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Ich habe keine Freunde, die mich hier halten würden, aber trotzdem fühlt es sich an, als würde ich aus meiner Heimat gerissen werden

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Ich habe keine Freunde, die mich hier halten würden, aber trotzdem fühlt es sich an, als würde ich aus meiner Heimat gerissen werden. Mein Zimmer, dass ich mit viel Herzensblut eingerichtet hatte, meine Schwester, der ich die Welt schenken würde, wenn ich könnte, meine Eltern, auch wenn sie mich in diese scheiß Therapie stecken und das Grab meines Bruders. All das hat mich hier behalten und mich nie weggehen lassen wollen, nie fliehen wollen von diesem Ort. Jetzt muss ich weg und es fühlt sich verdammt nochmal scheiße an. Schlimmer als die Sprüche und die Blicke. Die kann man aushalten, wenn man weiß wie. Aber ich werde in eine völlig neue Umgebung gesteckt, voller neuer Menschen, weil diese Therapie ja voraussetzt, dass kein bekannter Mensch dabei ist, um die 'Heilung' möglichst schnell voranschreiten zu lassen. Völliger Blödsinn meiner Meinung nach. Mit einer Person, die ich kenne und die mir am Herzen liegt würde es viel schneller gehen. Therapie. Als wäre ich psychisch krank oder so was. Die einzig psychisch Kranken sind Leon und Paul.

Laut Mom fahren wir morgen. Wohin, weiß ich auch nicht. Wollte sie mir nicht sagen. Liegt wahrscheinlich daran, dass ich ein wenig mit den Nerven am Ende war und sie auch so schon angeschrien habe. War nicht mein erster Nervenzusammenbruch dieses Jahr. Irgendwie kommt es immer häufiger vor, hat Dad mit besorgniserregtem Blick festgestellt. Ich hab daraufhin nur die Augen verdreht und alles an mir abprallen lassen.

Erin geht es super. Sie trifft sich in einer Woche öfter mit Freunden als ich in meinem gesamten Leben und Mom und Dad sind stolz auf sie. Sie ist intelligent, beliebt, schön, süß. Ich dagegen habe nichts vorzuweisen, außer einer angeblichen psychischen Störung.

Ich starre aus dem Fenster, es regnet. Ich beobachte wie die Tropfen an der Glasscheibe herunterlaufen. Um die Uhrzeit wäre ich normalerweise in der Schule. Normalerweise. Was ein scheiß Wort. Es drückt etwas aus, was man hatte und nicht mehr hat. Was so war, aber nicht mehr so ist. Genauso wie eigentlich.

Ich weiß, es ist hirnlos, aber ich habe das Gefühl ein letztes Mal im Ort herumlaufen zu müssen. Die Luft einzuatmen. Bevor ich wegfahre.

Also ziehe ich mich warm an, nehme mir einen Regenschirm und trete aus dem Haus. Die Luft ist frisch, riecht nach dem Regen, ich lächele und laufe gemächlich los. Es soll nicht so wirken, als hätte ich ein Ziel. Ein Spaziergang. Nicht mehr und nicht weniger. Aber irgendwie ist es mehr als ich es wahr haben will. Es ist ein Abschied. Von der Zeit, in der ich immer gehofft habe, dass es noch besser werden kann. Irgendwie und irgendwo in dieser Zeit habe ich mich selbst verloren.

Ich glaube mittlerweile nicht mehr, dass es eine schlechte Idee ist, mich zu der Therapie zu schicken. Viel länger hätte ich hier nicht durchgehalten, egal was ich mir eingeredet habe. Trotzdem finde ich es schade, keine bessere Alternative gefunden zu haben. Ein Umzug ist zu kostspielig. Aber es wäre mir trotzdem lieber.

cold time wishesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt