Legenden leben nicht (Teil 2)

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In dem Haus neben ihr klingelte es leise.

Die Assassinin spitzte die Ohren und ging automatisch langsamer, obwohl ihre Schritte auf der dicken Schneedecke kaum einen Laut verursachten. Sie wandte den Kopf nach rechts und erkannte in einem der kaputten Gebäude ein Feuer brennen. Die Tür war aus den Angeln gerissen und lag einige Meter entfernt auf dem Boden und war zum Teil wohl zu Feuerholz verarbeitet worden, doch der Eingang war freigeschaufelt und wirkte beinahe schon einladend. Vor dem kleinen Feuer saß eine Gestalt, die sich einen Mantel locker um die Schultern geschlungen hatte und einen Stoffballen in den Händen hielt, der beim Bewegen eben dieses leise Klingeln von sich gab.

Tango schnaubte aus und scharrte mit den Hufen.

Du musst diesem Pferd noch einiges beibringen. Lumen stöhnte, als die Gestalt den Kopf hob und in ihre Richtung sah. Eve starrte zurück und erkannte im Schein des Feuers unheimliche Zeichnungen auf dessen Gesicht. Die Augen waren umrandet von einer dunklen Farbe, ebenso wie die Lippen und gaben dem Mann ein gespenstiges, unwirkliches Aussehen. Die Hautfarbe war unnatürlich hell, selbst in dem warmen Licht und erst jetzt fielen Eve die dunklen Flecken auf der Kleidung des Mannes auf.

Nun, egal, wie gefährlich eine Person aussehen mochte, sie hatte keine Angst.

Mutig streckte sie das Kinn vor und ging ein paar Schritte auf ihn zu.

„Hübsches Feuer", sagte sie mit selbstbewusster Stimme. „Es ist schwer, eines zu entfachen, wo alles so nass und kalt ist."

„Ich brauche es eigentlich nicht", antwortete der Mann mit nachdenklicher Stimme.

„Ich gucke nur gerne den Flammen zu, wie sie das Holz fressen. Ich bin am Überlegen, ein Lied darüber zu schreiben. Brennende Zähne und heiße Krallen könnte ich es nennen. Das Feuer, es ist unerträglich heiß; die Krallen, sie brennen, was für ein scheiß."

Eve überlegte ernsthaft, ob der Mann vor ihr einen schlechten Scherz machte oder nicht. Dabei betrachtete sie ihn genauer:

Er schien ungefähr im gleichen Alter wie sie selbst zu sein, auch wenn es durch seine Schminke nur schwer einzuschätzen war. Eve betrachtete die aus zwei unterschiedlich farbigen Stoffen hergestellte Kleidung – Schwarz und Rot – dann wanderte ihr Blick wieder zu dem klingelnden Gegenstand in seinen Händen. Ein oder zwei Glöckchen lugten unter der Stoffmasse hervor und Eve meinte, eine Art Kopfbedeckung ausfindig zu machen.

Eve atmete aus.

„Ihr seid ein Narr", meinte sie und ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. Narren waren alles andere als gefährlich; sie wurden schon beinahe wie Haustiere von dem Adel gehalten, mussten Kindermädchen spielen und für Unterhaltung sorgen. Sämtliche Narren im Land gehörten der Narrengilde an, dessen Anführer der Narrenkönig Goldvogel darstellte.

Der Mann senkte den Kopf. Der orangene Schein der knisternden Flammen ließ sein nussbraunes Haar beinahe golden wirken; seine Frisur war unordentlich, jedoch nicht ungepflegt, und mit einer Hand fuhr er sich über den Kopf, brachte den Strähnen noch viel mehr Unordnung als so schon.

„Ich war einer. Zumindest offiziell", antwortete er.

Eve forstete in ihrem Gedächtnis nach Informationen, aber sie hatte sich nie für diese lächerliche Narrengilde interessiert und war deswegen nicht auf dem aktuellen Stand.

„Was meint Ihr damit?", fragte sie.

„Goldvogel war der Meinung, ich passe nicht mehr in die Gilde herein. So ist es, wenn man eine andere Meinung vertritt." Der Narr lehnte sich leicht zurück und stützte sich mit den Händen am Boden ab. Beinahe schon verschwörerisch blickte er zu der Schattentänzerin. „Deswegen trage ich auch das Schwarz. Nur ein ausgestoßener Narr darf diese Farbe anlegen."

LichtritterWhere stories live. Discover now