Kapitel 28

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Den Himmel zu verlassen, war eine komplett andere Prozedur gewesen, wie die Hölle zu betreten. Ich hatte es mir bei Weitem nicht so schmerzlos vorgestellt, wie es gewesen war, auch wenn ich geradewegs auf harten, gefliesten Boden geknallt war. 

Vielleicht lag das auch einfach an meinem minderen Talent, denn Jael neben mir stand noch immer aufrecht, noch immer den Arm um den anderen Hunter geschlungen. Er sah mich prüfend an. 

"Wie schlimm war es?"

Ich hiefte mich mühevoll auf die Beine zurück und schnaubte beleidigt. Auch wenn Jael nicht gekonnt hatte, war ich andere Manieren gewohnt - und erwartete sie auch, wenn auch nicht bewusst oder gewollt. Das sollte ich mir besser schleunigst abgewöhnen, sonst würde ich ganz bald in Schwierigkeiten geraten, dass spürte ich. 

Mein Herz blieb für einen Augenblick stehen, als ich die junge Frau sah, die auf uns zugeeilt kam. Das rabenschwarze Haar, die stechend grünen Augen, ich würde sie überall wiedererkennen. Das war das Mädchen von der Party. 

Ruby. 

Sie eilte einen langen breiten Gang entlang, der bis auf uns, komplett leer war. Hohe Decken ließen den Raum noch größer und verlassener erscheinen, als er ohnehin schon war. Die Wände waren schneeweiß gestrichen und bildeten einen wahnsinnigen Kontrast zu uns, verdreckt und blutverschmiert. 

Sie stürzte sich zuerst auf Jael und fiel ihm um den Hals. Das protestierende Stöhnen von Azriel ignorierte sie gekonnte. Ich ging so distanziert wie möglich auf das Knäul aus Menschen zu, griff seinen Arm an einer Stelle, wo ich hoffte, dass es nicht so schmerzen würde und zog ihn von den beiden weg. Er klammerte sich an meine Schulter, ich bemühte mich, seinem Gewicht nicht nachzugeben, auch wenn er definitiv nicht schwer war. 

die beiden Dämonen lösten sich wieder voneinander, wobei ich hörte, wie Ruby ihm etwas ins Ohr murmelte. 

"Hab dich kaum vermisst, Partner."

Partner? Ich ahnte Schlimmes. 

"Wo habt ihr den denn aufgegabelt?"

Sie nickte zu Azriel herüber, der sich noch stärker an mich klammerte, als er spürte, dass es um ihn ging. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er seine Schwäche gerade etwas überdramatisierte, oder ob er wirklich so zu kämpfen hatte, nicht zusammenzubrechen. 

"Du weißt Bescheid. Tu nicht so, als hättest du es nicht mitbekommen", entgegnete Jael eine Spur zu freundlich, wenn man mich fragte. 

Rubys Blick bahnte sich seinen Weg zu mir. Sie schien verwirrt. 

"Morningstar, wir müssen reden", knurrte sie in Jaels Richtung, packte ihm am Ärmel und zerrte ihn von mir und Azriel weg. 

Seine Miene wirkte wie versteinert, als er ihren Redeschwall über sich ergehen ließ. Rubys hitziger Blick und der schneidende Tonfall ließen mich wissen, dass es um mich ging - und das sicherlich nicht positiv. 

"Wie kommt sie hierher? Sie dürfte hier nicht stehen, es muss sie unglaublich viel gekostet haben. Warum hat sie keine Schmerzen?", schnappte ich auf. 

Dabei stimmte das nicht einmal. Ich spürte ein unangenehmes Ziehen in meinem Herzen und meine Knie waren weich wie Butter. Ich konnte meinen schnellen Puls und das Rauschen meines Blutes in den Ohren hören, wobei ich das bis eben auf die Aufregung geschoben hatte. 

"Sie hat Schmerzen. Wie ich."

"Du willst mir nicht sagen, dass sie-"

"Doch. Genau das versuche ich dir zu sagen, wenn ich ehrlich sein soll."

Ruby trat einen schritt zurück. Sie sah mich mit einem Blick an, erfüllt von Ehrfurcht und - war das etwa Angst?

"Ruby. Ich will, dass du das für dich behältst. Auch wenn du sie nicht leiden kannst, sei wenigstens so fair, wie du es auch zu mir warst."

"Bist du dir sicher, dass sie es ist?"

"Auf den Tod."

"Was machen wir jetzt mit ihr?"

