SECHS

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Hektisch strich ich mir die losen Strähnen aus dem Gesicht, als er die Tür spät am Abend öffnete.

"Was ist passiert?"

Er sah auf meine geröteten Wangen. Seine Stimme beruhigte meine Panik.

"Mein Vater, er"

Fest schluckte ich, da öffnete er schon wieder die Tür.

"Ich muss ins Krankenhaus"

Das Einzige, was er tat, war kurz zu Nicken und dann wieder raus zu seinem eigenen Auto zu laufen. "Steig ein", hörte ich ihn von außen rufen.

Er musste nicht mitgehen, doch tat es jedes Mal aufs Neue. Mein Körper zitterte den ganzen Weg über. Wir sprachen nicht. Das war gut. Das war sehr gut.

"Wo ist er?" Mein Mutter strich sich die Träne von der Wange, bevor sie mich darüber informierte, dass sie ihn bereits operierten.

Gerade als ich drohte umzukippen, spürte ich seine Hand an meinem Rücken, mit der er mich zu den Stühlen im Flur schob.

"Atme"

Ich konnte nicht. Mein Vater konnte jeden Augenblick sterben. Das war die Realität.

"Hör mir zu, atme"

Die Bass seiner Stimme vibrierte in meinen Ohren und ich atmete.

"Ich dachte, ihm geht es besser"

Er setzte sich neben mich.

Stunden vergingen. Nicht eine Sekunde verließ er mich. Ich mochte es, dass er so war. Nicht einmal, um sich etwas zu Trinken zu holen. Dauerhaff spürte ich seine Präsenz neben mir. Irgendwann öffnete ich meine müden Augen und realisierte, dass ich meinen Kopf gegen seine Schulter gelehnt hatte, während auch er seinen Kopf auf meinen abstützte. In seiner Hand lag sein Telefon, welches aufblitzte. Die Vibration schien ihn nicht aufzuwecken.

Sie rief ihn an, schon wieder. Die Anrufe davor ließ er unbeantwortet. Für einen ganz kleinen Atemzug spürte ich so etwas wie Freude. Bedeutungslos.

Eine Bewegung meinerseits führte zum Moment, indem wir einander anstarrten und nicht bemerkten, wie es uns an Wissen bezüglich der vergangen Situation fehlte. Wir gewannen zügig den nötigen und dennoch quälenden Abstand zueinander. Die Realität der Berührung wurde achtlos tief in unserem Gewissen vergraben.

"Wie geht es ihm?" Ein Lächeln, wie ich es lange nicht mehr an ihr sah, strahlte im Gesicht meiner Mutter, als ich begann zu sprechen. "Besser. Er fragt nach euch Beiden"

Die Augen meines Vaters strahlten eine Gelassenheit aus, die stark vollkommener Zufriedenheit ähnelte. Das lag daran, dass er uns nebeneinander sah. "Was hast du nur angestellt?"

Ich zwang mich zu einem Lächeln, als ich seine Stirn küsste, da sein Hals bis zu seinem Mund verkabelt war. Er sagte mir, dass ich mir keine Sorgen machen solle. So lange ich glücklich war, würde es ihm niemals schlecht gehen können.

"Du passt gut auf sie auf, nicht wahr, mein Junge?", wandte sich mein Vater an ihn. Die Augen, dessen Geheimnisse mir doch klar und gleichzeitig so undefinierbar mysteriös vorkamen, schenkten mir all die Aufmerksamkeit, die ich nicht zur Gewohnheit zählte.

SO WAR ERWhere stories live. Discover now