarzglänzenden Displays wirkt beruhigend. Ihr Rettungsring in diesem Horrorszenario. Als sie gerade mit zitternden Händen danach greifen möchte, leuchtet der Display plötzlich auf, und eine männliche Stimme aus dem winzigen Lautsprecher flüstert: ,,Das nützt dir nichts. Du wirst sterben. Ich komme dich holen. Bald."

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