Schwarze Wolken

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Grau. So konnte man die Wolken an diesem Abend wohl am Besten beschreiben. Tief und schwer hingen sie über den Straßenschluchten der Stadt. Lange würde es nicht mehr dauern, bis die ersten Regentropfen sich zu einer reißenden Flut verbinden würden.

Langsam bahnte er sich seinen Weg zwischen den Massen, der eilenden Menschen hindurch, in die Richtung des Strandes.

Außer den Wellen, die auf den Sand trafen und dem Heulen des Windes war nichts zu hören. Kein Mensch gingen hier spaziere und es waren keine Spuren in dem weißen Sand zu entdecken, doch bei diesem Wetter war das auch nichts Verwunderliches.

Er schritt immer weiter auf das unruhige Wasser zu und sah zum Horizont hinaus. Ein Sturm zog auf, das sah er sofort, doch es beunruhigte ihn keineswegs. Lächelnd setzte er sich in den nassen Sand und sah einfach nur den schwarzen Wolken dabei zu, wie sie die grauen verdrängten und langsam näher kamen.

Nur zu gerne wäre er in diesem Moment von den hohen Klippen im Norden in das kalte Wasser gesprungen und ein paar Bahnen geschwommen, doch er war schon lange nicht mehr der draufgängerische Junge, der damals mit einem Sprung von den Klippen leichtsinnig sein Leben aufs Spiel gesetzt hatte und zwischen den spitzen, zerklüfteten Felsen im Meer geschwommen war ohne an die Konsequenzen zu denken. Diese Zeiten waren vorbei und nun hatte er kaum noch den Mut bis zu der großen, roten Boje hinaus zu schwimmen.

Der Regen hatte weiter zu genommen und schon längst seine Kleidung durchdrungen.

Vielleicht sollte er es noch ein Mal versuchen, nur ein letztes Mal.

Langsam zog er sich Schuhe und Socken aus. Sein Arzt hatte ihm strengstens untersagt zu schwimmen, aber als er so auf das Meer sah spürte er den alten Drang wieder in sich aufsteigen.

Früher war er fast immer bei diesem Wetter geschwommen, doch nun, ein Jahr nach dem Unfall, der ihn beinahe sein Leben gekostet hatte, hatte er angst vor dieser Seite des Meeres. Vor der brutalen und unberechenbaren Seite.

Und doch zog es ihn nun hinaus. Sein Körper erzitterte von Furcht erfüllt, als er den ersten Schritt ins Wasser wagte. Doch dann, mit einem Schlag, mit der ersten eiskalten Welle, die seine Füße umschloss, war all die Angst des letzten Jahres verschwunden.

Nur noch ein letztes Mal die reißenden Fluten auf der Haut und den beißenden Wind im Gesicht spüren.

Er setzte einen Schritt vor den Anderen und langsam gewöhnte sich sein Körper an die eisigen Temperaturen. Dann, endlich, nach zu langer Zeit, tauchte er ab. Betäubende Kälte umschloss ihn und plötzlich fühlte er sich schwerelos. Das Gewicht von dem er sich noch nicht einmal bewusst war, verschwand von seinen Schultern. Er dachte nicht mehr nach. Für diesen einen Moment war er wieder der leichtsinnige Junge von früher.

Die ersten Schwimmzüge fühlten sich seltsam fremd an, doch schon bald verfiel er in sein altes, so vertrautes Muster. Er tauchte unter den gefährlichen Wellen hindurch und wich den Strömungen aus, die ihn hinaus auf das offene Meer ziehen wollten.

Nach einem Jahr fühlte er sich endlich wieder, wie er selbst. Der zurückhaltende und ängstliche Junge war verschwunden und zurück blieb die lang ersehnte Schwerelosigkeit. Als wäre das letzte Jahr aus seinem Gedächtnis verschwunden.

Die Zeit war wieder endlos.


Langsam stieg er aus dem Wasser. Seine Glieder waren Steif von der kälte und er war erschöpft, doch es war eine körperliche Erschöpfung, die allen Stress vertrieb und nur eine angenehme Leere hinterließ.

Sie würden fragen Stellen, das taten sie immer. Er hatte das Abendessen verpasst und war von Salzwasser getränkt. Sie würden es herausfinden und dann seinen Arzt anrufen. Die Aufsicht im Wohnheim war streng, was Gesundheit und Pünktlichkeit anging, aber das war ihm in diesem Moment egal.

Er schaute hinauf in den Himmel. Die schwarzen Wolken hatten die Überhand gewonnen und waren nun fast über seinem Kopf. Der Sturm würde mindestens einen Tag brauchen, um über die hohe Gebirgskette im Norden zu kommen. Vielleicht kam er morgen wieder hier her, wenn er nicht Hausarrest wegen seiner Dummheit bekam.

Als er die Straßen entlang ging, waren sie gespenstisch leer. So wie er selbst. In ihm war nur noch Müdigkeit zurückgeblieben. Ein letztes Mal hatte er gesagt und nun  fand er sich doch in seinen eigenen Gedanken wieder und schmiedete Pläne, um sich aus dem Wohnheim zu schleichen. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht, das gleiche Grinsen, welches er früher immer hatte, wenn er etwas verbotenes tat.

"Scheint als wäre alles wieder beim Alten", flüsterte er und sah in den Himmel.

Seine Welt waren für immer diese schwarzen Wolken.


~Blue

760 Wörter

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⏰ Last updated: May 22, 2021 ⏰

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