Kapitel 10 - Streit

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In Gedanken versunken ging ich die belebte Treppe herunter und lief dabei beinahe in eine mir sehr vertraute Person. Meine Laune hellte sich augenblicklich auf und das freudige Quieken konnte ich mir nicht verkneifen. Ich schlang meiner zierlichen Freundin die Arme um den Hals, was sie augenblicklich erwiderte.

„Schön, dass du wieder da bist!", sagte ich eifrig und packte ihre Wangen zwischen meine Hände, sodass ich Nora zwang mir in die Augen zu sehen. Bitter verzog ich meine Mine. „Bitte fehl nie wieder." Ich klang so übertrieben verzweifelt, dass ich anfangen musste zu lachen. Sie konnte nicht anders als los zu prusten.

„Glaub mir, ich will nicht nochmal von meiner Mutter gepflegt werden."

Ich verschränkte ihre Hand in meine und zog sie mit zu unserem Stammplatz in der Mensa. Kathy saß schon auf einem der Stühle und schrieb etwas. Unmittelbar nachdem sie aufgeschaut hatte, weiteten sich ihre Augen soweit, dass ich dachte sie würden ihr jeden Moment aus den Augenhöhlen herausfallen.

„Nora!", rief sie ungläubig. Das Knarren des Stuhles, als sie schnell aufsprang und sich über den Tisch lehnte, um sie in den Arm zu nehmen, hallte durch den ganzen Raum. Die Schüler um uns herum warfen uns genervte Blicke zu. Doch das war uns egal. Mussten sie uns eben ertragen.

Nachdem sich Nora schließlich hinsetzen konnte, ohne dass wir sie durchgehend in Beschlag nahmen, begannen wir uns über jeden belanglosen Irrsinn zu unterhalten, der uns seit ihrem Fehlen passiert war. Jedoch bemerkte ich ihre Unaufmerksamkeit. Etwas stimmte mit Nora ganz und gar nicht. Selbst ihr Lächeln war aufgesetzt. Sie war so distanziert. Irgendetwas musste passiert sein. Unsicherheit flammte in mir auf, als ich den einen bestimmten Ausdruck in ihren Augen sah. Und er war nicht an uns gerichtet. Alles zog sich in meinem Körper zusammen, als ich sah, wie sie zu Caleb schaute. So voller... Angst? Nein Angst war es nicht, doch beschreiben konnte ich es auch nicht. Eine Mischung aus Verletzlichkeit und Unsicherheit, als wüsste sie nicht was sie tun sollte. Ich hatte mir geschworen so etwas nie wieder sehen zu müssen. Noch schockierender war es diese Augen an Nora zu sehen. Sonst war es Kathy die mich bis heute in meinen Träumen damit plagte. Nur einmal hatte sie uns diesen Schmerz gezeigt. Es war, nachdem ihr Onkel sie das erste Mal misshandelt hatte. Dieses schreckliche Gefühl trieb mir die Galle den Hals hinauf. Ich fühlte mich so schrecklich und irgendwie auch schuldig.

„Nora", begann ich vorsichtig und sofort wurde Kathy stumm, als sie den Ernst in meiner Stimme erkannte. Nora entgegnete meinen Blick und schwieg. Ich weiß, dass es nicht der perfekte Ort war, darüber zu sprechen, doch ich musste einfach Gewissheit bekommen. Ihr durfte nicht dasselbe geschehen wie Kathy.

„hat dir Caleb irgendetwas an dem Abend angetan?"

Ich musste Kathy nicht einmal ansehen, um zu bemerken, dass sie sich anspannte. Noras Brauen zogen sich zusammen und es hätte jede andere Person davon überzeugt, doch die Angst, die in ihren Augen aufblitzte, unterstrich meine Vermutung nur.

„Was?!" Noras Stimme klang fest, doch das konnte mich nicht täuschen.

„Hat er dich..." Ich brauchte es nicht einmal aussprechen.

„Spinnst du?", rief sie auf, „Nein!" Ihre Stimme wurde mit jedem Wort lauter und das Entsetzen, welches sich über ihre Mine zog, brachte jede Alarmglocke zum erklingen. Die ersten Schüler drehten sich zu uns um und schauten das Spektakel mit an.

„Nora-", versuchte ich sie zu beruhigen, doch sie unterbrach mich.
„Nein, Charly! Halt dich einfach mal aus meiner Scheiße raus, verstanden?!" Wütend sprang sie auf, sodass ihr Stuhl zurückfiel. Mit schnellen Schritten lief sie in Richtung Ausgang. Was mir dabei nicht entging war der belustigte Blick von Caleb. Sie stürmte aus dem Raum. Caleb und seine Freunde lachten, dann sagte er etwas und folgte ihr. Das Murmeln um uns herum blendete ich aus, sowie auch Kathy. Eindeutig hatte er ihr etwas angetan und im schlimmsten Fall hat er sie sogar vergewaltigt. Dass er ihr folgte, brachte jegliche Fassung, die ich besaß zum Zerbersten. Ich sprang kurzerhand auf und lief ihnen hinterher.

Charlotte - tödliches VerlangenWhere stories live. Discover now