Sandkörner (Teil 4)

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Shaulee half Nora, sich die Haare in einem hohen Pferdeschwanz zu frisieren. Ein paar herausgefallene Strähnen flocht sie zusammen, sodass sie sanft auf ihren Schultern zu liegen kamen. Ihre Freundin selbst trug die Haare offen, sodass sie wie ein glänzender schwarzer Vorhang über ihren Rücken fielen. Ihr purpurrotes Tanzkostüm schmiegte sich an sämtliche Kurven ihrer Figur und vervollständigt wurde das Bild von etlichen Ketten und klimpernden Armbändern, sowie ihre Glöckchen um die Fuß- und Handgelenke.

Nora trug ihr lavendelfarbendes Kleid, das den Bauch offen ließ, bis zu den Oberschenkeln geschlitzt war, sodass ihre Beine immer wieder hervorblitzen konnten. Shaulee schminkte sie mit schwarzem Puder und verwandelte sie von dem fünfzehnjährigen Mädchen, das sie ja war, in eine deutlich älter aussehende Frau. Nora erkannte sich selbst im Spiegel nicht wieder; die Frau mit den Katzenaugen, den dicken, violett geschminkten Lippen und der freizügigen Kleidung ließ sich einfach nicht mit ihrer Person vereinbaren.

Shaulee, die selbst mit dem ganzen Schmuck und der Schminke so aussah wie sonst auch, stand musternd vor ihr und nickte schließlich zufrieden.

„Du kennst die Schritte?", fragte sie und ließ sich auf eines der Divane gleiten, streckte sich wie eine erhabene Göttin aus und griff nach einer Schale mit Weintrauben.

„Ich glaube schon." Nora wurde nervös und spielte mit den Kordeln der Vorhänge herum, die die Tänzerinnen vor der neugierigen Außenwelt versteckten. Shaulee seufzte schwer auf, dann meinte sie: „Versuch zumindest, alles richtig zu machen. Es sieht nicht schön aus, wenn wir beide unterschiedlich tanzen."

Nora nickte; oft genug hatte Dajana sie gescholten, weil sie nicht im Takt bleiben konnte und Keanu hatte sie stets ermuntert, immer weiter zu üben.

„Das kommt schon", hatte er gesagt, „als ich in deinem Alter gewesen bin, bin ich auch nicht gerade der hellste Stern am Himmel gewesen!"

Sie würde gerne wissen, was ihr Anführer eigentlich getan hatte, bevor er nach Arensentia gekommen war. Aufgrund seiner hellen Hautfarbe und dem bläulichen Stich in seinen dunklen Haaren schloss sie, dass er aus Amphitrite stammte, wobei er nicht mit diesem Akzent sprach. Überhaupt wusste sie so ziemlich nichts über Keanu, nicht einmal, wie alt er tatsächlich war. Sie selbst schätzte ihn auf dreißig, vielleicht fünfundreißig Sommer, doch selbst Dajana und Shaulee hatten nur mit den Schultern gezuckt, als die Frage einmal aufgekommen war. Im Geiste ging Nora noch einmal die Schritte durch und sie wurde immer nervöser; was, wenn Khasib es nicht gefiel? Was, wenn sie sich vertat, oder schlimmer noch, Shaulee behinderte? Wie war es überhaupt, wirklich aufzutreten? Bisher hatte Nora nur an einzelnen Männern geübt, Freunde von Keanu, Shaulee und Dajana, die regelmäßig in ihrem Haus ein und aus gingen. Doch jetzt stand sie einem Fremden gegenüber, einem Mann, von dem sie nicht einmal wusste, wie genau er aussah...

„Entspann dich", hörte sie Shaulees Stimme und sie hörte sich so an, als käme sie durch eine zähe Masse hindurch. „Du bist hübsch genug, dass man dir kleine Fehler verzeihen wird."

Nora hob den Kopf und wollte etwas erwidern, als über ihnen deutliche Fußstapfen zu hören waren. Anhand der Lautstärke glaubte Nora nicht daran, dass es ein Mensch gewesen war, und wenn doch, dann ein ziemlich großer und kräftiger. Sie blickte nach oben und fragte: „...wohnen hier noch mehr außer Khasib und seine Diener?"

„Ich glaube nicht." Shaulee war entspannt und gähnte kurz. „Wahrscheinlich nur jemand, der das Zimmer putzt. Ach, bin ich froh, diese Aufgabe nicht mehr machen zu müssen!"

Bevor Shaulee zu Keanu gegangen war, war sie eine einfache Hausmagd gewesen, mit einem Lohn, über den sie heute nur abfällig schnaubte. Keanu bezahlte sie zwar nicht dringend besser, aber ihre Kunden steckten ihr gerne ein oder zwei Goldmünzen mehr zu, wenn sie ihre Aufgabe besonders gut machte.

LichtritterWhere stories live. Discover now