Der Mann im Regen

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 Die Dunkelheit hatte schon Besitz von der kleinen Stadt ergriffen. Dicke, schwere tropfen fielen von dem schwarzen Himmel, so dass selbst die Straßenlaternen kaum gegen die Finsternis ankamen.

Arian hatte noch bis spät arbeiten müssen und war jetzt endlich auf dem Heimweg. Der Regenschirm über ihm bot ihm genügend Schutz vor den kalten Fluten. Donner hallte in der Ferne.

Er sollte sich beeilen, dachte er und verlängerte seine Schritte. Langsam übermannte ihn die Müdigkeit. Der Job als Polizist war noch nie einfach gewesen, doch der neuste Fall verlangte ihm einiges ab.

Der junge Mann ging an dem Fluss entlang, der die Stadt durchquerte und sich nun immer mehr mit Wasser füllte. Nicht weit von ihm erblickte er die Brücke, die ihm kund gab, dass er bald Zuhause war.

Da viel ihm der Mann auf, der am höchsten Punkt des steinernen Übergangs stand und auf das fließende Gewässer hinab sah. Es schien ihn nicht zu kümmern, dass es in strömen regnete, denn er trug weder eine Kapuze, noch hatte er einen Regenschirm bei sich.

Wenn er nicht aufpasste, würde er sich noch erkälten, dachte Arian bei sich. Er wollte an dem Fremden vorbei laufen, doch etwas an ihm hielt ihn auf.

Er hatte etwas bestimmtes an sich. Wie er mit seinem braunen, langen Mantel dastand, wie ihm seine hellen Haare in nassen Strähnen in sein markantes Gesicht vielen. Es war fast als würde er mit diesem Ort verschmelzen. Fast regungslos stand er da, völlig in seinen Gedanken verloren.

Arian wusste nicht warum er dies nun tat, doch er ging auf den Fremden zu und trat neben ihn, so dass beide nun vor dem Regen geschützt waren.

Sie sahen still den rauschenden Fluss hinab. Der Regen erfüllte die Luft mit seinem Klang und der Donner erklang wie ein Paukenschlag in der Ferne.

Der Mann neben Arian konnte nicht viel älter sein als er selbst, wie er feststellte. Sollte er etwas sagen?

„Ich stehe hier nun schon eine ganze Weile", die Stimme des Mannes klang sanft und tief. Sie erinnerte ihn an eine Stimme, die er schon so viele Jahre nicht mehr gehört hatte.

„Viele Leute sind vorüber gegangen. Sie sahen mich nur seltsam an, blieben aber niemals stehen. Was unterscheidet dich von ihnen?", fragte der Fremde. Er sah noch immer auf das dunkle Wasser unter ihnen hinab und hätte Arian nicht gesehen, dass seine Lippen sich bewegt hätten, hätte er daran gezweifelt, dass diese Worte aus seinem Mund gekommen waren.

~Wie damals seine Bewegungen...~

Arians Blick schweifte über den dunklen Himmel am Horizont. „Sie sahen so aus, als könnten sie Gesellschaft gebrauchen", antwortete er, nicht wissend ob dies die Wahrheit war. Was hatte ihn dazu veranlasst stehen zu bleiben? Er konnte keine Antwort auf diese Frage finden.

„Das glaube ich nicht", meinte der Blondhaarige und Arian sah ihn verwirrt an.

„Ich erinnere dich an jemanden, nicht war?", ein trauriges Lächeln umspielte die Lippen des Fremden.

~Ja~, dachte Arian, ~Du erinnerst mich sehr an ihn. Die Art wie du hier stehst. Die Art wie du spricht. Selbst der Klang deiner Stimme~ Doch er Antwortete ihm nicht, sondern sah nur auf das Wasser hinab.

„Schau mich an Arian", befahl der Mann leise. Erstaunt das der Fremde seinen Namen kannte drehte Arian sich zu ihm um.

Diese tintenblauen Augen, diese tiefe die in ihnen lag - Eine einzelne Träne stahl sich aus seinem Augenwinkel. Nur eine, nicht mehr. Doch diese wurde von dem Regen fortgespült, als er geschockt den Regenschirm sinken ließ.

„Lucian?", hauchte er heiser. Vier Jahre, vier Jahre lang wurde er nun schon als vermisst gemeldet und nun stand er hier, auf einer Brücke durchnässt von dem kalten Regen und sah ihn an.

Lucian, er war nach einem Einsatz einfach verschwunden. Nach zwei Jahren hatte Arian schließlich die Suche aufgegeben und musste mit dem Gedanken leben, dass er ihn wohl nie wieder sehen würde.

„Es tut mir leid", war alles was der Mann vor ihm sagte. Doch Arian sah ihn nur an, unfähig auch nur einen Finger zu regen, zu groß war der Schock oder die Angst, dass all dies nur ein Traum war, ein Funke der Hoffnung, die in ihm noch verblieben war.

Plötzlich spürte er starke Arme die ihn fest umarmten. Abrupt ließ er den Regenschirm fallen und schlang seine Arme um den Oberkörper des Größeren.

Beide standen sie nun dort. Nass bis auf die Knochen. Der Regen übertönte die leisen Schluchzer, welche Arian erzittern ließen. Und als der nächste Knall des Donners den Himmel erschütterte, war er fast über ihren Köpfen.

Und selbst als der Regen langsam schwächer wurde und der Donner verklungen war, standen sie noch immer dort, denn keiner wollte den Anderen loslassen.

~Blue

778 Wörter

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