26 "Ein letztes Rennen"

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Ich rannte wieder los, rannte schneller, ließ mit jedem Schritt ein bisschen mehr meiner Angst hinter mir.

***

Ich stieg in das Taxi ein und Marc setzte sich mit mir auf die Rückbank. Meine Mutter nahm vorne Platz. Sofort ließ ich mein Fenster herunter um den kleiner werdenden Gestalten am Leuchtturm zuzuwinken. Die warme Abendluft strömte herein und erfüllte den kleinen Innenraum des Autos. Stumm drückte ich Marcs Hand, die in meiner lag. Ich hatte mich auf den mittleren Sitz gesetzt um möglichst nah an ihm sitzen zu können. Er lächelte mich ehrlich an. Dieses Lächeln, das mich den ganzen Sommer begleitet hatte, mich glücklich gemacht hatte und jetzt kurz davor war mir das Herz zu brechen. Ich musste schwer schlucken, als ich an unser letztes Gespräch heute Morgen dachte, oder eher an das, was ich nicht gesagt hatte. Aber in Marcs Blick lag keine Verbitterung. Unverhohlen betrachtete ich seine Gesichtszüge. Ich wollte, dass er immer glücklich war. Ich wollte mit ihm sein. Ein warmes Gefühl durchströmte meinen Körper bei seinem Anblick, aber ich war unfähig die richtigen Worte zu finden.

Während wir über die Küstenstraße fuhren, lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter. Erschöpft ließ ich zu, dass die Stimmung, die von außen hereinströmte, mich umgab. Die Melancholie eines zu Ende gehenden Tages.

Wir schauten aus dem Fenster, die Finger ineinander verschlungen und beobachteten wie das Meer sich immer weiter entfernte, der blaue Streifen kürzer wurde. Mit Musik wäre es eine perfekte Filmszene gewesen. Alles passte zusammen. Die Abendluft, die Marcs Haare tanzen ließ, unsere Herzen, der traurige Blick auf eine glückliche Zeit.

Die Fahrt zum Flughafen war lang, aber die endgültige Verabschiedung ging plötzlich viel zu schnell. Wir waren bereits spät dran und so waren unsere letzten Worte von der Hektik herbei gezwungen. Ich wollte ihm noch etwas von Bedeutung sagen, aber ich hatte Angst und war unsicher. Wie wusste man, ob es Zeit war diese drei Worte zu sagen? Wie eine Außenstehende beobachtete ich, wie ich Marc umarmte. Meine Mutter drehte sich taktvoll zur Seite und begann ihre Schuhe zu binden.

„Du rufst mich an, okay?", sagte Marc und schluckte schwer.

„Natürlich", erwiderte ich lächelnd, aber meine Stimme zitterte. Das konnte noch nicht das Ende sein. Das durfte nicht sein.

Da wir nur Handgepäck dabei hatten und bereits online eingeschenkt hatten, erreichten wir schnell das Gate. In gefühlt nur ein paar Minuten, hatten wir Marc in der Eingangshalle zurückgelassen, waren durch den kleinen Flughafen gelaufen und hatten uns mit den Leuten in die Maschine gedrängt. Der ganze Tag war so hektisch an mir vorbeigezogen und erst als ich auf meinem ungemütlichen Sitz neben dem Fenster saß, war ich wieder im Jetzt. Aber es war nun zu spät. Es war zu spät, weil uns bald tausende Kilometer und ein weites Meer trennen würden.

Der Druck in meiner Kehle wurde fester und ich versuchte zu schlucken. Es war schmerzhaft, aber trotzdem versuchte ich es wieder und wieder. Ich lehnte meinen Kopf an die kalte Scheibe. Es war dunkel draußen, aber ein paar bunte Punkte blinkten und leuchteten hinter der schwarzen Scheibe. Eine seltsame Stimmung umgab Flughäfen bei Nacht. Ich musste mich dringend ablenken, weil ich einfach nicht das Recht hatte jetzt zu weinen. Schließlich war es meine Schuld, dass es jetzt zu spät war. Panisch wühlte ich in meiner Tasche und versuchte etwas zu finden, worauf ich meine Gedanken lenken konnte. Aber ich fand nichts und mein Blick fiel stattdessen auf einen kleinen Zettel, der säuberlich gefaltet neben meinem Portemonnaie steckte.

Habt einen guten Flug, stand in ordentlicher Schrift auf dem kleinen Zettel. 

Aber es waren nicht die Worte, die es endgültig in mir auslösten. Es war der kleine, schief gezeichnete Smiley. Ich schluckte schwer.

Sommer 68Donde viven las historias. Descúbrelo ahora