Dienstag, 24. Juli 1945

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Dienstag, 24. Juli 1945

Heute war mein sechzehnter Geburtstag. Mutti weckte mich am Morgen mit einem Kuss auf die Stirn, wie sie es immer getan hat, als ich ein kleines Mädchen war. Die Betten von Oskar und Gerda waren schon leer und die Sonne schien hell durchs Fenster, an dem jetzt kein Verdunkelungsrollo mehr hängt.

Ich sprang aus dem Bett und zog mich rasch an. Leider war mein Lieblingskleid in den Ruinen unseres Hauses verschollen, aber heute machte mir das nichts aus. Ich war nur dankbar, dass wir keinen Krieg mehr hatten. Nur Vati fehlte, genau wie jede Nachricht von ihm.

Wegen der Essensrationierung erwartete ich kein großes Geburtstagsmahl, als ich in die Küche trat. Dort saßen bereits alle um den Tisch herum. „Leider konnte ich dir keinen Kuchen backen", sagte Omi und gab mir einen Kuss auf die Stirn.

„Das macht doch nichts."

Es machte mir wirklich nichts aus, meinen sechzehnten Geburtstag auf so einfache Weise zu feiern – mit Butterbrot und Körnerkaffee. Und ohne Geschenke, denn woher sollen wir die nehmen, wenn wir erst einmal neue Möbel für unseren Haushalt beschaffen müssen?

Plötzlich fiel mein Blick auf die Person, die auf der Seite der Eckbank saß, die ich von der Tür aus nicht sofort gesehen hatte. Ich stockte. Der struppige schwarze Schnauzbart verbarg das Lächeln seiner Lippen, nicht jedoch das seiner Augen. Mein Mund klappte auf.

„Onkel Philip!", rief ich.

„Ja, das bin wohl ich. Leider nur ein zäher alter Onkel, kein saftiges Stück Kuchen. Aber ich hoffe, du nimmst auch mit mir vorlieb."

Ich blickte Mutti fragend an. Sie lächelte mir zu und nickte. Dann fiel ich Onkel Philip um den Hals, der sich halb erhoben hatte und von dem Schwung fast umgeschleudert wurde.

„Immer langsam, Madam", sagte Onkel Philip lachend.

Ich setzte mich gegenüber von Onkel Philip an den hübsch gedeckten Tisch mit der Spitzentischdecke und einer Vase voller Glockenblumen, meinen Lieblingsblumen. Das einfache Frühstück schmeckte heute wie ein königliches Festmahl.

Auch wenn Vati nicht hier sein kann, jetzt haben wir wenigstens unseren Onkel wieder.

Luises Tagebuch - Meine Welt in TrümmernWhere stories live. Discover now