20|| SCHÜCHTERN UND GOLD WERT

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Amanda

Kaum sind meine Eltern zur Arbeit verschwunden, schlage ich die Haustür zu und hechte nach oben.

Dass meine Eltern so seltsam verständnisvoll reagiert und Dad sogar noch nett zu Carter war, verwirrt mich noch immer. Aber ich werde Dad in den nächsten Tagen auf den Zahn fühlen.

Jetzt interessiert mich vielmehr, wie gut oder schlecht Carters Großmutter unsere Abwesenheit aufgenommen hat.

In meinem Zimmer angekommen, stürme ich zum Fenster, ignoriere das beleidigte Grummeln von Morle, als ich sie vom Fensterbrett scheuche und kurz darauf mein Fenster öffne.

So komisch es auch ist, aber Carter und ich haben es in der Zeit von einem Monat noch nicht mal geschafft, Handynummern auszutauschen. Irgendwie war das gar nicht nötig.

Wir sind uns anders über die Wege gelaufen, haben verbal kommuniziert und nicht über das Internet.

Es klingt irgendwie veraltet, aber es fühlt sich gut an, nicht dem Klischee zu entsprechen und sich jeden Tag einen Snap mit ganz vielen Herzen zu schicken.

Es reicht ein persönlicher Handkuss am Morgen und ein Hallo durch das Fenster.

Irgendwie ist das romantisch und süß zugleich. Aber vermutlich sehe nur ich das so.

Der Hebel des Fensters gegenüber wird aus seiner Verankerung gehoben und keine zwei Sekunden später, klappen die Fensterscheiben zur Seite und Carters Kopf schiebt sich zwischen den Vorhängen hervor.

Anscheinend hatten wir denselben Gedanken.

»Und?«, frage ich neugierig und setze mich wie gestern auf das Fensterbrett.
Carter tut es mir nach.

»Sie meint, sie habe einen Herzinfarkt erlitten, dann mitbekommen, dass du auch fehlst, ein wenig gerechnet und sei schlussendlich zu dem Ergebnis gekommen, dass alles okay ist. Sie saß mit Kaffee und frischen Brötchen am Esstisch und hat mir ein Hörnchen angeboten.«

Wir beginnen zeitgleich zu lachen.

Ja, das klingt ganz nach Melania. Sie ist eine verrückte, schlaue und verständnisvolle Frau und Großmutter.

»Und bei dir? Waren deine Eltern doch sauer?«

»Nein, nur besorgt. Sie meinten, sie seien auch einmal jung gewesen und ich solle es nicht zur Gewohnheit werden lassen, aber an sich sei ja niemand gestorben.«

»Na, siehst du! Ich habe dir gesagt, dass du nicht stirbst.«

Carter lächelt halbherzig.

»Ja, das hast du. Eine kleine Strafe habe ich trotzdem. Ich muss Leo vom Kindergarten abholen, einkaufen gehen und darf bis heute Abend Babysitten, weil meine Eltern arbeiten sind.«

Ich lasse es ein wenig genervter klingen, als es tatsächlich ist. Immerhin ist Leo meine Schwester und ich passe grundsätzlich gerne auf sie auf. Ich liebe sie.
Sie kann nur, wie jedes kleine Kind, mit der Zeit ein wenig anstrengend werden.

»Wie wäre es, wenn wir das Leid halbieren. Ich komme mit und helfe dir!«, schlägt Carter vor und sieht mich fragend an.

SHOULDER TO SHOULDERWo Geschichten leben. Entdecke jetzt