🍂 III. 🍂

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Seit zwei Stunden schuften wir, um das Chaos zu beseitigen. Dabei ignoriere ich Mattheo so gut es geht, wenn man davon absieht, dass es gar nicht möglich ist. Er berührt mich – ob absichtlich oder nicht. Und das zerrt tierisch an meinen Nerven.

Weil ich mir selbst nicht traue. Weil es sich gut anfühlt, obwohl es das nicht sollte. Weil ich in Mattheo verknallt bin... ich meine war! Weil ein Stromschlag nach dem anderen durch jede Nervenbahn rast und ich nicht genug davon bekomme. Weil ich mir vielleicht doch etwas wünsche, was nicht sein kann.

Frustriert begebe ich mich auf die andere Seite des Standes, um die brauchbaren von den zermatschten Kürbissen auszusortieren. Wir haben Glück im Unglück – die Misere ist nicht ganz so übel, wie es denn ersten Anschein machte. Zumindest von den verpackten Leckereien können wir mehr als die Hälfte retten und mit ein bisschen zusätzlicher Arbeiten doch noch zum Verkauf anbieten. Allein um die leckeren Kuchen und Kekse ist es schade, denen kann wirklich keiner mehr helfen, so, wie sie mit dem restlichen Kürbismatsch eine Verbindung eingehen.

»Lass mich dir helfen.« Mattheo steht vor mir und streckt die Hände nach dem riesigen Kürbis aus, denn ich vorsichtig herum wuchte.

»Du stehst mir im Weg!«, zicke ich ihn an. Ich gehe auf Konfrontationskurs, um meine Unsicherheit zu überspielen. Nona sagte nichts davon, dass ich freundlich sein soll und schiebe mich vorbei, um das Riesending vorsichtig auf die wieder aufgestapelten Heuballen abzusetzen. »Mach es wie die Luft und verdünnisier dich endlich!«

»Ach komm Gretchen, dann sind wir schneller fertig. Ich könnte dich auf einen leckeren Masala Chai einladen, so als Wiedergutmachung. Den magst du doch, oder?«

Mit zusammengekniffenen Augenbrauen starre ich Mattheo an, der mir mit offenem, warmen Blick begegnet.

Er hat definitiv den Knall nicht gehört.

Dass er weiß, welchen Tee ich am liebsten trinke, überhöre ich willentlich, denn ich bin sauer auf ihn. Wegen heute. Wegen letzter Woche. Wegen früher. Weil er alles so dastehen lässt, als wenn nie was gewesen wäre. Und, weil er trotz allem mein Herz zum Hüpfen bringt.

Der innere Gedankenkampf lässt mich auf ihn zugehen, bis ich direkt vor ihn stehe und pikse ihm mit dem Finger in die Brust.

»Wer sagt, dass ICH mich von DIR einladen lassen würde. Das alles...«, dabei wende ich mich zu dem ehemaligen Chaos um und beschreibe mit der Hand eine ausladende Geste. »Wäre ohne deine „Hilfe" niemals passiert. Also tu uns allen einen Gefallen und verschwinde, so wie du es letztens getan hast, als du mich von oben bis unten mit Wasser bespritzt hast. Da hat es dich auch einen Scheiß interessiert.«

Perplex werden Mattheos Augen größer, nur um sie daraufhin verärgert zu Schlitzen zu formen und meinen noch immer in die Brust piksenden Finger zu umfassen.

»Ich habe keine Ahnung, worauf du anspielst. Dass du wütend bist wegen heute, kann ich verstehen, aber treib es nicht zu weit. Ich habe mich bereits mehrmals entschuldigt. Es war keine Absicht und das weißt du ganz genau. Wie dein Opa richtig bemerkt hat, muss die Bremsflüssigkeit ausgetauscht werden, damit es nicht nochmals zum Bremsversagen kommt. Mein Fehler an der Sache ist einzig, dass ich es selbst hätte nochmals überprüfen müssen, nachdem ich das Motorrad gekauft habe, obwohl man mir versicherte, dass sie erst gewechselt wurde.« Ich spüre deutlich seinen Herzschlag, der förmlich rast, denn meine Hand ist auf seinem Brustkorb zum Liegen gekommen.

Setzen meine Vorwürfe ihm so zu? Mein Verhalten muss ihn über alle Maßen treffen, denn so außer sich, habe ich ihn noch nie erlebt. Mattheo hat gerne einen lockeren Spruch auf den Lippen und sein Gemüt ist eher sonnig, zumindest das, was er nach außen hin präsentiert. Denn gerade bröckelt seine Fassade und zeigt mir, wie sehr ihn dieser Vorfall nahe geht. Gehe ich zu hart mit ihm um? Im Grunde ist niemanden etwas passiert und die Lebensmittel können ersetzt werden. Einzig sein Motorrad wurde hinreichend in Mitleidenschaft gezogen, sowie sein Helm, den er achtlos weggeworfen hatte, um nach uns zu sehen – nach mir zu sehen...

Sein Herzschlag setzt aus, nur um sogleich hastig weiter zu klopfen und ich merke, dass ich ihn unbewusst mit den Fingern die Brust kraule, so, wie er kleine Kreise mit dem Daumen auf meinem Handrücken zeichnet, als würden wir uns gegenseitig beruhigen wollen.

Er hat all die Hänseleien in der Schule losgetreten, die dir jahrelang zu schaffen machten, vergiss das nicht, setzt mir eine kleine garstige Stimme die Vergangenheit vor Augen.

Wie verbrannt ziehe ich meine Hand aus seiner und weiche zurück. »Geh endlich und mach das, was du all die Jahre so gut konntest und halte dich von mir fern«, werfe ich ihm vor.

»Gretchen...«

Ich darf kein positives Gefühl mit Mattheo verknüpfen. Er ist schuld!

»Nein Mattheo. Es ist alles gesagt. Du und ich, wir werden uns nie einig werden.«

»Wurde es nicht. Jetzt warte doch mal und was meintest du mit...«

Ich wende mich um und lasse ihn stehen. Es zeugt nicht gerade von erwachsenem Verhalten, dass weiß ich selbst, aber der Groll steckt zu tief.


In meinem Bett liegend, versuche ich Ordnung in meine Gedanken zu bringen. Mit vorgeschoben Kopfschmerzen habe ich mich bei meinen Großeltern entschuldigt und bin den Heimweg angetreten, die nun als Karma, mich tatsächlich heimsuchen.

Es ist zum verrückt werden. Je stärker ich versuche ihn aus meinem Kopf zu verbannen, umso penetranter haftet sich das Bild Mattheos fest.

Seine braunen wuscheligen Haare, die ein bisschen zu lang sind, um ordentlich zu liegen und seine Ohrenspitzen verdecken. Die mich dazu bringen wollen, sie anzufassen und zurückzustreichen. Und wenn ich an seine Stimme denke, der ein tiefes Timbre mitschwingt, kribbelt es in meinem Bauch. Ich habe eine verdammt große Schwäche für tiefe männliche Stimmen. Und Mattheos ist mit seinen 18 Jahren unglaublich anziehend.

Das dichte Beieinanderstehen hat mir vor Augen geführt, wie groß er in den letzten Jahren geworden ist. Ich reiche ihm nicht einmal bis zu den Schultern, die ebenfalls breiter und kräftiger zu früher sind. Während er sportlich-schlank ist, bin ich das kleine Pummelchen. Immer noch.

Anne, die kleine Teekanne, höre ich die Mitschüler von früher rufen.

»Scheiße! Verdammte Kacke!«, brülle ich in mein Kopfkissen, um den Druck herauszulassen, der mein Herz, wie auch meinen Kopf zusammen presst.

Ich will nicht fühlen, was sich gerade in mir einnistet. Ich will seine Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit nicht sehen. 

Mattheo ist ein Arschloch! Fertig!

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✔ | HerbstLiebeWhere stories live. Discover now