29 - Verschwunden

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Montag, 17.08.2020

Als ich das nächste Mal die Augen öffne, spüre ich Schmerzen in meinen Muskeln und das warme Sonnenlicht in meinem Gesicht. Desorientiert wälze ich mich von einer Seite auf die andere und wünsche mir, länger liegenbleiben zu können.

„Fünf Minuten noch", grunze ich und gähne herzhaft. Es verstreichen einige Momente, in denen ich auf das nächste Klingeln meines Handys warte. Je mehr Zeit vergeht, desto klarer beginne ich zu denken. Hat es überhaupt ein erstes Mal geklingelt?, frage ich mich irritiert. Ein müder Blick aus dem Fenster sagt mir, dass etwas nicht stimmt. Panisch setze ich mich im Bett auf und sehe geradewegs auf die Uhr über meiner Zimmertür. Sie zeigt mir an, dass es bereits kurz vor halb neun ist. Ich bin also schon eine halbe Stunde zu spät.

„Wie konnte das passieren?", rufe ich hektisch aus und springe auf. Meinen Kreislauf missachtend stolpere ich ins Badezimmer, um mich fertigzumachen.

Relativ schnell bändige ich meine kurze Haarmähne und schminke mich ab, weil ich es letzte Nacht nicht mehr geschafft habe. Obwohl ich blass und müde aussehe, nehme ich mir nicht die Zeit, mich erneut zu schminken. Nur die bequeme Kleidung tausche gegen mein typisches Büro-Outfit aus. Ein beige karierter Rock mit schwarzer Bluse und passendem Blazer. Nachdem ich mir auch die Zähne geputzt habe, schnappe ich mir meine Handtasche, die ich vor wenigen Stunden achtlos auf den Boden geworfen habe.

*

„Da bist du ja." Steven klingt erleichtert, als ich eine halbe Stunde später ins Büro stürze.

Verschwitzt bücke ich mich nach vorne und versuche meine Lunge zu beruhigen. „Ich habe verschlafen", bringe ich keuchend hervor. Als ich wieder zu ihm hochsehe, erhebt er sich von seinem Stuhl und stellt sich neben mich. Mit einer Hand streicht er vorsichtig meinen Rücken auf und ab, bis ich wieder bei Sinnen bin. „Tut mir furchtbar leid. Ist irgendwas vorgefallen? Waren schon Klienten da?"

Steven strahlt voller Stolz. „Einer. Und ich habe es geschafft, seinen Namen im Terminkalender zu finden."

Ich lache amüsiert auf. „Gut gemacht." Mit einem Blick auf meinen Schreibtisch stelle ich fest, dass mein Zuspätkommen Patrick nicht entgangen ist. Es liegt ein hoher Stapel an Dokumenten auf meinem Platz, was bedeutet, dass ich die versäumte Zeit hinten dranhängen muss. „Das kann er nicht ernst meinen", seufze ich schon jetzt geplättet von all der Arbeit, die auf mich wartet.

Steven, der meine bedrückte Stimmung merkt, haut meinem bekümmerten-Ich noch eine rein. „Er will dich sprechen."

„Wie ist er heute drauf?", frage ich nervös, um mich mental auf das Gespräch vorzubereiten. Aber letztendlich ist es egal, wie seine Stimmung ist. Sie kann von einer Sekunde auf die andere umspringen.

„Lass dich überraschen", witzelt mein Praktikant und ich verdrehe schmunzelnd die Augen.

Schnell stelle ich meine Tasche auf meinem Stuhl ab und binde mir den Zopf neu, um passabler auszusehen. „Wünsch' mir Glück", flüstere ich bevor ich mich in die Höhle des Löwen begebe.

Als ich sein Büro betrete, heftet er gerade etwas in einem Aktenordner ab. Sobald er mich hereinkommen hört, hebt er den Kopf. Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen und die Verwirrung zeichnet sich in seinem Gesicht ab. Die Falten, die daraufhin auf seiner Stirn entstehen, lassen ihn älter aussehen als üblich. Vielleicht liegt es aber auch an seinen müden Augen und den tiefen Augenringen, die sein blasses Gesicht zieren. Als ich angefangen habe hier zu arbeiten, hat er stets damit geprahlt, wie wichtig ihm sein äußeres Erscheinungsbild ist. Er will sein junges Aussehen so lange wie möglich wahren, weswegen er seine Ernährung und seinen Fitnessplan umgestellt hat. Mittlerweile ist er Ende zwanzig und sieht normalerweise aus wie Mitte zwanzig.

Blue Rose - Band 1Where stories live. Discover now