05 - Thronfolgerinnen? (er)

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Anna hielt erst an, als sie um die nächste Ecke herum waren. Sie warf einen Blick über die Schulter, dann sah sie sich im Flur vor ihnen um. "Puh", stieß sie erleichtert die Luft aus. "Sollen wir uns einen Moment setzen?"

Asher hatte nichts sagen wollen, doch er nahm die Einladung mit einem angedeuteten Nicken dankbar an. Sein Magen randalierte und sein Kopf versuchte noch immer, in tausend Teile zu zerspringen.

"Soll ich zurück gehen und schnell eine Schmerztablette besorgen?" Sie hatte sich vorgebeugt, um ihm besser ins Gesicht sehen zu können, während er seine Stirn in den Handflächen vergrub.

"Es geht bestimmt gleich wieder", presste Asher aus zusammengebissenen Zähnen hervor. Würde Anna jetzt zurück gehen, würden die Thronfolgerinnen mitbekommen, dass es ihm nicht so gut ging, wie er vor gab.

"Ich bin sehr geschickt, niemand würde mich sehen", flüsterte Anna und grinste so breit, dass Asher vergaß, dass er Schmerzen hatte.

"Danke", unwillkürlich lächelte Asher zurück. Er wusste nicht wieso er so schnell von seinem Plan, sich nicht verletztlich zu zeigen, abgewichen war, aber Anne weckte in ihm das Bedürfnis, ehrlich zu sein. "Es geht wirklich schon wieder."

Zum ersten Mal fand er die Zeit, sich umzusehen, zu realisieren, wo er war. "Das ist wirklich ein Schloss", stellte er sehr trocken fest. Als er sich sicher genug fühlte, stand er auf und ging um die gepolsterte Bank herum, um besser aus dem Fenster sehen zu können. "Wo um alles in der Welt sind wir hier?"

Anna trat neben ihn an das Fenster. Ihre Finger spielten mit der dünnen Silberkette an ihrem Hals. "Das frage ich mich noch immer." Sie trat noch einen Schritt näher an das Glas. Ihr dickes Haar fiel in einem locker geflochtenen Zopf über ihren Rücken. Von hinten sah sie noch zierlicher aus, als von Vorne. "Von Generation zu Generation wird uns erzählt, dass es sich um ein Spiel handelt. Dass wir die Leute auf der anderen Seite der Kameras für uns gewinnen müssen, wenn wir hier überleben wollen."

"Überleben? Ist das nicht ein sehr dramatisches Wort?" Asher hatte das instinktive Bedürfnis, sie aufzumuntern, doch seine Worte machten es nur noch schlimmer.

Anna fuhr herum und sah aus ihren rehbraunen Augen zu ihm hoch, ehe sie seine Hand ergriff. "Komm."

Asher konnte nicht anders, als auf ihre Hände zu starren. Anna war so sorglos im Umgang mit ihm, dass es ihm schwer viel, wachsam zu bleiben. Sie führte ihn mehrere Treppen hinauf und schaute um jede Ecke, ehe sie ihn weiterzog. Sie erreichten eine Treppe, die nicht mit Teppich ausgelegt war. Sie führte zu einem Flur, in dem keine Licht brannte. Ohne zu Zögern ging Anna voran, nur Asher verlangsamte seine Schritte und zwang sie so, sich zu ihm umzudrehen.

"Was ist das hier für ein Ort?", wollte er wissen, ehe sie die oberste Stufen erreicht hatten.

"Sowas wie der Dachboden, würde ich sagen. Auch wenn das Hauptgebäude des Schlosses ein Flachdach hat." Für Anna schien das kein Problem zu sein. Sie war schon wieder herum und zog Asher die verbleibenden Stufen hinauf.

An anderen Tagen wäre der Flur wahrscheinlich weniger bedrückend gewesen. Doch durch die Dachlichter drang kaum Licht hinein, nur das rhythmische Trommeln des Regens war deutlich zu hören. Nur wenige Meter vor ihnen endete der Flur bereits vor einem Fenster. Auf der dort platzierten Bank konnte Asher die Umrisse zweier Prinzessinnen erkennen. Er hielt wieder an, doch dieses Mal ließ Anna ihn los, statt stehen zu bleiben.

"Fürchtest du dich etwa?", kicherte sie kindlich und ging rückwärts, um ihn nicht aus den Augen zu lassen.

"Da sitzt jemand", zischte er leise und das Lachen erstarb auf Annas Gesicht.

"Ich weiß. Das wollte ich dir zeigen." Sie hielt inne, bis er zu ihr aufgeschlossen hatte. "Das ist der Grund, warum wir hier von Überleben sprechen."

Der goldene KäfigWo Geschichten leben. Entdecke jetzt