3. 𝐾 𝑎 𝑝 𝑖 𝑡 𝑒 𝑙

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Ich spürte warme Sonnenstrahlen auf der Haut und der kühle Wind, der mir durch das Haar fuhr.
Blinzeld öffnete ich die Augen und streckte mich.
Als ich mich langsam an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah ich wie Richard an dem geöffneten Zugfenster lehnte und nach draußen blickte.

"Wie viel Uhr ist es?", fragte ich verschlafen. Erst jetzt bemerkte ich wie der Zug auf den Schienen unter mir ratterte.
Mein Kopf fühlte sich schwer an.

Richard wandte den Kopf zu mir und sah mich wieder mit seinem dähmlichen Grinsen an.
"Es ist Viertel vor fünf."

"Habe ich etwa so lange geschlafen?"
Ich erinnerte mich gerade noch so wie ich mir das Hirn über das seltsame Buch zermaterte, bevor ich offenbar eingeschlafen bin.

Ich folgte Richards Blick und erst jetzt sah ich die grüne Landschaft der schottischen Highlands an uns vorbei ziehen.

Hastig drängte ich mich neben ihn und lugte aus dem Fenster. Ich war ihm viel zu Nahe als mir lieb war und konnte sogar sein Parfüm riechen, dass nach Muskatnuss und Mandeln roch.
Doch es lohnte sich, denn die Aussicht war fantastisch.
Weit und breit keine Häuser, keine Menschen, nur das ewige Grün, kleine Hügel, Bäume, Wälder und vereinzelt ein paar Schafherden waren zu sehen.
Wir fuhren an einem kleinen See vorbei, indem sich der rote Abendhimmel und die grell orange farbene Sonne spiegelten.

Richard zog einen schwarzen, klobig aussehenden Fotoapparat hervor und knipste ein Bild.
"Sieh nur, das ist Loch Ness", meinte er und deutete auf den See.

"Hast du etwa davon ein Foto gemacht in der Hoffnung später Nessi das Seeungehäuer darauf zu sehen?"

"Pff, Spinner."
Richard schüttelte den Kopf und spielte an dem Bändchen des Fotoapparats in seiner Hand herum.
Mir entging jedoch nicht sein kleines Lächeln nicht, welches auf seinem Gesicht aufgetaucht war.
Ich nahm wieder auf meinem Sitz platz und verschränkte die Arme bis ich plötzlich eine leise weibliche Stimme neben mir hörte.

"Sir, kann ich ihnen etwas zum Essen anbieten?"
Ich sah auf und sah eine bildschöne junge Frau, vielleicht zwei oder drei Jahre älter als ich. Sie hatte feuerrotes Haar, trug ein hellblaues Kleid. Sie schob den Speisewagen vor sich her und lächelte mich fragend an.

"Nein, danke." Ich lief rot an. "Aber...vielen Dank für die Nachfrage, Madam."

Sie zuckte mit den Schultern, lächelte aber dann wieder.
"Wo geht es denn für Sie hin, wenn ich fragen darf?"

"Tobermory"
Erwiderte ich und wusste genau, dass meine Gesicht nun bestimmt die gleiche Farbe angenommen hatte, wie ihr leuchtendes Haar.
"Aus beruflichen Gründen, Madam."

"Hört sich interessant an," erwiderte sie mit einem kecken Grinsen und strich sich eine lose Haarsträhne zurück.

In diesem Moment wandte sich Richard von Fenster ab und drehte sich zu ihr um.
Sofort fing das Mädchen an Richard anzustarren und diesmal war sie es die rot im Gesicht wurde.
Ich wusste genau was jetzt kommen würde. All die Aufmerksamkeit lag nun auf ihm und ich war plötzlich wie unsichtbar. Genau dieses Szenario war schon unzählige Male zuvor vorgekommen.

"Wir sind Kunst- und Antiquitätenhändler und bekamen eine einmalige Chance neue Sachen zu erwerben."
Er strich sich durchs Haar, setzte sein hübsches Lächeln auf und streckte ihr die Hand hin.
"Ich bin übrigens Richard."

Die rothaarige lachte und nahm sie entgegen.
"Ich bin Rosie"

"Schön, dich kennenzulernen, Rosie"

Ich verdrehte nur die Augen und lehnte mich wieder in den Sitz zurück.
Nachdem die beiden sich noch ausgiebig unterhalten hatte, verschwand sie endlich wieder und ich konnte sehen wie sie sich kichernd an eine ihrer Kolleginnen wendete. Ich vernahm Wortfetzen wie "bildschön" oder "sieht aus wie ein Märchenprinz"

Das Donnerwetter, dass sie von ihrem Chef erhielt, weil sie fast zwanzig Minuten einem Fahrgast schöne Augen gemacht hatte und die anderen Gäste dafür warten ließ, bekam ich jedoch ziemlich deutlicher mit.

Umso zufriedener war ich, als der Zug endlich an einem kleinen Bahnhof anhielt und ich den schweren Koffer wieder aus dem Zug bugsierte.

Ich nahm einen tiefen Atemzug und ließ Schottlands klare Luft in meine Lungen strömen.
Die Sonnenstrahlen wärmten meinen Rücken, jedoch kam ab und an ein schwacher kühler Wind auf.

"Los, wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, Kleiner," hörte ich Richard Stimme hinter mir, die die gesamte Idylle für mich wieder ruinierte.

"Wie kommen wir denn nach Glengorm? Holt uns jemand ab?", fragte ich verwirrt.

Richard zog die Augenbrauen zusammen und sah ich mit einem Blick an, den ich nicht ganz deuten konnte.
"Du hast zwei gesunde Beine und kannst laufen."

"LAUFEN?" Ich sah ihn mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Entsetzen an. Das konnte er doch nicht ernst meinen.
"Aber das ist doch viel zu weit!"

"Mein Gott, bist du verwöhnt, Junge. Jetzt hör auf zu jammern."

Für den sportlichen Richard schien es ein Leichtes zu sein seinen Koffer über die Schulter zu schwingen und los zumarschieren.

Ächzend mein Gepäck schleppend humpelte ich ihm hinterher und verdammte den Tag an dem ich eingewilligt hatte ihn auf der Reise zu begleiten. Nein, ich verdammte sogar den Tag an dem ich angefangen hatte in Mr Clarkes Laden zu arbeiten.

Eisige FlutenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt