Kapitel 7

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Doch John wachte mitten in der Nacht auf schaute auf die Uhr: Es war halb drei.
Er hatte, während er schlief, viel geschwitzt und fühlte sich auch sonst nicht sonderlich gut.
Als er auf sein Handy blickte, dessen Display deutlich gesplittert war, hatte er etliche verpasste Anrufe: einen von seinem Sohn, zwei von der Parteivorsitzenden, dutzende aus Leuten aus seinem Team, und sogar einen von Emily.
Er bekam ein furchtbares Gefühl, als er daran dachte, was all diese Leute jetzt über ihn denken würden.
Es war von vornherein eine wahnwitzige Idee gewesen, ein Land zu regieren, um sich selbst zu profilieren. Selbst, wenn er irgendwann die Wahlen gewonnen hätte, so wäre seine Vergangenheit immer noch ein Thema.
Er hatte die Wahl gehabt, diese unfaire Chance für sich zu nutzen oder von sich heraus seine Karriere wieder in den Griff zu bekommen. Er hatte sich für den ersten Weg entschieden und nun hatte er keine Möglichkeit mehr, den zweiten zu gehen. Er fragte sich, wie viel neue Bekanntheit er in den letzten Tagen erlangt hatte und wie viele Leute er nun enttäuscht hatte.
Er wollte Präsident werden. Jetzt, da dieses Ziel so ewig weit weg war, konnte er kaum noch glauben, dass er es sich tatsächlich gesetzt hatte.
Er hatte sich gefragt, ob er damit glücklich werden würde und hatte diese Frage mit einem schlechten Gewissen bejaht.
Er dachte, dass er damit sein Leben in den Griff bekommen würde, dass Emily ihn wieder lieben würde, was sie in Wahrheit die ganze Zeit getan hatte. Immerhin hatte sein Sohn ihn angerufen, jedoch seine Kandidatur eher am Rande angemerkt.
Lag er so falsch?
Er hätte allerhand Probleme bekommen; er hätte versuchen müssen, seine Sucht bis zur Wahl zu verstecken und wäre es irgendwann später einmal raus gekommen, wäre er immer der Alkohol-Präsident gewesen, der den Drogen-Präsident aus dem Ring warf. John wusste nicht einmal, ob er froh sein sollte, dass er seine Kandidatur nun vergessen konnte, da seine Probleme, jetzt wo er darüber nachdachte, nicht einfach so verschwinden würden.
Und jetzt? Würde er sich wieder in sein Haus verkriechen, dem Alkohol verfallen und in Selbstmitleid versinken?
Ihm wurde klar, dass er mehr über seine Situation herausfinden musste: Wie war sein Status bei Emily und wie viele Leute wussten von seiner Situation?
Da fiel ihm ein, dass er nach seinem Erwachen noch eine weitere Frauenstimme gehört hatte. Hatte seine Frau ihn besucht? Und wenn ja, dann hatte sie mit der Person gesprochen, die ihm Michael dabei half, sich bei John zu rächen; also was hatte sie Emily erzählt?
Er wollte schon panisch ihre Nummer wählen, um sie zurückzurufen, als ihm einfiel, dass es mitten in der Nacht war. Also drehte er sich auf die Seite und fragte sich, was man wohl von ihm dachte.
Ihm kam in den Sinn, erneut nach seinem Namen zu schauen und er hasste sich dafür, dass er diese Angewohnheit nicht los wurde.
Drogenproblem bei Jonathan Brown
Nach dem tragischen Unfall des polizeilich eskortierten Fahrzeuges, das den ehemaligen US-Präsidentschaftskandidaten transportierte, kommen nun neue Erkenntnisse ans Licht. Im Zuge der medizinischen Betreuung des neununddreißigjährigen Politikers nach dem Unfall, bei dem unter Anderem der Fahrer leicht verletzt wurde, gestand er seine der Öffentlichkeit bislang unbekannte Alkoholabhängigkeit. Er hatte den Platz des zweiundfünfzigjährigen Anthony Clark übernommen, der wegen Drogensucht und -Handels von seiner Position zurücktrat.
Dass mit Brown nun der nächste Kandidat mit einer Abhängigkeit folgte, dürfte dem Ansehen der Partei langfristig schaden.
Aktuell gibt es demnach keinen demokratischen Kandidaten, der im Herbst diesen Jahres als Anwärter des Amtes des Präsidenten der Vereinigten Staaten wählbar ist. Ein offizielles Statement der Partei gab es bislang nicht.
Örtlichen Angaben zufolge befindet sich Brown in einem stabilen Zustand.
Obwohl es genau so war, wie John es vermutet hatte, schockierte es ihn, diese Meldung zu lesen.
CNN war ein nationaler, nein, internationaler Sender und Millionen von Leuten kannten ihn nun als alkoholabhängigen Präsidentschaftsanwärter.
Er legte sein Handy beiseite und fühlte sich gedanklich in die Zeit seiner letzten Niederlage zurückversetzt. Doch dies war nun keine politische Niederlage, es war eine persönliche Niederlage.
Und obwohl er es war, der alle anlog, jeden ausnutzte und seine Interessen auf Kosten anderer durchzusetzen versuchte, fühlte er sich – betrogen.
Betrogen von jemandem, dem er vertraut hatte. Und zum Opfer seiner eigen Versäumnisse gemacht hatte.
John war nicht wirklich gläubig, aber er hatte immer befürchtet, dass irgendwie für Gerechtigkeit gesorgt werden würde und er fühlte sich nun mit seiner eigenen Befürchtung konfrontiert.
Und trotz allem, trotz seiner Enttäuschung über Michael, trotz der Angst wegen Emily und dem Gefühl, nun tatsächlich alles verloren zu haben, trug er tief in sich das Gefühl von Erleichterung.