"Cole wollte sie haben, jetzt hat er sie. Ich muss mich nicht mehr länger um sie kümmern, also ist mir egal, was mit ihr passiert. Reicht dir das?"

"Sie trägt deine Jacke", entgegnete Ruby trocken. 

"Noch ein Wort, und ich brich dir das Genick, Partnerin." 

Jael schmunzelte einen kurzen Moment lang, dann rief er sein Pokerface zurück, als er das Mädchen stehen ließ und zu mir zurückkam. 

"Komm, wir bringen euch beide auf die Krankenstation..."

Er half mir Azriel zu stützen und ging neben mir den Gang entlang. Ruby ging kommentarlos voraus, bis vor eine dunkle Aufzugtür. Wir stiegen ein, sahen Jael dabei zu, wie er einen von vielen Knöpfen herunterdrückte und lauschten, als dieser Metallsarg zu surren begann. Er führte uns auf einen weiteren Gang. Hier unten war ebenfalls nicht wirklich viel los, bis auf zwei junge Männer, die uns entgegenkamen. 

Sie waren beide komplett schwarz gekleidet und trugen Macheten in Ledergeschirren auf ihrem Rücken. Sie nickten Jael kurz zu, als sie an ihm vorbeigingen, musterten mich interessiert und vor allem Azriel, sie schienen ihn kaum wiederzuerkennen. 

Eine etwas breiter gebaute Dame in einem langen weißen Kittel kam aus einem Zimmer heraus auf uns zugestürmt. Blonde Locken fielen ihr über die Schultern, zusammengebunden zu einem dicken Zopf, kleine weiße Perlen schimmerten an ihrem Hals. 

"Ach du scheiße..."

Zuerst stürzte sie sich auf Azriel, nahm in von meiner Schulter und schleppte ihn in das nächstbeste Zimmer. Wenige Sekunden später kam sie zurück und zog mich hinter sich her. Sie murmelte irgendetwas von wegen:

"Wenn ich den erwische..."

Sie deutete auf eine mit Papier überzogene Liege und machte mir deutlich, dass ich mich setzen sollte. Sie griff nach einem kleinen Schälchen, gefüllt mit den unterschiedlichsten Utensilien. Als ich den Blick über einen Skalpell gleiten ließ, erschauderte ich. Wo war ich hier gelandet?

Als ich sah, das ihre Hand daran vorbei glitt, atmete ich hörbar aus. Die Dame griff stattdessen nach einem Wattebausch, getränkt mit Alkohol. Sie tupfte mir damit über die Schläfe und erst als sie fertig war, und sehen konnte, dass die Fasern rot verfärbt waren, begriff ich, dass ich blutete. 

Das Alkohol brannte sich durch mein Fleisch, doch ich zwang mich dazu, keine Miene zu verziehen. Als sie halbwegs fertig zu sein schien, begutachtete sie mich abschätzend, aber doch zufrieden. 

"Sag bloß er hat dich in diesen Mist mit reingezogen?"

"Sieht ganz danach aus..."

Ich versuchte mich an einem schwachen Lächeln, weil ich gerade bemerkte, wie mich eine wahnsinnige Müdigkeit einholte. Die Ärztin - oder was sie auch immer war - brachte mich auf ein Zimmer. 

"Ruh dich aus, okay? Cole wird dich sprechen wollen, aber das hat Zeit, versprochen. Ich lass ihn nicht rein, bis es dir besser geht. Strengste Bettruhe!"

Ich nickte nur noch und ließ mich auf die harte Matratze fallen. Das Bett war bei aller Liebe nicht bequem. Mein eigenes - auf der Erde - war um Welten bequemer gewesen. 

Um Universen. 

Mein Blick wanderte durch den Raum. Hier drinnen war es ungemütlich, wenn nicht sogar schon steril. Die Wände waren weiß und nackt. Nirgendwo hing ein Bild oder ähnliches. Alles was mir blieb war das kleine Krankenbett am der hinteren Wand und das kleine Badezimmer, das daran angrenzte. Und der Fernseher, der direkt darüber hing, ausgeschaltet, die Fernbedienung lag neben mir auf einem kleinen Tischchen. 

Ich ließ die Fernbedienung Fernbedienung sein und zog mir die knisternde Decke über den Kopf. Ich hatte keine Ahnung wo ich hier war. Wenn es stimmte in irgendeinem Hunterquartier der Hölle. 

Lieber wäre es mir gewesen, planlos zu bleiben. 

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