3. Fragen und Sorgen

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Endlich, als die Augen des verwundeten Soldaten zufielen, hörte ich Schritte. Unzählige Schuhe schlugen auf den Boden, eilig kamen sie näher. Überrascht weiteten sich meine Augen, als ich einen großen Trupp an Menschen um die Ecke kommen sah. Angeführt wurde die Gruppe von Melen. Wenn er dabei war, musste es wichtig sein. Melen war einer der vier Anführer und Gründer der schwarzen Freiheitsklingen. Ich selber hatte ihn bis dahin nur bei sehr seltenen Anlässen gesehen. Ordentlich gegellt hatte er seine Haare nach hinten gekämmt. Trotzdem fiel mir die vielen silbrigen Strähnen auf. Er war alt geworden. Bereits zwei der vier Gründer waren schon gestorben, nur noch Wyod und Melen lebten noch. Wyod führte den zweiten Stützpunkt in Tarlen.

Ruckartig kamen sie vor mir zum stehen. Ich legte meinen Kopf in Nacken, und blickte zu ihnen hoch. Hinter Melen standen Kämpfer mit Gewehren bereitgehalten, dahinter konnte ich einige wenige Ärzte in weißen Hosen und Hemden erkennen.

Da keine Gefahr von dem Eindringling ausging, winkte Melen die Ärzte nach vorne. Ich stand auf und wich zur Seite um ihnen Platz zu machen. Ich drückte mich an die Wand, denn mit so vielen Leuten war nicht viel Platz. Wie eine geölte Maschine arbeiteten die Ärzte zusammen. Sofort gingen sie zur Arbeit, der Soldat bekam eine Nackenstütze und wurde dann auf eine Liege geschoben.

„Bringt ihn in die Krankenabteilung.", befahl Melen. Mit den Ärzten verschwand der Soldat, eskortiert von ein paar schwarz gekleideten Kämpfern. Ich blickte der kleinen Gruppe hinterher.

„Darf ich mitkommen?", fragte ich, ich wollte unbedingt mehr erfahren.

„Nein.", sagte Melen mit schneidender Stimme und hob drohend den Finger, „Du Junge, musst mir erklären, was genau passiert ist."

Ich schluckte und versuchte das flaue Gefühl in der Magengegend zu ignorieren.

Ich stand ratlos im Gang umher, als ich von Melen aus dem Kreuzverhör entlassen wurde. Eigentlich war ich wieder auf dem Weg zum Kontrollraum. Dort sollte ich zumindest eigentlich hin. Doch ich zögerte, ich wusste genau wohin ich stattdessen hin wollte.

Ach, die könn mich mal, dachte ich fluchend und damit drehte ich mich um und ging in die andere Richtung.

Richtung Krankenabteilung in Sektor A.

Ganz anders als überall sonst hier, war die Krankenabteilung ein überaus steriler Ort. Die Abteilung war mit Metall an den Wänden, Decken und Boden ausgekleidet. Als ich durch die Tür reinging, fühlte ich mich als würde ich in einem großen metallener Box stehen. Klinisch brennende Luft schlug mir entgegen.

Einzelne Zimmer waren zu meinen Seiten zu finden. Ich lief die riesige Station entlang, immer in die Zimmer zu den Kranken hereinschauend, doch ich konnte den mysteriösen Fremden eine ganze Zeit lang nicht finden.

Ich ging weiter bis zum Ende, vorbei an unzähligen Ärzten. Einige stützten einen Kranken. Verletzte auf einer Liege wurden an mir vorbei getragen, andere saßen im Rollstuhl und wurden geschoben. Es war wahnsinnig viel los. Bei den Freiheitsklingen gab es immer Verletzte. Verletzungen gehörten hier zu Regel und waren schon Alltag. Überleben war schon schwer genug. Doch man gewöhnt sich an allem, selbst an die konstante Bedrohung deines Lebens.

Ich vermute, mit der Zeit kann man sich selbst an die schlimmsten Sachen gewöhnen. Nur vielleicht nicht an die T.O.P. Aber an die sollte man sich nicht gewöhnen, denn ehe man sich versieht, akzeptiert man die Unterdrückung. T.O.P, gegründet von Erich Waren Tol, steht für Tol Organisation Perfekt und sollte Ordnung bringen nach der chaosbringenden Anarchie. Tol war der Überzeugung, dass der Mensch das Potenzial zum Perfektsein hat. Ich denke, er hat es wirklich geglaubt, aber heute wird das große Herrschaftsgebiet von T.O.P von seiner Tochter regiert und das Ziel des Perfektseins ist nur noch eine Illusion.

Ganz hinten, ein Zimmer ganz abseits, konnte ich ihn endlich finden. Ich blieb vor dem kleinen Fenster stehen und sah eine bleiche Gestalt auf dem Bett. Da die Ärzte immerzu über ihn gelehnt arbeiteten konnte ich den Soldaten nicht erkennen. Doch ich konnte mir sicher sein, dass es sich bei der Gestalt im Bett um ihn handeln musste, denn Melen tigerte nervös im Raum umher. Währenddessen sprach er mit zwei weiteren Leuten, seine Beratern. Wo sonst sollte jetzt Melen sein, als diesem mysteriösen Eindringling?

„Hey, Jay", kam es von hinten und ich wäre fast vor Schreck mindestens durch die Decke gesprungen. Ich drehte mich nach hinten und traf Carter. Ein Grinsen breitete sich über mein Gesicht aus als ich meinen Freund sah. Carters Mundwinkel zuckten nur, doch ich wusste mehr kriegte man nicht von ihm.

„Mayday", antwortete ich nach unserem Ritual. Schulterklopfend begrüßten wir uns. Carter war mehr als nur ein Freund für mich. Als ich hier angekommen bin, hat er sich wie ein großer Bruder um mich gekümmert.

Carter war durchtrainiert, groß und gutaussehend. Die wenigen Mädchen, die es hier gab, waren nur an ihn interessiert. Allerdings hatte er schon eine Freundin, Celine, ebenfalls General.

Carter war einer von denen, der viele Außeneinsätze bekam. Dementsprechend war sein Körper auch übersät mit vielen großen und kleinen, hässlich aussehenden Narben. Die Auffälligste aber war vernarbte Haut, die sich von seinem linken blauen Auge über die Wange und Hals runter zur Brust zog, wo sie unter der Uniform verschwand. Angeblich hatte er diese Narbe schon gehabt, bevor er hierher kam. Aus Carter selber kriegte ich gar nichts raus, wenn ich ihn darüber fragte. Er presste nur seine Lippen eng zusammen und schüttelte nur entschuldigend den Kopf.

„Ich habe gehört du hast ihn gefunden?", fragte er und drehte sich zum Fenster.

„Ja, ist er ein Spion von uns gewesen?"

„Nein, er ist nicht von uns, scheint so als sei er wirklich ein T.O.P Soldat."

Ich sog scharf die Lust ein und sagte einen Augenblick gar nichts bevor ich wieder redete, „Wie kam er dann hier rein?"

„Das ist was Melen Sorgen macht."

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