Erleichterung darüber, dass er nun nichts mehr vertuschen musste, dass er sich nicht mehr aus irgendwelchen Anschuldigungen herausreden musste, auch wenn es ja nicht gleich die halbe Welt hätte erfahren müssen.
Während er nachdachte, ging langsam die Sonne über New York auf.
Er fragte sich, ob wohl jemand kommen würde und fand den Gedanken, sich zu unterhalten, gar nicht so unangenehm, wie seine Situation es eigentlich fordern würde.
Man hatte ihm einen hellblauen Overall angezogen und als er versuchte, aufzustehen, um auf die Toilette zu gehen, schrie er auf vor Schmerz. Erst jetzt bemerkte er die dicken Bandagen um seine Fußgelenke, die er bislang für Schuhe gehalten hatte.
Er registrierte zwei Gehhilfen am Fußende des Bettes und fragte sich, wer auf die Idee kam, sie ausgerechnet dort zu platzieren.
Gerade als er auf dem Weg war, sie kriechend zu erreichen, kam eine Schwester durch die Tür.
»Guten Morgen, Mister« sagte sie leicht bedrückt und wirkte gehemmt. John war klar, dass auch das Personal wusste, wen sie da betreuten. »Guten Morgen« erwiderte er mürrisch und die Schwester stellte ihm sein Essen hin. Als sie wortlos verschwand, hievte er sich mithilfe der Gehhilfen zum Badezimmer und stellte nach einem Blick in den Spiegel fest, dass er wohl mehr, als eine kurze Rasur brauchte.
Nachdem sich John wieder nach seinen Möglichkeiten hergerichtet hatte, die Haare unter den Wasserhahn hielt und nach hinten kämmte sowie seinen Mund mit Wasser ausspülte, ging er zurück zu seinem Bett und begutachtete sein Frühstück: Inzwischen kalte Fischstäbchen, klebrigen Kartoffelpüree und eine Art Kakao, der jedoch im Wesentlichen aus starkem Kakaopulver und heißem Wasser bestand.
Er fragte sich, wie schnell jemand sinken konnte, der gerade noch für die Vorwahlen der USA kandidierte. Doch er nahm sich vor, solche Fragen zukünftig nicht mehr zu stellen und seine Situation anzunehmen.
Gegen Vormittag klopfte es an seiner, für seinen Geschmack viel zu grellen, hellgrünen Tür und Emily betrat das Zimmer.
John, der gerade an seinem Handy total demolierten Handy spiele, blickte zuerst genervt, dann überrascht auf.
»Wie geht es dir?« fragte Emily und klang dabei fast ein wenig vorsichtig. Überrascht über die Veröffentlichung seines Problems, wie er es nannte, dürfte sie nicht; schließlich hatte sie davon gewusst. John war erfreut, dass seine Gesundheit bei ihr scheinbar eine höhere Priorität hatte, als seine moralischen Fehlschläge. »Meine Knöchel sind verstaucht, und mein Oberkörper schmerzt, aber es ist wohl nichts schlimmeres.« »Gut.« erwiderte Emily und John fand dies als Reaktion auf seine Äußerung, zwei verstauche Fußgelenke zu haben, etwas merkwürdig.
»Ich habe wohl Glück gehabt« antwortete er.
Emily näherte sich seinem Bett, schob seinen Tropf ein Wenig auf Seite und umarmte ihn.
Er hatte in keinem Maße so gehandelt, wie seine Frau es befürwortet hätte und dennoch umarmte sie ihn. Und wieder bemerkte er dieses furchtbare Gefühl in sich, das durch den Gedanken ausgelöst wurde, seinen Partner nicht verdient zu haben. Jonathan konnte es kaum beschreiben, er fühlte sich fast schuldig dafür, dass sie ihn liebte. Und so erfreut er auch war, dass sie ihn liebte, so schlimm war es auch für ihn, dass sie bei ihm blieb und ihm wieder einmal signalisierte, dass er eigentlich etwas deutlich schlechteres verdient hätte. Die beiden tauschten sich aus und John erzählte seiner Frau von dem Anruf, dass er total überraschend zur Wahl stand und nie mit sich selbst vereinbaren konnte, wirklich zur Wahl gestellt zu werden.
Als John bei Michael angelangt war, versteinerte sich ihre Miene.
Er erzählte ihr von der angeblichen Krankenschwester, vom Unfall, wie er so blind war und übersehen konnte, dass der Truck, der in sie rein fuhr, Michael Sullivan gehörte.
Als Jonathan mit seiner Erzählung fertig war, blickte Emily ungläubig auf. »Michael Sullivan?« wiederholte sie. »Dein Wahlkampfleiter?«
»Ex-Wahlkampfleiter« stellte er richtig.
»Es ist völlig egal, wie du einen Menschen behandelst« sagte Emily, als hätte sie Johns Gedanken gelesen. »Er wollte dich umbringen« »Wollte er nicht« erwiderte John. »Er wollte mich nur hierhin bringen und mein Alkoholproblem an die Öffentlichkeit bringen.« »Er hätte es auch einfach selbst sagen können.« »Hätte er nicht.« sagte John und war ein wenig überrascht von Emilys Naivität. »Dann wäre er derjenige gewesen, der seine Parteimitglieder verraten hätte.« Jonathan war von sich selbst überrascht, dass er Michaels Plan, ohne vorher großartig darüber nachzudenken, erklären konnte. Nach einer Weile verabschiedete sich seine Frau von ihm und es ging ihm ein Wenig besser.
Er war in der selben Situation, wie zuvor, doch er hatte nun eine Person, die ihm glaubte, der er vertraute und – und das war John zur Zeit wohl am Wichtigsten – die ihn liebte.

Die Angst Die Niemals SchläftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt