Twice - My first Love

Fine

»Ich meine es ernst. Wenn du nicht sofort aufstehst, fahren wir ohne dich, Biene.«, ruft Miles, während er an meiner Zimmertür vorbeihastet und anschließend die Treppe heruntertrampelt. Seufzend schlage ich die Decke zurück und starre missmutig an die weiße Decke über mir.

Warum muss die erste Vorlesung nach den Semesterferien auch unbedingt so früh am Morgen stattfinden? Gibt es keine Regel, die solche Grausamkeiten verbietet?

»Biene, ich zähle bis drei, wenn du dann nicht im Badezimmer bist, komme ich eigenhändig hoch und schmeiße dich aus dem Bett.«, schreit Miles von unten. Wieso wohnt der überhaupt noch zuhause und raubt mir meinen Schlaf? Sollte man mit 21 nicht längst ausgezogen sein?

»Hör auf deinen Bruder, Fine.«, schallt jetzt auch Moms Stimme durchs Haus, auch wenn sie eher amüsiert klingt. Natürlich findet sie das lustig. Was auch sonst. Kommt nicht mal auf die Idee ihren Sohn zu maßregeln, weil er mich geweckt hat. »Ja, genau. Hör auf deinen großen Bruder, der dich netterweise mit zur Uni nimmt.«, gibt Miles wieder seinen Senf dazu und ich zeige ihm durch meinen Zimmerboden hindurch den Mittelfinger.

Dann setzte ich mich stöhnend auf und schwinge die Beine vom Bett.
Ich greife nach den Klamotten, die ich mir gestern bereits zur Seite gelegt habe, damit ich heute länger schlafen kann und schlüpfe über den Flur hinweg ins Bad. Erst, als das warme Wasser auf meinen Kopf prasselt, bilden sich klare Gedanken in meinem Kopf.

Es kommt mir fast unwirklich vor, dass ich schon mein drittes Semester an der Uni beginne. Viel zu schnell sind die letzten beiden Jahre an mir vorbeigezogen.

Zwei Jahre. Ein merkwürdiges Gefühl der Schwere überkommt mich, während mir bewusst wird, dass es bereits so lange her ist, dass er ohne ein Wort aus meinem Leben verschwunden ist.

Weltreise mit der Familie heißt es bei uns im Viertel. Dass das nicht so ganz stimmt, war spätestens klar, als Mom merkwürdig herumgedruckst hat, nachdem wir sie gefragt haben, ob sie wüsste, wo die ganze Familie Harris so plötzlich hin verschwunden ist. Was wirklich los war, wollte sie uns dann aber doch nicht sagen.

Ein Schauer überläuft mich, als die Erinnerungen an diese dunkle Zeit hochkommen. Wochenlang war ich nur ein Schatten meiner selbst, habe nächtelang geweint, weil ich nicht wusste, was ich falsch gemacht habe. Warum er einfach gegangen ist, nachdem er mir endlich gesagt hat, dass er mich liebt. In dieser Zeit ging es mir so schlecht, dass ich sogar Miles erklärt habe, was mit mir los ist.

Entgegen meiner Erwartungen war er nicht mal sauer. Stattdessen hat er mich – ganz der große Bruder – in den Arm genommen und sich all das angehört, was ich über ihn und mich zu sagen hatte. Sogar Noah hat er bis heute nichts von der Sache erzählt.

Ein lautes Hämmern an der Badezimmertür reißt mich aus den trüben Erinnerungen und holt mich wieder ins hier und jetzt. Beinahe atme ich erleichtert aus, als ich realisiere, dass ich diese schlimmen Zeiten hinter mir gelassen und endlich mit dem Thema abgeschlossen habe.

»Biene, echt jetzt. Willst du dich unter der Dusche ertränken oder provozierst du mich extra, damit ich ohne dich fahre und du dich wieder ins Bett verziehen kannst?«
Jetzt, wo er es anspricht, wäre das vermutlich gar kein so schlechter Plan. »Denk gar nicht mal dran.«, ruft Miles auf der anderen Seite der Tür genervt, da er mein Schweigen genau richtig gedeutet hat.

Seufzend mache ich das Wasser aus und wickle mich in ein dickes Handtuch. »Ich komm ja schon.«

»Das will ich auch hoffe.«, höre ich ihn draußen murmeln, bevor seine Schritte sich entfernen und kurz darauf die  Treppe herunterpoltern.

Schnell putze ich mir die Zähne, dann schlüpfe ich in die weite schwarze Stoffhose und ziehe ein weißes Tshirt drüber. Meine Haare föhne ich innerhalb von wenigen Minuten so, dass mir meine Bangs frech ins Geischt fallen.