23.

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Ich starrte Marco gefühlte zwanzig Minuten an. Viel zu lange. Das schlimme war, dass ich einfach nicht wusste, was ich sagen sollte. Marco hielt meinem Blick stand. Er starrte zurück. Direkt in meine Augen. Ich schluckte. Mir fehlten die Worte. Irgendwann hatte ich zu lange gewartet. Er schüttelte enttäuscht seinen Kopf und riss daraufhin schwungvoll seine Haustür auf und deutete mit seinem Kopf nach draußen. Ich seufzte, als er dir Tür hinter mir zu knallte und ich mich in mein Auto setzte. Es dauerte etwas, bis ich mich aufraffte die Autotür zu schließen und die Zündung betätigte. Natürlich ärgerte ich mich auf dem Weg nach Hause. Natürlich hatte er recht und ich war nicht müde. Der Tag war katastrophal. Der Shop lief nicht, meine Mutter war verschwunden und der Streit mit Marco hatte alles abgerundet. Wahrscheinlich war ich so ätzend zu ihm, weil ich genervt war. Dafür konnte er gar nichts. Immer wieder hallten seine Worte in meinem Kopf nach. Ich wusste nicht, ob es eine Liebeserklärung oder eine Hassreden war. Vielleicht war es beides.
Hatte er recht und ich war die einzige die es mir übel nahm, dass ich damals so mit Marco und meinem Ex-Freund umgegangen bin? Eigentlich hatte ich mir geschworen, dass ich es hinter mir lies und niemals mehr in solch einer Misere stecken wollte. Ich hatte mit Marco abgeschlossen und wollte ihn aus meinem Kopf schlagen. Dieser Vorsatz hatte ja super geklappt. Genau diese Gedanken brachten mich um meinen Schlaf.
Zwei Tage später zwang Jenny mich dazu, zum Heimspiel des BVBs zu gehen. „Es ist sein erstes Heimspiel. Da kommst du gefälligst mit. Egal was er zu dir und du zu ihm gesagt hast!" zickte sie bereits einen Tag vorher im Shop herum. Wenigstens hatte sie recht und das Geschäft boomte wegen Marcos Rückkehr. Eine Sorge weniger, dachte ich mir. Zuhause fragte ich mich, ob Jennys Idee wohl die richtige war. Marco sollte sich ganz auf sein Comeback in der Bundesliga fokussieren. Ich wollte ihn nicht ablenken oder gar im Weg stehen. Doch dann raffte ich mich auf. Das Stadion ist riesig. Er würde mich nicht sehen. So könnte ich ihn passiv unterstützen und ihm gute Vibes zukommen lassen. Ich raffte mich also vom Sofa auf, schlüpfte in eine Jeans und zog sogar genau das Trikot an, dass er mir vor zwei Jahren nach einem gewonnenem Spiel geschenkt hatte. Darüber meine dicke Winterjacke. Das musste reichen, schließlich war ich keine Fußballmaus. Am Stadion wartete ich auf Jenny an unserem Treffpunkt. Mir fiel auf, dass ich genauso ein Trikot von meinem Bruder hätte anziehen können. Wie sah das denn schon wieder aus, dass ich Marcos trug? Genervt schüttelte ich mich. Ich dachte immer viel zu sehr darüber nach, was andere von mir denken. „Führst du mal wieder einen mentalen Konflikt?" fragte mich Jenny, die aus dem Nichts kam, plötzlich. „Immer" schmunzelte ich. Sie kannte mich eben zu gut. „Hast du Lust dich kurz mit mir in die Katakomben zu schleichen? Ich muss Marcel unbedingt etwas sagen." fragte sie leise, mit einem verschmitzten Grinsen auf den Lippen. Ich biss mir direkt auf die Unterlippe: „Das ist ein Scherz oder? Das ist doch nicht erlaubt." lachte ich bis ich merkte, dass sie es ernst meinte. „Ach, dass habe ich schon so oft gemacht. Man darf sich nur nicht erwischen lassen." winkte sie ab. Ich zuckte mit den Schultern: „Wenn's sein muss." Am liebsten hätte ich gefragt, was