Keine Monster (Teil 1)

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Es war ein Scheusal.

Ein über acht Fuß großes Monster, das sich da liegend am Boden vor Eve befand. Wie zu einer Steinsäule erstarrt stand die Schattentänzerin im gemütlichen, warmen Zelt und starrte diesen Aatos an.

Seine waldgrünen Schuppen besaßen einen bräunlichen Ton, sowie einen grauen Schleier, der alles zu überdecken schien, was ein relativ hohes Alter erahnen ließ. Seine Arme und Beine waren dick und besaßen eine annähernd gleiche Länge, sodass sich das Scheusal auf zwei und vier Beinen gleichermaßen gut fortbewegen konnte. Sie endeten in gewaltigen, riesigen Klauen, an dessen fünf Finger obsidianschwarze, handlange Krallen gefährlich aufblitzten. Auf seinem Rücken zog sich ein kleiner Dornenkamm, wie man ihn von Drachen kannte, der jedoch weich und flexibel zu sein schien und keine wirkliche Bedrohung darstellte. Aatos' Kopf war dreieckig, mit kurzer Schnauze; unter der Oberlippe schoben sich mehrere kleine, spitze und mit rötlichem Sabber bedeckte Zähne hervor, seine mit Eiter verklebten Nüstern öffneten sich unter jedem schweren, rasselnden Atemzug, den das Scheusal von sich gab. Die Augen hingegen blickten Eve vollkommen klar an, eine faszinierende Mischung aus haselnussbraun und himmelblau, die Pupille rundlich und sie selbst fixierend.

...es war seltsam, in menschliche Augen bei einem solch mutierten, fremdartigen Gesicht zu blicken. Es war der einzige Beweis dafür, dass Aatos einst ein richtiger Mensch wie sie selbst gewesen war, ehe er von den Alchemisten zu einem solchen Monster gemacht wurde. Sie selbst hatte fest an der Überzeugung festgehalten, dass diese Wesen schon lange nicht mehr lebten, doch sie wurde just in diesem Moment eines Besseren belehrt.

„Du bist also die Schattentänzerin..." Aatos' Stimme klang krächzend und rau, als habe er tagelang nur geschrien. Zwischen jedem Wort machte er einen tiefen Atemzug, rasselnd und keuchend, und es wirkte, als würde ihn jede nur kleinste Bewegung zutiefst anstrengen. Eve sah sich die verklebten Nüstern noch einmal genauer an und nahm an, dass das Scheusal wohl an etwas erkrankt war, weswegen es sich nun in einer so schlechten Verfassung befand.

„Mein Name ist Eve." Normalerweise war ihre Stimme stark, mutig und selbstbewusst, doch dieses Mal flüsterte sie nur. Auch wenn Aatos seine glanzvollen Jahre bereits hinter sich gebracht hatte, war er mit Sicherheit noch immer stark genug, um sie mit einem einzigen Schlag umzubringen. Es hieß, Scheusale waren enorm aggressiv und kampflustig; sie dürsteten nach dem Blut ihrer Feinde und sonnten sich in deren qualvollen, schmerzhaften Schreien.

Aatos bewegte sich ein wenig und Eve erhaschte einen Blick auf seine linke Schulter; die Schuppen dort wirkten deformiert und hatten sich regelrecht schwarz verfärbt, während ein helles Narbengeflecht auf ihnen ausgebreitet war und einer beinahe schon marmorierten Struktur glich. Hatte das Scheusal deswegen solche Probleme mit der Bewegung? Schmerzte ihn diese uralte Verletzung immer noch? Und... woher hatte er sie überhaupt bekommen? Diese Wesen waren als die perfekten Soldaten gezüchtet worden und angeblich hatten selbst zehn Soldaten auf einmal sie nicht besiegen können.

Das Scheusal richtete sich auf, sodass es auf den Hinterbeinen zum Sitzen kam. Die Arme hatte Aatos auf den Knien abgelegt, die Krallen berührten beinahe den Boden. Er überragte Eve um mehrere Köpfe und linste nun zu ihr herunter, während die Assassinin den Kopf in den Nacken legen musste, um in die unheimlichen, menschlichen Augen zu blicken.

„Es heißt, der Mord an Prinz Serage gebührt deiner Ehre."

Eve schlug die Augen nieder. Sie wusste nicht so recht, ob es klug war, Feyjassan zu erwähnen – immerhin war der Mann ein Alchemist gewesen und konnte dem Scheusal ziemlich gut bekannt sein. Und so, wie es aussah, würde es Feyjassan bestimmt nicht als guten, alten Freund ansehen.

„Ich bin talentiert. Ich bin fähig. Ich bin nützlich", sagte sie stattdessen und schaffte es, ihre Stimme ein wenig dunkler klingen zu lassen.

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