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"Früher oder später müssen wir uns mit ihm auseinandersetzen, und das weißt du ebenso gut wie ich.", knurrte Jaques, doch Cassian blockte seine Überzeugungsversuche geschickt ab. "Dann lieber später als früher.", gab er bloß stoisch zurück, was Jaques gequält aufstöhnen ließ. "Zu Verleugnen das er hier ist bringt dich doch auch nicht weiter. Und du weißt wie er wird wenn er die Geduld verliert." Cassians Miene verdüsterte sich. "Glaub mir Jaques, niemand weiß besser zu was Dorian fähig ist, als ich." Darauf hatte sein alter Freund nichts mehr zu sagen, weshalb sich Cassian demonstrativ Richtung Tür wandte. "Wo willst du hin?", rief Jaques ihm noch hinterher, doch da war Cassian bereits bei der Tür. "Angeline.", antwortet er nur kurzangebunden und ehe sein Freund eine Möglichkeit hatte es ihm auszureden war er schon aus der Tür, die sich laut hinter ihm schloss. Jaques blieb alleine zurück und starrte auf die geschlossene Tür. Dann seufzte er einmal resigniert ehe er zu dem großen Flügel ging und damit begann gedankenverloren eine Melodie zu spielen. Die leise Musik drang bis an Cassians Ohren, der gerade ungeduldig auf den Aufzug wartete. Er kannte das Lied, es war eines von Jaques Eigenkompositionen. Früher hatte er es immer mit dieser schrecklichen Laute die Cassian so gehasst hatte gespielt. Seit Jaques das Klavierspielen für sich entdeckt hatte, war Cassian von der Laute verschont geblieben, und trotzdem erinnerten Jaques Lieder ihn jedes Mal wieder an alte Zeiten, damals, als sie noch sterblich waren. Als ihr kleiner Trupp wackerer Männer im Laufe des Kreuzzuges durch das Land reisten. Damals hielt er sie für ehrenwerte Krieger, die taten was getan werden musste. Stolze Männer, welche jeden Mann und jede Frau die dem Ruf der dunklen Religion gefolgt waren ohne Erbarmen abschlachteten. Und weswegen? Wegen den Flausen die Dorian ihnen eingepflanzt hatte. Er hatte sie alle manipuliert. Er hatte sie dazu gemacht, was sie heute sind, verflucht auf alle Ewigkeit, und das würde Cassian ihm nie verzeihen. Endlich öffnete sich der Fahrstuhl und er flüchtete hinein, flüchtete vor seinen Gedanken und vor der leisen Melodie, welche jene Erinnerungen die so tief in ihm verborgen waren, wieder zum Vorschein brachte.

Der Wind peitschte um sie herum während die kleine Gruppe in schnellem Galopp durch den Wald ritten. Zwölf Ritter hoch zu Ross, mit einem Auftrag, einer Mission, die Schergen der dunklen Religion vom Antlitz dieser Erde zu tilgen. Zwölf Waffenbrüder, die bereits seit Jahren Seite an Seite durch das Land reisten, auf ihren Kreuzzug zur Säuberung dieses Landes, ihres Landes. "Nicht schlapp machen, Brüder, wir sind bald am Ziel! Dort erwartet uns ein flackerndes Feuer, warmes Essen und jede Menge Wein!", rief ihr Anführer, allen voran an der Spitze ihres Trupps, noch so jung, und doch würden sie ihm überall hin folgen. Bis ans Ende der Welt und darüber hinaus. Ja, selbst in den Tod, denn sie wussten, es würde ein glorreicher Tod sein.

"Cassian? Cassian!" Angelines Stimme riss Cassian aus seinen Tagträumen und er blinzelte ein paar Mal verwirrt, ehe er sich wieder orientieren konnte. Angeline saß im Kaffee ihm gegenüber und sah ihn teils amüsiert, teils vorwurfsvoll an. "Wo bist du denn mit deinen Gedanken? Etwa bei Jaques?", fragte sie ihn schmunzelnd. "Was? Oh nein, nur in vergangenen Zeiten." Angeline hob neugierig eine Augenbraue und Cassian seufzte ehe er hinzufügte: "Vor kurzem ist ein...alter Bekannter aufgetaucht. Jemand den ich hoffte nie wieder sehen zu müssen." "Wie geheimnisvoll. Weißt du, ich werde aus Jaques und dir einfach nicht schlau. In einem Moment denke ich, ich hätte euch durchschaut, doch dann tut einer von euch etwas, oder sagt irgend etwas kryptisches, und schon stehe ich wieder am Anfang meines Lateins. Ehrlich gesagt bin ich manchmal gar nicht mal sicher das ihr beiden wirklich ein Paar seid. Oder schwul." Sie mustert Cassian eindringlich, in ihrem Blick zu gleichem Teil Neugier als auch Misstrauen. Das wäre nun seine Chance, ihr zu sagen, dass er und Jaques kein Paar sind, das er nicht schwul ist, das er nur sie begehrte. Doch irgendwas in ihm hielt ihn zurück, weswegen er nur antwortete: "Nun, wir sind beide große Mystery Fans, wir haben uns wohl ein paar Eigenschaften von unseren Lieblingscharakteren angeeignet." Innerlich verpasste er sich gerade selbst eine, doch Angeline schien es ihm ohne weiteres abzukaufen, denn sie brach in schallendes Gelächter aus. "Cassian Linné, du wirst mir wohl auf ewig ein Geheimnis bleiben." Cassian stimmte in ihr Lachen mitein, obwohl ihm ganz und gar nicht zum Lachen zumute war. Irgendwie verlief diese ganze Konversation nicht unbedingt so wie er es geplant hatte. Eigentlich verlief rein gar nichts in Bezug auf Angeline nach Plan. Ganz im Gegenteil, desto mehr er versucht, ihr näher zu kommen, desto mehr schien sie sich auf die Tatsache mit seiner kleinen Notlüge zu versteifen, die ihm immer mehr zum Verhängnis wurde. Doch als er in ihre Augen blickte, die belustigt funkelnden, während sie ihn anlächelte, waren plötzlich all seine Sorgen deswegen vergessen, und er versank einfach in ihrem Anblick.

Er  stand auf der anderen Straßenseite und beobachtete die beiden durch das Fenster. Sie lachte gerade und er saß einfach nur da und schmachtete sie an. Das war erbärmlich. Abscheu stieg in ihm hoch und vermischte sich mit Mitgefühl. Mitgefühl für seinen verlorenen Bruder, der doch allem Anschein nach vom rechten Weg abgekommen war. Ihm tat die Zeit nicht gut, er verweichlichte, wurde menschlich. Er konnte es nicht zulassen, er musste etwas dagegen unternehmen. Wenn sein Bruder nicht selbst einsehen will, was für einen schrecklichen Fehler er beging, indem er sich seinem Schicksal, seiner Bestimmung in den Weg stellte, musste er ihn dazu zwingen. Denn er würde sie alle brauchen, vereint, zielgerichtet. Er konnte es nicht gebrauchen ein schwarzes Schaf in der Herde zu haben, welches alles zunichte machte, was er sich all die Jahre über aufgebaut hatte, worauf er hingearbeitet hatte. Nichts und niemand würde sich ihm in den Weg stellen, erst Recht keiner seiner Brüder. 



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