Teil 2

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Ich gehe an den Wachen vorbei und wünsche ihnen einen guten Morgen. Beide Frauen sehen noch müde aus, doch wie immer schenken sie mir ein warmes Lächeln und nicken mir höflich zu.

Es hat lange gedauert, Adriana und Nia zu erklären, dass ich auf die Verbeugungen verzichten kann. Ich fühle mich dabei nicht geehrt, ich fühle mich unwohl. Ich bin nichts weiter als eine junge Frau, die in eine Königsfamilie geboren wurde. Macht mich das zu etwas Besserem? Es fühlt sich nicht so an und ich halte diese Meinung auch für lächerlich. Ein Status, der lediglich durch die Geburt erworben wird, scheint mir keine ehrenwerte Eigenschaft zu sein. Ehrenhaft sind jene, die sich diesen Respekt verdienen. Durch ihre Taten und Handlungen. So wie mein Vater ihn sich verdient und hart erarbeitet hat. Meine Zeit kommt erst noch. Genau genommen in einem Monat.

Wieder kribbelt es unangenehm in meinem Rumpf und ich renne die Treppen vom Energiesaal in den Palast hinauf. An meiner Ausdauer sollte ich eindeutig arbeiten, denn das tiefe Luftholen lenkt mich direkt vom unguten Gefühl in meinem Bauch und meinen Angstgedanken ab. Schwer atmend gehe ich an den großen, weißen Säulen vorbei, bis hin zum Brunnen der Sonnenkönigin.

Der Brunnen steht am Kopfende der großen Eingangshalle. Das große Glasdach über mir, welches durch die Stärke der acht Marmorsäulen getragen wird, sorgt um diese Zeit dafür, dass die Statue mit dem Licht der aufgehenden Sonne bestrahlt wird. Kleine Staubpartikeln tanzen in dem Lichtstrahl vor mir umher und wirken schon beinahe wie Feenstaub, der sich um die Statue herum ausbreitet. Obwohl Helias Denkmal aus Stein besteht, sieht ihre geflochtener Zopf weich und realistisch aus, ihre Gesichtszüge warm und dennoch entschlossen und zuversichtlich. Sie blickt leicht nach oben und in die Ferne. Vater sagt, diese Haltung symbolisiert ihren Kampfgeist, ihre Weitsicht und ihre Fürsorge. Helia hält einen großen Stab in ihrer linken Hand, auf dem eine Glaskugel angebracht ist. Eine Kugel aus dem Sonnenstein. Jeden Morgen, wenn die Sonne das erste Mal in die Halle scheint, trifft sie direkt auf die Kugel und sorgt dafür, dass aus normalem Quellwasser geheiligtes Wasser entsteht. Der gesamte Palast wurde um den großen Sonnenstein und die Quelle der Helia errichtet. Mehr weiß ich noch nicht über unsere Vergangenheit, doch Vater lehrt mich jeden Tag ein wenig mehr und in einem Monat sollte ich vollständig ausgebildet sein. Das Wasser, welches sanft aus dem Stab fließt, sammelt sich in dem Becken vor mir. Es ist kristallklar und die kleinen Bewegungen, die durch das Eintreffen des kleinen Wasserfalls entstehen, lassen wunderschöne Spiegelungen rund um das Marmorbecken entstehen. Ich forme mit meinen Händen eine Schale und nehme ein paar Schlucke aus dem Brunnen. Dann sitze ich noch einige Minuten auf dem Beckenrand und genieße diesen ehrfürchtigen und wunderschönen Anblick vor mir. Außerdem muss ich immer noch Luftholen. Als sich mein Herzschlag beruhigt hat und die Zeit immer mehr drängt, gehe ich auf der linken Seite der beiden Treppen neben dem Brunnen nach oben. Beide Seiten der Stufen führen hinter Statue zusammen und weisen den Weg in den eigentlichen Palast und dessen Empfangssaal.

Ich möchte gerade den Weg in Richtung meines Zimmers antreten, da werde ich unsanft beiseite geschubst. Als ich mich beschweren möchte, erkenne ich den Wachmann Arijus, der mir entschuldigend zunickt, als er an mir vorbeirennt. Arijus ist erster Wachmann der Beschützer der Westseite des äußeren Hafenringes. Sofort werde ich neugierig, was wohl dort draußen passiert sein mag. Ich folge ihm bis in den angrenzenden Thronsaal. Arijus, als einer der Hauptwachmänner, macht von seinem Recht Gebrauch, ohne Ankündigung in den Thronsaal zu stürmen.

„König Leandros! König Leandros! Entschuldigen Sie die Störung, ich habe wichtige Neuigkeiten!"

Vater, welcher soeben auf dem Weg in die Trainingshalle war, dreht sich aufmerksam zu Arijus um.

„Arijus, beruhige dich und teile mir dann dein Anliegen mit."

Arijus holt tief Luft.

„Die Rebellen! Sie haben den gesamten Fischfang von heute morgen gestohlen und dabei zwei Fischerboote versenkt!"

Vater nickt verständnisvoll, als er mich hinter Arijus erblickt. Ich überlege, was dieser Angriff für die Fischer bedeutet, und frage mich sofort, ob jemand zu schaden gekommen ist. Mein Kopf rast und ich möchte mehr erfahren, diskutieren, was wir unternehmen, wie wir endlich mit den Rebellen Frieden schließen können. Ein Gedanke jagt den nächsten, als Vater mich an der Schulter nimmt und nach draußen führt.

„Elionara, meine Liebe. Sei so gut und warte in deinem Zimmer, ich hole dich zum Training ab."

„Aber Vater, ich -", beginne ich, doch anstatt mich ausreden zu lassen, schließt er die Tür hinter mir. Ich stehe allein im Flur zum Westflügel und kämpfe gegen die Wuttränen an. 

SonnenmondWhere stories live. Discover now