es denn so wichtiges gab, aber ich ließ es bleiben und folgte ihr stattdessen. Durch eine niedrig gelegene Tür kamen wir in einen kalten Vorraum, der zu einem Flur führte. Ich konnte mich ein wenig an diesen Flur erinnern. Damals, als Lennard sich das Kreuzband riss, hatte ich Marco auch überredet mich hier her zu bringen, damit ich ihn sehen konnte. Hinter einer Kurve stand Marcel und grinste seine Frau an. Die zwei waren echt ein Unikat. Mit ein wenig Abstand zu ihnen beobachtete ich das Geschehen um mich herum. Alles war wuselig und gestresst, hier fiel man kaum auf. Irgendwann hörte ich das Klacken von Fußballschuhen auf dem Boden und schreckte auf. Ein Paar Spieler gingen an uns vorbei und hatten den totalen Tunnelblick drauf. Plötzlich bemerkte ich, dass der letzte unter ihnen Marco war und hielt ihn an seinem Arm fest, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben. Verwirrt schaute er mich an: „Was machst du hier?" fragte er ein wenig erschrocken und musterte mich. Ich schluckte und warf gleichzeitig einen Blick herüber zu Jenny und Marcel: „Ich, äh - ist nicht so wichtig." Marco nickte kurz und wollte schon wieder weiter, da bekam ich meinen Mund doch nochmal auf: „Marco, viel Glück." wisperte ich leise und versuchte eine Art Blickkontakt herzustellen, die er verweigerte. „Jaja, danke." murmelte er, riss sich von meinen Griff los und spurtete seinen Kollegen hinterher. Ich seufzte ein wenig enttäuscht und schaute ihm traurig hinterher. Wie kann etwas so schön und schmerzhaft zugleich sein? „Ich will nichts wissen, was du schon wieder angestellt hast." sagte Jenny bloß neben mir. Ich erschrak ein wenig. Schnelle war auch weg. „Gehen wir hoch?" fragte sie nüchtern. Ich nickte wortlos und folgte ihr.
Es war tatsächlich schön, mal wieder ein Spiel zusehen. Ich hatte lange keins mehr im Stadion verfolgt. Ich erwischte mich selbst dabei, wie ich lächeln musste wenn Marco den Ball vor die Füße bekam oder wenn er und Lennard wieder perfekt zusammen arbeiteten. Das Spiel endete trotzdem in einem Unentschieden. Trotzdem wirkte Marco erleichtert und das war doch die Hauptsache.
Immer noch fragte ich mich, was seine Worte nun bedeuteten. Ein glatter Schnitt oder die Erwartung, dass ich mich endlich bemühte? Seinem Verhalten nach zu urteilen hatte er mich und mein Hin und Her satt. Ich konnte es ihm nicht verübeln. Er distanzierte sich von mir.
„Nimmst du mich mit?" hörte ich plötzlich Lennard hinter mir rufen. Ich drehte mich zu ihm um und nickte. „Marco hatte mich und Schmelle heute Nachmittag mitgenommen und er fährt jetzt bei Jenny mit. Du wohnst näher an mir dran, als Marco, deshalb" wollte er sich rechtfertigen, doch da schlang ich schon meine Arme um meinen großen kleinen Bruder und vergrub mein Gesicht in seiner Brust, um endlich diesen fetten Kloß in meinem Hals heraus heulen zu können. „Yve was ist denn nur los mit dir in letzter Zeit?" fragte er leise. Ich löste mich wieder von ihm und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht: „Ich weiß es nicht." murmelte ich schniefend. Genau in diesem Moment lief Marco an uns vorbei. Sein Auto stand genau da, wo Lennard und ich standen. Musste das sein? Im Augenwinkel bemerkte ich wie Marco einen besorgten Blick herüber zu uns warf, bevor er Kopfschüttelnd in seinen Wagen stieg.
Ich griff kurz vorher nach Lennards Hand: „Komm, wir fahren."

Schmetterlingseffekt IIWhere stories live. Discover now