16 "Aprender a amar"

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Wir saßen noch lange bei Jean und hörten ihm zu. Er erzählte von den 60ern und von Greta, besser gesagt von Magret. Ihren Spitznamen hatte sie schon lange nicht mehr benutzt. Jean fiel fast von seinem Küchenstuhl, als ich ihm erzählte, dass seine Greta nicht wieder in Deutschland lebte, sondern einige Ortschaften weiter seit über 30 Jahren ein Hotel führte. Nachdem wir schließlich E-Mail-Adressen ausgetauscht hatten, traten Marc und ich zurück in die Dämmerung.

„Wow, das war ja..."
„Unerwartet", beendete ich seinen Satz. „Ja das war es."
„Ich hätte echt nie damit gerechnet, dass deine Oma die Frau aus den Liebesbriefen ist. Du glaubst aber nicht, dass -", er zögerte und schaute mich eindringlich an. „Du glaubst doch nicht, dass er vielleicht dein Großvater ist, oder? Ich meine ich weiß ja nicht ganz wann deine Mutter geboren ist, aber -"
„Oh Gott nein, dass passt zum Glück zeitlich überhaupt nicht", unterbrach ich ihn und lachte. Erleichtert stimmte auch Marc in mein Lachen mit ein. „Meine Mutter wurde 1975 geboren und zu der Zeit lebte Magret schon mit meinem richtigen Großvater in Deutschland."
„Was ist mit ihm jetzt?"
„Er ist gestorben als meine Mutter noch klein war. Danach ist Magret mit meiner Mutter hier hergezogen und hat das ombra i sol aufgemacht. Sie hat diesen Ort wohl nie vergessen, wenn sie Jahre später wiedergekommen ist", überlegte ich laut und dachte, an die Liebe, die meine Großmutter schon immer für Peña del mar empfunden hatte.
„Glaubst du, dass sie vielleicht auch zurückgekommen ist, weil ihre Geschichte mit Jean mit diesem Ort verbunden ist?", fragte Marc.
„Vielleicht."

Wir gingen zu Marcs Moped und verstauten die Fotos, die Jean mir gegeben hatte zusammen mit den Briefen unter der Klappe am hinteren Teil des Fahrzeugs.
„Danke, dass du Jean gefunden hast, und mich dazu überredet hast hier herzukommen. Meine Sturheit hätte fast dazu geführt, dass ich ihn nie gefunden hätte", sagte ich während ich mir den Helm aufsetzte und drückte Marc einen Kuss auf die Wange.
„Sagst du da etwa gerade, dass ich recht hatte? Wenn ja, muss ich mir unbedingt das Datum aufschreiben. Das ist ein geschichtswürdiges Ereignis. Cara Neumann gesteht einen Fehler ein", neckte er mich und grinste frech. Ich lachte auch, aber ein Teil von mir hatte plötzlich Angst. Dachte er wirklich so über mich?
„Nicht voreilig sein", sagte ich und fuchtelte tadelnd mit meinem Finger vor seinem Gesicht, „Das habe ich nie gesagt." Er lächelte noch breiter.
„Soll ich dich dann jetzt wieder ins Hotel bringen?", fragte er.
„Ja, stimmt ich sollte mich wirklich beeilen. Ich habe nur noch", ich hob seinen Arm an, um einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen, „3 Stunden bis ich den Artikel abschicken muss. Das ist echt knapp." Ich versuchte ein cooles Lächeln aufzusetzen, aber Marc durchschaute mich.

„Soll ich vielleicht mitkommen? Ich kann dir helfen mit der Rechtschreibung und so. Schließlich ist Spanisch meine Muttersprache." Ich nickte und jetzt war er es, der mir einen Kuss auf die Wange drückte.
„Du kannst ja vielleicht ein bisschen schneller fahren, damit wir schneller da sind?", fragte ich vorsichtig, aber Marcs Blick ließ sich nicht erweichen. Ich seufzte. „Na gut, Herr Überkorrekt."
„Dann mal los, Frau Journalistin", sagte er und zuckte spielerisch mit den Augenbrauen. Ich schwang mich hinter ihm auf das Moped und begann in Gedanken schonmal die Sätze für meinen Artikel zu formulieren.

***

„Aprendar a amar"
Ein Artikel von Cara Neumann mit einem Exklusivinterview mit Julio Sola.

Es war Marcs Idee mit Julio Solas Interview direkt am Anfang zu werben. „Wenn man schonmal einen berühmten Autoren trifft, kann man das doch auch gleich für seine Zwecke nutzen", hatte er gesagt. Tatsächlich hatte ich mir an dem Abend bei Julio Sola einige seiner Bemerkungen aufgeschrieben und zum Glück hatte ich ihn damals schon um Erlaubnis gebeten, meine Notizen für den Artikel zu benutzen. Auch sonst war Marc mir in der letzten Stunde eine große Hilfe gewesen. Immer wenn ich eine Frage zu einer Formulierung hatte oder eine Übersetzung von einem deutschen Wort brauchte, hatte er eine Antwort parat. Auch Lily hatte mir geholfen, indem sie mir ihren Laptop geliehen hatte. So konnte ich so meinen Artikel entspannt in meinem Zimmer schreiben und musste ihn nicht nachträglich eintippen.

Sommer 68Where stories live. Discover now