Kapitel 15

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Ein paar Tage später war Sonntag und als ich aufwachte, war meine Stimmung schwer. Auch mein Körper fühlte sich seltsam träge an. Es war, als wäre ich über Nacht zwanzig Jahre gealtert. Als ich es endlich aus dem Bett schaffte, war es fast zwölf. Ich schlurfte in die Küche und hoffte inständig niemandem zu begegnen. Der heutige Tag war nicht zum Plaudern gemacht. Ich wollte mir einen Kaffee machen und mich zurück ins Bett verkriechen. Zu meinem Glück schienen Raphi und Henry beide nicht da zu sein, ihre Zimmertüren standen offen und die Wohnung war still. Also machte ich mir in der Küche einen Kaffee, schnappte mir einen Apfel, in den ich einmal reinbiss und ihn danach gelangweilt weglegte und ging dann auf den Balkon, um eine zu rauchen. Es war schwül. Die Sonne schaffte es nicht, sich durch die Wolken zu kämpfen, also war es ungewöhnlich dunkel. Es roch ein wenig nach Regen und ich hoffte auf ein Gewitter.

Jelto hatte auf meine Frage, ob er mit ans Meer fahren wollen würde, sehr unverbindlich reagiert. Eine seiner typischen Mal sehen was dann ist  Antworten, hatte er mir gegeben und ich hatte mit den Schultern gezuckt und das Thema gewechselt, damit er nicht sah, wie enttäuscht ich war. Ich wusste, dass er sich ungern festlegte, aber konnte er es nicht einmal tun, für mich?  

Ich drückte meine Zigarette aus und ging zurück in mein Zimmer. Ich machte Musik an und kurz danach wieder aus. Ich setzte mich aufs Bett und nahm mir das Buch, das ich vor einigen Tagen angefangen hatte zu lesen, doch stellte bald fest, nachdem ich einen Satz drei mal gelesen hatte, ohne zu wissen was darin stand, dass es keinen Sinn machte. Vielleicht sollte ich Mel anrufen, doch reden war mir gerade zu anstrengend. Außerdem war ich heute wohl auch kein guter Gesprächspartner. Ich nervte mich ja bereits selbst, da sollte ich Mel besser verschonen. Ich dachte darüber nach, wann ich meine Eltern mal wieder besuchen sollte. Meine Mutter hatte mir vor ein paar Tagen geschrieben, dass ich doch zum Abendessen vorbeikommen sollte. Ich fühlte mich nicht danach, am liebsten war ich dauerhaft mit Jelto zusammen. Ich konnte mich Tage damit beschäftigen, einfach bei ihm zu sein.

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf und klappte meinen Laptop auf. Wenn ich schon in schlechter Stimmung war, dann konnte ich wenigstens ein bisschen was für die Uni erledigen. Ich schrieb ein paar Emails, die ich schon längst hätte schreiben sollen und öffnete dann das Dokument mit meiner Hausarbeit. Doch auch hier reichte meine Konzentration nicht aus, wie ich schnell bemerkte. Ich dachte wieder an Jelto. Er hatte mir gesagt, dass er skaten gehen wollte und vielleicht traf er ja Henry und Raphi im Skatepark. Ich überlegte kurz, ob ich dort vorbei gehen sollte, entschied mich aber dagegen. Es war ein bisschen so, als würde Jelto schon immer hier mit uns in Berlin wohnen. Er bewegte sich mit einer Selbstverständlichkeit in der Stadt und innerhalb meiner Freundesgruppe, als wäre er schon lange Teil davon.

 „Berlin ist ein Fleck zum Verweilen" hatte er mal gesagt und ich hatte gelacht und ihm geantwortet, dass er mit dieser Meinung wohl ziemlich allein dastand. Für viele war Berlin eher ein Ort zum Ausprobieren, zum Jung-sein, zum Durchreisen. Ein Ort für einen Lebensabschnitt. Doch war Berlin ein Ort zum Ankommen? Ich lebte schon immer hier und hatte viele Menschen kommen und gehen gesehen. Menschen Anfang 20, die ein Studium beginnen, feiern gehen und mal hier mal da schlafen, junge Familien, diesich am Prenzlauer Berg eine schicke Wohnung nehmen, ehe sie doch aus der Stadtraus ziehen, Singles mittleren Alters die einen neuen Job anfangen, der am Endedoch nichts für sie ist, ich könnte die Liste ewig weiterführen. Oder war dasein getrübtes Bild von der Stadt, in der ich zuhause war? Ich wünschte mir,dass Jelto es so gemeint hatte. Dass Berlin für ihn ein Ort zum Verweilen war-und zwar länger als einen Sommer lang.

TrifoliumWhere stories live. Discover now