Blaue Rosen (Hanahaki)

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Ich sah in den Spiegel, betrachtete meine blasse Haut, auf der meine dunklen Sommersprossen fast krankhaft wirkten, meine braunen Augen und meinen blutverschmierten Mund.

Einen Monat - vier Wochen, das war alles was mir noch verblieb. Mit zittrigen Fingern drehte ich den Wasserhahn auf, um das Blut aus dem Waschbecken fortzuspülen. Regungslos sah ich dem nun roten Wasser zu, wie es im Abfluss verschwand und nur drei tief blaue Rosen zurück ließ. Wunderschön, doch für mich tödlich.

Die Worte des Arztes hallten in meinen Ohren wieder: „Hanahaki, eine Krankheit die auf einseitiger Lieber beruht. Blumen wachsen in der Lunge des Patienten, meistens die Lieblingsblumen der geliebten Person. Es gibt mehrere Stadien. Alles fängt mit einem beengendem Gefühl in der Brust an, dann husten oder leichte Atemnot. Dann fängt man an einzelne Blütenblätter aus zu husten. Zum Schluss hustet man ganze Blüten und Blut aus, wenn das Stadium erreicht ist hat der Patient maximal noch vier Wochen. Hanahaki kann auf zwei Weisen geheilt werden. Entweder man gesteht dieser Person seine Liebe und diese erwidert sie oder man kann die Blumen aus der Lunge operieren lassen. Es ist ein gefährlicher eingriff, aber nicht unmöglich, doch danach kann man sich nicht an die geliebte Person erinnern oder jemals wieder liebe für diese Person fühlen" Ich hatte gefragt, was geschah, wenn die Person sagte, dass sie einen nicht liebte. „Die Blumen ersticken dich sofort", hatte der Arzt gesagt und mich bedauernd gemustert. Und zu all dem Unglück, wuchsen in meiner Lunge Rosen, deren Dornen mir bei jedem einatmen schmerzen verursachten.

Eine Operation war für mich keine Option. Wie konnte ich meinen besten Freund vergessen wollen? All diese Erinnerungen, die meine gesamtes Leben füllten. Er war immer da gewesen, ich könnte mir nicht vorstellen ihn zu vergessen.

Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben, entsorgte die Blüten und wusch mir den Mund.

Doch ein Gedanke verfolgte mich den gesamten Tag:

Vier Wochen - Vier Wochen dann läuft meine Zeit ab...

Mein Hals war trocken, als ich in den großen Speisesaal des Internats trat und den Blick meines besten Freundes auffing. Ich hatte das Gefühl um meine Brust läge ein Seil, dass sich immer enger zog und mich warnte auch nur einen Schritt weiterzugehen. Am liebsten wäre ich umgedreht und hätte mich in meinem Zimmer verkrochen.

Langsam setzte ich einen Fuß vor den anderen, zählte die Schritte die ich tat und stoppte vor dem Tisch an dem wir immer saßen.

„Hier, ich hab dir schon was besorgt bevor die gesamte Pizza weg war", er grinste mich an und seine grünen Augen schienen zu funkeln. Den Hustenreiz unterdrückend bedankte ich mich und setzte mich ihm gegen über. Ein gefälschtes Lächeln lag auf meinen Lippen.

Ich fühlte mich unwohl, gehetzt und das Atmen fiel mir zunehmend schwieriger. Als dann ganz plötzlich ein Dorn von innen gegen meinen Hals stach hielt ich es nicht mehr aus. „Ich muss los, ich – ich habe etwas vergessen. Tut – Tut mir leid. Bis Morgen", stammelte ich und eilte aus dem Speisesaal hinaus.

Luft, ich brauchte Luft. Ich stolperte nach draußen und sackte hinter dem Schulgebäude hustend auf die Knie. Blut verfärbte den weißen Schnee und bildete einen stechenden Kontrast. Mein Hals verengte sich noch mehr und als ich noch einmal von einem Hustenkrampf geschüttelt wurde segelten zwei nachtblaue Rosen zu Boden. Zitternd griff ich nach den Tabletten die mir der Arzt für den Notfall gegeben hatte und schluckte eine der bronzefarbenen Kugeln hinunter. Langsam wurde mein Atem wieder gleichmäßig, doch um so deutlicher merkte ich jetzt die Dornen die durch meinen Hals hinaus zu brechen versuchten.

„Charlie!?", hörte ich eine besorgte Stimme nach mir rufen. Ich schloss verzweifelt die Augen.

Bitte nicht jetzt - nicht hier - nicht so, schrie ich innerlich. In diesem Moment war es mir egal, ob sich meine Jens mit Wasser vollsog oder ich fror, ich wollte einfach nur hier weg, er durfte mich hier nicht finden.

„Charlie? Ich weiß das du hier irgendwo bist! Du hast deine Jacke vergessen!", rief er erneut und ich konnte ein weiteres Husten nicht unterdrücken. „Charlie?", und dann trat er um die Ecke, sein Blick gefüllt mit Sorge.

Warum ausgerechnet du Jack? Fragte ich mich ergeben. Jeder, wirklich jeder hätte mich hier finden können, warum also du, Jack, mein bester Freund und der Dünger der blauen Rosen in meinem Brustkorb?

„Hey, was ist los? Ist – Ist das Blut?", ich konnte die Panik in seiner Stimme hören, als er sich neben mich in den Schnee fallen ließ. Jack musterte mein Gesicht, das Blut an meinen Lippen, meine bleiche Haut.

„Es ist nichts", sagte ich leise und wandte meinen Blick von ihm ab, doch ich spürte seinen intensiven Blick in meinem Hinterkopf. „Nichts? Charlie du hustest Blut! Du musst zu einem Arzt! Sofort!", mit Nachdruck drehte er meinen Kopf so, dass ich ihm in die Augen blickte. Seine strahlend jadegrünen Augen, die für mich die Welt und den Tot bedeuteten. Seine warme Hand an meiner kalten Wange machte alles nur noch schlimmer. Erneut schnürten Blüten meinen Hals zu. Hustend beugte ich mich nach vorne, um mich der neuen Blüte zu entledigen.

„Hanahaki", hauchte Jack fassungslos. Ich schloss entkräftet meine Augen. Er wusste es. Wie lange noch bis er mir sagte, dass er mich nicht liebte, dass wir nur Freunde waren?

„Charlie. Sieh mich an", seine Stimme war rau und dunkel. Langsam sah ich in sein Gesicht, in die Augen in die ich mich so hoffnungslos verliebt hatte. Sein Blick war mit Schmerz und Trauer gefüllt und ich hasste es ihn so zu sehen. Jemand wie er sollte lächeln und strahlen.

„Wer ist es?", fragte er bemüht ruhig, doch die Frage ließ Panik in mir aufkeimen. Fast wie die Rosen, dachte ich bei mir. Er fuhr mit seiner Hand beruhigende Kreise über meinen Rücken.

Er liebt dich nicht, schoss es mir durch den Kopf. Er würde dich niemals lieben, wie könnte er, du bist nur einer von seinen Freunden, nicht mehr und nicht weniger.

Ich bekam keine Luft, mein ganzer Körper zitterte und ich spürte wie sich ein Dorn durch meine Wange bohrte. Verzweifelt versuchte ich die Blüten aus meinen Atemwegen zu husten, doch es waren zu viele und mit ihnen kam das Blut. Doch warum? Er hatte nie gesagt, dass er mich nicht liebte. Doch hatte er, ich hatte es gesehen. Seine Augen hätten nicht eindeutiger sein können. Es tut mir leid, war alles was sie gesagt hatten.

„Charlie! Kannst du mich hören? Bleib bei mir okay? Ich verspreche dir es wird alles gut", wie durch Watte hörte ich seine Stimme und merkte wie er mich vorsichtig hochhob.

Warm, er war warm, schoss es durch meinen Kopf.

Das letzte was ich sah, war eine blaue Rose, die sich durch meine Wange brach und ihre Blüten entfaltete. Blut lief sachte mein Kinn hinab und kitzelte mich leicht.

Einen schöneren Tod gibt es wohl nicht, dachte ich.

Langsam wurde alles dunkel und ganz, ganz still...

~

Als ich die Augen öffnete, war alles weiß und die Luft erfüllte der Geruch nach Desinfektionsmittel. Meine Atemwege waren frei und ich spürte ein großes Pflaster über meiner linken Wange.

Sie hatten mich also operiert. Es war befreiend endlich wieder so leicht atmen zu können.

Auf dem Tisch neben mir lag eine einzelne blaue Rose auf einem weißen Briefumschlag. Vorsichtig öffnete ich den Umschlag und zog einen kleinen Zettel hinaus.

Es tut mir leid, dass ich dich nicht lieben konnte.

Werde glücklich.

~J

Von wem dieser Brief wohl war? Ich legte den Brief zurück und drehte die Rose in meiner Hand.

Sie war wunderschön und als ich sie so ansah hatte ich das Gefühl, etwas fühlen zu müssen, doch für mich war es nur eine Rose unter vielen.



~Blue

12605 Wörter

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