Kapitel 20 ~ Kraftakt

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Tatsächlich hatte ich lange überlegt, ob ich diesen Schwachsinn mitmachen würde.

Den gestrigen Abend verdrängte ich es und auch den ganzen Tag heute wollte ich mich nicht wirklich damit befassen.
Aber als es schließlich später Nachmittag geworden war, dachte ich nach.
Lust hatte ich überhaupt keine, dennoch weckte es mein Interesse.
Es war nur ein Training und wir waren nicht allein. Das bedeutete, er konnte mir nicht zu nahe kommen.
Und ein wenig Sport würde mich nicht umbringen, ganz im Gegenteil.
Ich hatte es bitter nötig.

Zwei Wochen würde ich ja wohl schaffen.
Also bitte.. So ein bisschen rumhampeln konnte doch schließlich jeder.
Es würde vielleicht ganz unterhaltsam sein, als würde ich mich normal beim Sport anmelden. Vielleicht waren auch noch ein paar Frauen mit dabei.
Matthew erzählte einmal, dass Nathaniel auch Frauen trainierte.
Nicht direkt Boxtraining, sondern anderweitigen Kampfsport und Selbstverteidigung.

Und wenn ich gewann, konnte ich diesen tollen Wagen fahren.
Und wenn Nathaniel dabei mit den Zähnen knirschte, war das noch besser für mich.

Also hockte ich überpünktlich 19:25 Uhr vor der großen grauen Tür zum Boxclub.
Ich überprüfte noch einmal, nervöserweise, meine Tasche und schaute, ob ich alles dabei hatte.

Turnschuhe, Leggings, Sport-BH, Shirt, Wasserflasche.
Zum Glück passten alle Klamotten noch vom Sportunterricht der Schulzeit, was mich sehr wunderte. Es war immerhin drei Jahre her.
Aber gut. Anscheinend hatte ich erstmal nicht zugenommen und kleine Erfolge sollte man bekanntlich auch feiern.

Die Tür hinter mir wurde aufgestoßen und ein Schwall warmer Luft kam mir entgegen. Verräterisch zuckte ich zusammen, als hätte man mich erwischt.
„Was suchst du denn? Nein, lass mich raten. Hast du die Reinigungsmittel für meinen BMW schon mit dabei?"

Und es beginnt, dachte ich genervt.
„Begrüßt du Leute eigentlich auch anständig oder hast du das nie gelernt?" konterte ich, ohne hochzuschauen. In Ruhe verschloss ich meine Sporttasche, stand auf, ging schnurstracks in die Halle und ignorierte ihn dabei völlig, während mein Herz wild in meinem Brustraum klopfte.

Jedoch versuchte ich mir meine gute Laune nicht verderben zu lassen. Nicht wenn ich die Chance hatte, ihm sein großes Maul heimzuzahlen.

„Du weißt, dass das ein Training ist und kein Date oder?" er ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und lief an mir vorbei. Ich folgte ihm zur Umkleide, die ich noch nie von innen gesehen hatte. Auf seinen dummen Spruch antwortete ich einfach nicht. Im Raum befanden sich um die 30 Spinde, manche mit Namen und die anderen mit Nummern, davor standen Holzbänke. Ich positionierte mich auf die hintere linke Bank. „Hier kannst du dich umziehen. In zwei Minuten bist du bei mir. Dalli!"

Das konnte ja was werden..

So schnell es ging, zog ich mich um. Aber ich überschritt deutlich die vorgegebene lächerliche Zeit von zwei Minuten. Etwas nervös trat ich hinaus und bemerkte Nathaniel, der mit Armen verschränkt und in seinem üblichen Sportoutfit gekleidet an der Wand stand und das Gerät in seiner Hand anstarrte, was verdächtig nach einer Stoppuhr aussah.

Der Typ hatte sie nicht mehr alle, dachte ich bei mir.

Wenigstens hatte er heute ein Shirt an.
Das beruhigte mich ein wenig.
Nicht auszudenken, was das für mich bedeuten würde, wenn er hier wieder halbnackt rumlief.

„Das ist dein Outfit zum Sporttreiben?" fragte er, als er mich dann endlich anblickte und sich von der Wand abstieß. Er stellte sich in die Mitte der Halle und musterte mich von unten bis oben.

Was war an meinen Klamotten so falsch?

„Irgendwie hatte ich mehr erwartet." fügte er hinzu und grinste spöttisch.
„Mehr?" fragte ich ihn und schaute an mir herab.
Gut, ich war komplett in schwarz gekleidet, aber das war doch nicht schlimm. Ich war hier um ihn zu vermöbeln, nicht um gut auszusehen.

Nathaniel - deep waterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt