Teil 1

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Ich denke nach. Wie so oft, während ich vor dem riesigen Sonnenstein vor mit sitze. Seine Energie strahlt so hell und doch spüre ich keine Wärme. Die Sonnenkraft ist stark und dennoch so rein und klar. Weder Hitze noch Kälte strahlt sie aus. Dafür vermag dieser Stein etwas anderes bei mir auszulösen: Ruhe und Konzentration. Jeden Morgen nutze ich die Ruhe, bevor alle anderen im Palast erwachen und denke nach. Über das Leben, über mich, über meine Aufgabe und unser Reich, Atlantica. Darüber, wie ich allein es in dem Zustand belassen kann, in dem es sich gerade befindet. Darüber, dass ich mich nicht bereit dazu fühle und sich bei der Vorstellung der nächsten Sonnenfinsternis mein Magen aus unerklärlichen Gründen zusammenzieht. Beddicts Stimme unterbricht meinen Gedankenfluss.

„Elionara? Hast du kurz eine Minute Zeit?"

Als ich mich umdrehe, sehe ich, wie er vorsichtig die große Tür zum Sonnensaal aufdrückt.

„Hey, Beddi. Natürlich, komm rein."

Ich muss mir ein Schmunzeln verkneifen, als er unbeholfen und zögerlich auf mich zukommt. Als er neben mir steht räuspert er sich.

„Also es geht um die beiden Bücher über Runen, die du letzte Woche ausgeliehen hast. Die müssten nun wieder zu mir zurück. Gestern hättest du sie abgeben sollen und du weißt doch, wie sehr es mich stresst, wenn ich offene Ausleihen auf der Liste habe. Ich kann sie dann nie abhaken und die Lücken in den Regalen sind auch-"

„Beddi?", unterbreche ich ihn sanft und sehe zu ihm auf. Er steht neben mir und lässt seine Hände fallen, mit denen er eben durch die Luft gewirbelt hat. Beddi redet mit Händen und Füßen. Und irgendwie mag ich das an ihm. Nun steht er jedoch ganz ruhig da und schaut mich fragend an.

„Ja?"

„Setz' dich zu mir und sieh dir den Stein an", sage ich.

Kurz ringt er mit sich, weil die fehlenden Bücher ihn wirklich stören, doch dann atmet er tief durch und setzt sich leise neben mich. Wir beide richten unseren Blick auf den schwebenden Stein, der von rot leuchtenden Rillen durchzogen wird. Sie bilden ein Muster aus wellenförmigen Linien. Auch die kleinen Rillen im Gestein des Palastbodens sind rot erleuchtet. Sie fließen in die angrenzenden Räume und quer durch Atlantica, überall dorthin, wo die Energie benötigt wird.

Beddict und ich bestaunen die Macht, die durch den Stein fließt und ich merke, wie sich Beddi neben mir allmählich beruhigt.

„Ich bringe dir deine Bücher heute Nachmittag vorbei, versprochen. Vorher habe ich noch eine Übungseinheit mit Vater."

Beddict seufzt.

„Na gut. Ich denke bis dahin werde ich es aushalten."

Ein sanftes Lächeln zieht sich über sein Gesicht und ich muss schließlich anfangen, zu lachen

„Du und deine Bücher, Beddi. Ich glaube ich kenne keine größere und dramatischere Liebesgeschichte auf dieser Welt." Ich kichere in mich hinein, als Beddict aufsteht und mit einem nun noch breiteren Lächeln den Saal verlässt.

„Du sagst es, Elionara. Heute Nachmittag also. Und keinen Tag später."

Beddi sieht mich amüsiert an, bevor er die Tür aufstößt und beinahe über seine eigenen Füße nach draußen stolpert. Er nickt den Wachen kurz zu, als er seinen Beinahe-Sturz abfängt. Er läuft zur Treppe und dann schließt sich die Tür und ich bin wieder allein. Ich lasse die Energie noch kurz auf mich wirken, ehe auch ich den Weg zurück in die oberen Etagen des Palastes antrete. Ich habe nämlich ein Problem: Ich habe keine Ahnung, wo in meinem Chaos von Zimmer ich Beddicts Bücher finden soll.

SonnenmondWhere stories live. Discover now