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Der eiskalte Regen klatschte mir ins Gesicht und durchweichte meine Kleidung. Sie lag unangenehm eng an meinem Körper an. Allen voran die Hose wärmte inzwischen nicht mehr. Wie ein nasses Tuch klebte sie an meinen Beinen. Der Schlamm spritzte bei jedem Laufschritt hoch. Meine Schuhe waren definitv reif für die Waschmaschiene. Schlimmer konnten sie nicht mehr aussehen. Wenn sie den Waschgang nicht überleben würden müsste ich sie wohl entsorgen. Ohne Kontrolle darüber zu haben fing meine Nase in der Kälte unkontrolliert an zu laufen. Ich versuchte es nicht weiter zu beachten. Das Brennen in jeder Muskelfaser, das mir das Gefühl gab, dass meine Lungenflügel gleich kollabieren und ich mit dem Gesicht voran in den Matsch fallen würde, nahm meine Gedanken ein. Abgesehen davon war nur Platz für die irrsinnige Tatsache, dass ich davon überzeugt war Werwölfe würden existieren. Das war verrückt! Vielleicht war ich verrückt. Konnte ich tatsächlich den Verstand verloren haben? Gedanklich ging ich die Momente im Wald immer wieder in einer Endlosschleife durch. Blasse, bedrohliche Frau, Lichtstrahl, glitzernde Haut, Angst, anpreschende Wölfe, Flucht. Auch bei all meiner Fantasie konnte ich mir das nicht ausgedacht haben. Vielleicht war es ein Zufall gewesen, dass diese Wölfe aufgetaucht waren. Sie waren zu schnell gewesen, als das ich sie hätte erkennnen können. War der Wolf, dem ich bereits begegnet war bei ihnen gewesen. Wieso beschäftigte er mich dermaßen? Würde ich nicht die beißende Kälte spüren hätte ich es vielleicht in Erwägung ziehen können zu träumen.

Den Eindruck zu haben sich nicht selbst trauen zu können war fürchterlich. Es schnürte mir die Luft zum atmen ab, die zurzeit durch die enorme körperliche Anstrengung sowieso bereits knapp war. Mein Körper machte diese Belastung nicht mehr lange mit. Schon im Sportunterricht versagte ich kläglich. Meine Unsportlichkeit hatte meiner Popularität an meiner alten Schule zum Glück kaum einen Abtrag gemacht. An der Highschool in Forks war es ein wenig anders. Ich fühlte mich... normaler. Hier war der Druck von mir genommen worden immer perfekt sein zu wollen. Niemand in Forks war perfekt. Wir waren gewöhnliche Menschen. Wenn dauerhafter Regen der Normalzustand war spielten modische Klamotten und eine markelose Frisur eine untergeordnete Rolle. Alles hier wirkte ungezwungener. Ein weiter Unterschied war es, dass ich mir in dieser Stadt umgeben von Wäldern die bis nach Kanada gingen vorstellen konnte, dass Fabelwesen wie Werwölfe und Vampire tatsächlich existieren könnten. Unter der Sonne Arizonas wäre mir die alleinige Vorstellung wie ein Absurdum vorgekommen. Doch nun rannte ich wie eine Irre durch ein Reservat, um Personen, die ich teilweise seit Jahren kannte, damit zu konfrontieren, dass ich sie für Gestaltwandler hielt.

Ich schlug mir meinen Weg durch den kleinen, verschlammten Trampelpfad, der hinters Haus führte. Inzwischen fühlten sich meine Beine taub an. Die Äste, die gegen meinen Körper schlugen nahm ich nur am Rande wahr. Während ich meine Beine, Hände, Füße, sowie mein Gesicht nicht mehr spürte schwitzte mein Oberkörper aufgrund der dicke Jacke aus allen Poren. Es war ein reines Vergnügen. Mir war schwindelig. Die Welt wankte zusehens. Waren das die Nachwirkungen des Sauerstoffmangels? Zwar hatte ich noch nie extesiv genug Sport getrieben, um es selbst zu erleben, doch es war logisch. Es glich bereits einem Wunder, dass ich bisher nicht zusammengebrochen war. War dieses elektrisierende Gefühl, das durch meine Adern schoss Adrenalin? Achterbahn zu fahren war nichts im Vergleich zu diesem Schub, der mich nun antrieb. Ich schaffe es durchgehend zu laufen, obwohl mich mein Verstand anflehte endlich stehen zu bleiben. Am liebsten hätte ich mich einfach in den Matsch gelegt, alle Viere von mir gestreckt und geschlafen. Das es das war was ich am liebsten tun würde beschrieb meinen emotionalen, sowie auch meinen körperlichen Zustand exzellent.

Atemlos stieß ich die unverschlossene Terrassentür auf. War bei Sam immer ein Tag der offenen Tür, oder wieso schloss er nie ab? Es kam mir zu gute, doch ich war immer wieder überrascht von dem Vertrauen ineinander, das die Menschen im Reservat zu haben schienen. Nur hier konnte man unbesorgt sämtliche Türen offenstehen lassen, ohne zu befürchen ausgeraubt zu werden. Meine Hände stützte ich auf meine Oberschenkel, während ich mich schnaufend vorbeugte. Meine Beine zitterten. Ohne sie anzusehen wusste ich, dass ich aufgrund meines stürmischen Auftritts angestarrt wurde. Als ich aufblickte breitete sich eine beklemmende Enge in meiner Brust aus, die nichts mit der Anstrengung zutun hatte. Mehrere Paare dunkelbrauner Augen fixierten mich. Eines davon stach hervor. Anstatt in einem rostbraunen Gesicht lagen sie in einem über das alabastafarbende Haut gespannt war. Vertraute Züge, die eine gewissen Ähnlichkeit zu meinen aufwiesen. Natürlich war sie hier. Sie wusste es! Sie hatte es die ganze Zeit über gewusst und mich in vollem Bewusstsein ausgeschlossen. Sie hier zu sehen war der Beweis.
Ein ganzes Stück neben ihr, da sie recht weit abseits saß, hatten sich Jared und Paul auf zwei Stühle gekauert. Emily hatte gegenüber von ihnen Platz genommen, Quil war neben ihr. Er war der Einzige, der mich nicht voller Erstaunen, oder Besorgnis musterte. Stattdessen sah er mich in freudiger Erwartung an, wie ein kleiner, aufgeregter Hundwelpe. War er seit unserem letzten Treffen noch weiter gewachsen? Seine kindlichen Züge waren verschwunden, dabei war er noch so jung.

Twilight - Bis(s) zur DichotomieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt