6. Kapitel

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"Mist, Mist, Mist, Mist, Mist!", fluchte ich vor mich hin, als ich meine Haare zum dritten Mal kämmte und in einen Dutt band. Es war Montag und ich hatte noch genau 10 Minuten, bis ich fertig sein sollte. Ich hatte alles so gut geplant und durchdacht, aber dann musste ich leider feststellen, dass mein Bleistiftrock nicht meine aufgeschürften Knie bedeckte. Zum Glück hatte ich auch eine Hose, doch damit ich sie noch bügeln konnte musste ich leider das Frühstück ausfallen lassen. Endlich saß alles so wie es sollte. Ich packte meinen Planer und meine Lieblingsstifte in meine Tasche und checkte nochmal mein Aussehen im Spiegel, bevor ich auch schon die Treppe hinunterrannte und mir die Schuhe anzog.

Jackson kommentierte meine hektische Ankunft nur mit einem amüsierten Stirnrunzeln, während Daniel sich voll und ganz auf seine Notizen für das heutige Meeting konzentrierte.

Über die Nachricht, dass ich für Jackson arbeiten sollte war er ganz und gar nicht erfreut. Soweit ich bei ihrem Streit herausgehört hatte, war Jackson in der Firma allgemein als Arschloch bekannt. Warum erfuhr ich leider nicht mehr, weil sie mich in dem Moment beim Lauschen erwischten und mich ausschlossen.

Daniel meinte aber, dass ich mit Jacksons vielen Überstunden überfordert sein würde. Das machte mich wütend. Ich war kein Kind mehr, das von ein bisschen Arbeit gleich überfordert ist!

Die Fahrt zur Firma verlief sehr ruhig. Jackson fuhr, Daniel schwieg ihn eisern an und ich saß hinter Daniel, den Blick auf meine Finger gerichtet und ärgerte mich, dass ich keine Zeit mehr hatte, um mir ordentliche Kleidung zu kaufen. Neben Jackson und Daniel in ihren maßgeschneiderten Anzügen sah ich wirklich schlimm aus! Meine Kleidung war mindestens eine Nummer zu groß, dafür spannte meine neue Bluse aber um die Brust (warum das denn auf einmal?), sodass man zwischen den Löchern leicht hindurchsehen konnte. Beschämt zog ich meinen Blazer über den Brüsten zusammen. In diesem Moment bemerkte ich, dass Jackson mich durch den Spiegel beobachtete. Sofort sah ich weg und legte meine Hände zurück in den Schoß, doch sein amüsierter Blick entging mir nicht.

___

Jackson

Daniel schwieg mich mal wieder an. Manchmal konnte einem seine übertriebene Fürsorge für Ruby wirklich auf die Nerven gehen. Andererseits wäre ich als großer Bruder vermutlich genau so, wenn nicht noch schlimmer.

Seine kleine Schwester saß hinter ihm und zappelte nervös rum. Gerade versuchte sie zu verdecken, dass ihre Brüste fast die Bluse sprengten. Das war zwar total süß, aber wir würden ihr dringend neue Kleidung kaufen müssen. Ich verbrachte den größten Teil meiner Arbeitszeit mit weißen alten Säcken, die meinten sexuelle Belästigung sei was Gutes. Das war nur einer von sehr vielen Gründen, die Daniel an meiner Idee auszusetzen hatte.

Ich schnaubte. Tatsächlich brauchte ich dringend eine Assistentin und Ruby war perfekt. Fleißig, höflich und sie tat was man ihr sagte. Mehr brauche ich gar nicht. Außerdem hatte ich sie gerne um mich. Gerade fragte ich mich, welche Unterwäsche sie wohl heute trug, hoffentlich würde sie mich nicht zu sehr ablenken.

Meine Gedanken wanderten gezwungenermaßen wieder zum bevorstehenden Meeting. Sincom Schreiner war ein großes IT-Unternehmen. Schon allein in ihrem Hauptsitz hatten sie tausend Mitarbeiter und die Firma wuchs stetig. Ich brauchte unbedingt diese Zusammenarbeit.

Seit dem Tod meines Vaters befanden wir uns im Sinkflug. Viele unserer Kunden hatten uns verlassen, weil ihnen mein Onkel Vernon als neuer COO nicht passte. Andere verließen uns, als ich letztes Jahr meinen rechtmäßigen Platz an Vernon's Stelle einnahm. Das konnte ich ihnen nicht mal verübeln. Ich war jung. Aber ich hatte mir vorgenommen das Vermächtnis meines Vaters zu retten.

Wir verließen das Auto in der Tiefgarage und fuhren mit dem Aufzug zu meinem Büro im 30. Stockwerk. Meine Assistentin Clarissa empfing uns bereits an ihrem Schreibtisch, direkt vor meinem Büro. Ich hatte weder Zeit, noch Nerven, um Ruby einzulernen, deshalb überließ ich das ihrer Vorgängerin. Daniel und ich gingen direkt ins Büro, bis zum Meeting hatten wir nur noch zwei Stunden Zeit.

"Warum musste es unbedingt meine Schwester sein? Hättest du dir nicht einfach irgendeine Rezeptionistin oder einen Praktikanten holen können?"

"Daniel jetzt find dich endlich damit ab! Du weißt genau so gut wie ich, dass wir in der jetzigen Personalsituation keine Rezeptionistin entbehren können und für einen Praktikanten war das alles einfach zu kurzfristig. Clarissa hat mir gerade mal zwei Wochen Zeit gegeben einen Ersatz für sie zu finden. Meinst du ich würde nicht auch lieber jemand mit Erfahrung nehmen oder zumindest jemanden der sich damit auskennt? Das sind acht Wochen, in der Zeit kann ich mir jemand qualifizierteres suchen, immerhin wird mir Clarissa minimum ein Jahr fehlen." Ich schüttelte den Kopf. "Können wir uns jetzt erst mal auf das Meeting konzentrieren? Ich brauch dich in Topform."

"Ist gut, aber das ist noch nicht vorbei!", knickte Dan ein. "Ich schau mir nochmal die Protokolle aus den letzten Sitzungen an. Wann kommen die Juristen?"

"In einer halben Stunde. Hast du die Zahlen nochmal kontrolliert? Wir können uns keine Fehler leisten!"

Er nickte. "Doppelt und dreifach. Du weißt doch, dass ich dich nicht hängen lasse!"

Das tat er tatsächlich nicht, auf Dan war Verlass. Wir setzten uns beide an unsere Papiere, um nochmals alles zu überprüfen. Nachdem wir uns mit den Juristen abgesprochen hatten zogen wir in den Konferenzraum um. Bis zum Eintreffen der Sincom Schreiner-Delegation hatten wir noch eine halbe Stunde Zeit, aber ich wollte nichts dem Zufall überlassen. Clarissa gesellte sich zu uns, um während des Meetings Protokoll zu führen, wie besprochen blieb Ruby am Schreibtisch. Meine leitende Sales-Mitarbeiterin Tatjana briefte nochmal ihr Team. Wir waren bereit.

Little OneWhere stories live. Discover now