dreißig

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Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war es noch dunkel draußen.

Der Wecker auf Louis' Nachttischchen zeigte gerade einmal kurz nach halb sechs an und ich gähnte herzhaft.

Warum war ich nochmal hier? Ach stimmt, wegen Felix und seiner Tuss..

Schlagartig sank meine Laune auf den Boden und Tränen bildeten sich in meinen Augen.

Wie konnte ich nur auf ihn reinfallen..

Bevor ich komplett in Tränen ausbrach und die anderen im Haus womöglich noch aufwecken würde, schnappte ich mir eine Jogginghose und einen flauschig aussehenden Pullover aus Louis' Schrank und ging damit in das angrenzende Badezimmer.

Es war klein, aber unheimlich gemütlich.

Schnell zog ich mich aus, duschte lange und verdrängte alle Gedanken an Felix, bis ich mich mit irgendeinem Handtuch abtrocknete und schnell in Louis' Klamotten schlüpfte.

Es war mehr wie nur nett oder freundlich von ihm, dass er mich gestern Abend extra abgeholt und hier schlafen lassen hatte.

6.13 Uhr, was sollte ich jetzt machen? Gott, warum wachte ich auch so früh auf.

Als mein Blick auf meine Tasche fiel, zog ich das dicke Buch des Unbekannten heraus und kuschelte mich unter die Bettdecken.

Vielleicht würden die Briefe und Gedanken mich etwas aufmuntern und ablenken.

'Wo bist du nur, Rose? Seit du weg bist, ist alles so still. Und farblos.
Ich vermisse deine bunten Haare, dein Lachen, das Kichern, das du immer von dir gegeben hast, wenn ich dich gekitzelt habe.
Ich hab' versucht deine neue Adresse im Computer vom Schulsekretariat herauszufinden und hab' mich extra einschließen lassen, damit ich in Ruhe danach suchen konnte, aber dummerweise kam der Rektor vorbei und hat mich erwischt..
Was weiß ich, was der so spät da noch gemacht hat, auf jeden Fall habe ich 2 Wochen tägliches Nachsitzen und einen vierseitigen Aufsatz über das Einhalten der Schulregeln aufgebrummt bekommen und seitdem achten die Putzfrauen strengstens darauf, dass niemand eingeschlossen wird und ich komme nicht an deine Adresse.
Ich habe auch schon nachgefragt, weil unsere Sekretärin ja wusste, dass wir beste Freunde sind, aber sie durfte mir nichts sagen.
Es ist zum Verzweifeln, ich komm' einfach nicht an deine neue Adresse.'

Wow, das war heftig.

Dieser Junge hatte sich extra wegen mir einschließen lassen und hätte dann gezwungenermaßen in der Schule übernachtet?

Ein warmes Gefühl machte sich in meiner Brust breit und verteilte sich in meinem restlichen Körper.

Lächelnd blätterte ich auf die nächste Seite, auf der ein Foto klebte.

Lachend saß ich dort auf einem Klettergerüst auf einem Spielplatz, während der Wind meine damals pinken Haare verwuschelte.

Vor mir stand der Unbekannte mit dem Rücken zur Kamera, die Kapuze seiner Sweatjacke über den Kopf gezogen, und war gerade dabei, mich herunter zu heben.

Ich schluckte einmal, als ich den Unbekannten von hinten so betrachtete.

Die Klamotten waren nicht gerade eng, weswegen ich nicht viel von der Figur erkannte, aber zugegeben, diese Person kam mir vertraut vor.

Die Art, wie er da stand, die hatte ich schon mal gesehen! Aber wo?

Vorsichtig strich ich mit dem Daumen über das Bild, als sich neben mir jemand räusperte und ich vor Schreck das Buch fallen ließ.

"Himmel, Louis! Musst du mich so zu Tode erschrecken?!"

Kichernd (ja, ein Junge, der kicherte) hob er das Buch auf und gab es mir wieder zurück. "Tut mir Leid, aber du warst so vertieft in das Lesen, dass du mich gar nicht gehört hast. Wie ich sehe, hast du dich bedient", meinte er und nickte mit seinem Kopf auf seine Klamotten, die ich an hatte.

90 days with undine ♥  DnerWhere stories live. Discover now