2. 𝐾 𝑎 𝑝 𝑖 𝑡 𝑒 𝑙

35 7 0
                                    

"Ich soll was tun?"
Ich starrte zwischen den beiden Herren, die vor mir standen, hin und her.

"Du sollst Richard nach Schottland auf Glengorm Castle begleiten, denn dort findet nächste Woche eine Auktion statt."

Ich sah Mr Clarke verständnislos an. War ich nicht derjenige der nie zu etwas gebrauchen war und immer alles vermasselte?

Dieser schien wohl meinen verdatterten Gesichtsausdruck bemerkt zu haben und entgegnete darauf mit einem Lächeln: "Richard kann dir zeigen wie alles abläuft. Es wäre mal eine gute Abwechslung für dich als immer nur hier im Laden zu stehen."

Seinen Sohn schien er mit diesen Worten immer noch nicht damit überzeugt zu haben. Jedenfalls stand Richard mit verschränkten Armen vor mir und auf seinem hübschen Gesicht lag ein Ausdruck des Zweifels.

__________________________________

London, Bahnhof Liverpool Street, 1. Oktober 1932

Warum muss dieses verdammte Ding nur so schwer sein?Ächzend schleppte ich den riesigen Koffer hinter mir her und versuchte mit aller Kraft nicht einen der Passanten des überfüllten Bahnhof anzurempeln

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Warum muss dieses verdammte Ding nur so schwer sein?
Ächzend schleppte ich den riesigen Koffer hinter mir her und versuchte mit aller Kraft nicht einen der Passanten des überfüllten Bahnhof anzurempeln.

Leider sah ich durch den Koffer und die Menschenmassen nicht wo genau ich hintrat, übersah die Stufe die direkt vor mir gewesen sein musste, stolperte und verlor das Gleichgewicht. Mein Koffer rumste mit einem lauten Knall auf den Boden. Unglücklicherweise sprang der alte Verschluss sofort auf und der Inhalt breitete sich auf dem Boden aus.

Beschämt und mit rotem Kopf kniete ich mich hin und begann meine Kleidung vom Boden aufzusammeln und wieder zurück in den Koffer zu stopfen.
Warum musste mir immer so etwas passieren? Ich schien das Unglück geradezu magisch anzuziehen.

Wäre es nicht schon genug gewesen zwei Tage lang mit einem hochnäsigen Dreckskerl, den ich auf den Tod nicht ausstehen konnte, auf einem Schloss zu verbringen und alten hässlichen Kram zu ersteigern? Nein! Natürlich musste ich mich auch noch am Bahnhof vor halb London blamieren.

Alle Augen waren nun auf mich gerichtet und ich hörte Getuschel und Gelächter. Mein Gesicht war heiß vor Scham. Ich musste inzwischen wie eine überreife Tomate aussehen.
In dem ganzen Tumult bemerkte ich gar nicht wie sich plötzlich ein junger Mann mir gegenüber gekniet hatte und mir half die Sachen wieder sorgfältig in den Koffer einzuräumen.
Als der den Kopf hob und ich in seine Augen sehen konnte, hielt ich kurz inne.

Richard.

Dieser dumme Kerl sollte gefälligst seine Finger von meinem Gepäck lassen!

"Na Collins... Fünf Minuten hier und schon wieder etwas vermasselt."
Er grinste sein lächerliches Grinsen.
Ich riss ihm schweigend ein Hemd aus der Hand, legte es schnell zusammen, verstaute es in meinem Koffer und schloss diesen.

Richard seufzte. "Scheinst wohl nicht gut gelaunt zu sein, was? Wie eigentlich jeden Tag... Du bist mir suspekt, Collins."

Vielleicht wenn er mal seine arrogante und freche Zunge mir gegenüber zügeln würde.
Ich kochte innerlich vor Wut.
Jedoch ließ ich mir nach außen hin nichts anmerken, zuckte mit den Schultern und murmelte leise: "Nicht gut geschlafen."

"Es ist gleich neun Uhr. Unser Zug müsste jeden Moment eintreffen", bemerkte Richard, welcher seinen Koffer leichtfertig als wöge er nichts über seiner Schulter hielt.

"Richard, pass gut auf dich auf, ja?"
Seine jüngere Schwester Mildred, eine junge Frau mit kurzem braunen Haar, die ihn zum Bahnhof begleitet hatte, sah ihn aus besorgten Augen an.

"Millie, ich bin erwachsen, hast du das etwa vergessen?" Richard lachte und klopfte ihr auf die schmalen Schultern.

"Man erzählt sich so einige Dinge über Glengorm... Schreckliche Dinge."
Mildreds Stimme bebte und es schien ihr Ernst zu sein, denn als sie sich an mich wendete konnte ich sehen wie blanke Angst in ihren Augen lag.
"Augustus, bitte seit vorsichtig, versprichst du mir das?"

Ich nickte zögernd.
Ich mochte Mildred sehr. Sie war einer der wenigen Menschen, die mich nicht wie Schmutz behandelte. Ich hoffte schon seit Jahren, dass sie Gefallen an mir fand, jedoch ging sie mit dem reichen und verwöhnten Schnösel Raphael Shelby aus.

In diesem Moment traf unser Zug in den Bahnhof ein. Mildred zog ihren Bruder in eine hastige Umarmung und dieser murmelte undeutlich etwas wie: "Pass auf Mutter und Vater auf."
Schnell schnappte ich meinen Koffer und versuchte ihn mühsahm in das Zugabteil zu bugsieren.

Innen roch es nach abgestandener Luft und Zigaretten.
Ich ließ mich in einen der alten und schon etwas mitgenommen aussehenden Sitze fallen, lehnte mich zurück und hoffte, dass ich für die nächsten Stunden meine Ruhe haben würde.

Zu meiner Überraschung nahm Richard direkt auf einem der Sitze mir gegenüber Platz. Er verstaute den Koffer und streckte die Beine aus. Ich hoffte inbrünstig, dass er seinen Mund halten würde.

Gähnend kramte ich in meiner Manteltasche nach einem Taschentuch, als meine Fingerspitzen plötzlich auf etwas glattes stießen.
Stirnrunzelnd zog ich den Gegenstand hervor. Es war ein kleines blaues Buch, welches den Titel "Die Legende von Glengorm" trug.
Ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern das Buch eingesteckt oder gar jemals zuvor in meinem Leben gesehen zuhaben.

Ich blätterte kurz darin herum. Es zeigte alte Zeichnungen der Burg und ein Bild einer jungen blonden Frau Namens Lady Morgana McCaffield.

"Was hast du denn da?", fragte Richard neugierig und deutete auf das Buch.

"Nichts. Nichts besonderes."
Ich ließ es schnell wieder in der Innenseite meines Mantels verschwinden, bevor er noch weitere Fragen stellen konnte.

Das Buch musste mir Mildred vorhin unbemerkt am Bahnhof zugesteckt haben. Anders konnte ich mir es nicht erklären.

Eisige FlutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt