59.

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Nach einer kurzen Nacht schlich ich mich total gerädert aus dem Schlafzimmer. Im Bad machte ich Michel Windeseile fertig, zog mir ein besonders schönes weißes Sommerkleid an, band mir die Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammen und schminkte mich sogar seit langem Mal wieder etwas. Ein Glück hatte ich das Nötigste an Schminke immer in meiner Handtasche und Marco hatte die Kleidung gestern in die kleine Sporttasche geschmissen, die auf dem obersten Stapel in meinem Kleiderschrank lagen. Männer eben.
Ich versuchte meine Kopfschmerzen und das generelle Unwohlsein in mir direkt zu unterdrücken indem ich mir die kleine weiße Tablette zwischen die Kiemen warf, bevor ich damit begann ihm ein traumhaftes Frühstück zu zaubern. Es musste ja nicht immer ein überteuertes, materielles Geschenk sein, um jemanden eine Freude zu machen.
Als ich oben wieder ankam, hebelte ich umständlich mit meinem Ellenbogen die Tür auf und stellte das Tablett vorsichtig am Fußende des Bettes ab: „Happy Birthday!" grinste ich ihn zufrieden an, als er mir einen verwirrten Blick zu warf. Er schaute auf den Wecker, als würde er das Datum checken wollen. Ich krabbelte zu ihm ins Bett und drückte ihm einen liebevollen Kuss auf seine rauen Lippen. Er rieb sich müde die Augen: „Ich habe ganz vergessen, dass ich Geburtstag habe." räusperte er sich lächelnd.
Ich griff nach dem Tablett und platzierte es auf seinem Schoß, bevor ich ihm einen Kaffee in die Hand drückte: „Hier, das hast du mehr als verdient dafür, dass du die halbe Nacht wegen mir wach warst." murmelte ich entschuldigend und wurde sogar total rot im Gesicht.
Ich hatte mir die Nacht vor seinem Geburtstag auch anders vorgestellt. „I-Ich habe übrigens kein Geschenk für dich." warf ich enttäuscht hinterher und fuhr mir nervös durchs Haar. Marco, der mit strahlenden Augen das Tablett betrachtete, griff zu aller erst nach dem Obstsalat und schaufelte ihn in sich hinein. „Bist du bescheuert?" fragte er überrascht: „Ich will keine Geschenke." schmatzte er daraufhin: „Hab doch alles was ich brauche." und zwinkerte mir zu. Direkt musste ich an den Haustürschlüssel samt Anhänger denken, der bei mir in der Handtasche schlummerte. „Wie geht es dir?" fragte er besorgt. Ich schüttelte lächelnd den Kopf: „Mir geht es gut. Heute geht es mal nicht um das Thema, bitte." Marco nickte: „Ich meinte abgesehen davon. Du weißt schon, meine Eltern und meine Schwestern kommen in ein paar Stunden." erinnerte er mich mit einem wohlwollenden Grinsen auf den Lippen. In meinem Hals bildete sich direkt ein riesiger Kloß. Das hatte ich ja ganz vergessen. Schnell sendete ich noch innerlich ein Stoßgebet in den Himmel und hoffte, dass Marcos Mutter sich nicht mehr an den peinlichen Vorfall vor sieben Monaten erinnerte, geschweige denn an die Bilder auf diesem Boot. Meine Hände begangen zu schwitzen. Als ich sie nervös an meinem Kleid abstreichen wollte, hielt Marco mich davon ab: „Nicht, dass sieht man doch auf dem weißen Stoff." schmunzelte er. „Iss den auf. Das tut gut." schmatzte er wieder und hielt mir den Rest seines Obstsalats unter die Nase. Mit zittrigen Händen nahm ich die Schüssel entgegen und fische mir die erste Erdbeere hinaus, um sie zu meinem Mund zu befördern. Siehe da, sie plumpste sofort auf mein weißes Kleid. Schnell gabelte ich sie auf und natürlich war ein roter Fleck auf dem leinenartigen Stoff zu sehen. Wehleidig schaute ich Marco an: „Nicht das auch noch!" piepste ich und sprang wie von der Tarantel gestochen auf um ins Bad zu verschwinden. Dort versuchte ich unsanft die rote Suppe aus dem Stoff zu entfernen. Marco kam nach wenigen Sekunden hinterher: „So wird das nichts." schmunzelte er amüsiert. „Es war so klar, dass das genau jetzt passieren muss." beschwerte ich mich sauer. Marco schüttelte seinen Kopf: „Das kriegen wir hin. Guck mal, den hat meine Mutter mir mal geschenkt. Damit kriegt man fast alles heraus. Zu mindest nach der Wäsche." er war beinahe in seinem Badezimmerschrank verschwunden, bevor er mir das Teil unter die Nase hielt. „Nach der Wäsche?" ich schaute ihn schockiert an während ich eine Art Schwamm aus seiner Hand fischte und damit weiter unsanft über mein Kleid rieb. „Sieht man doch kaum noch." schmunzelte Marco und drückte mir einen Kuss auf die Schläfe. Seufzend ließ ich es bleiben und trottete ihm hinterher. Zauberschwamm hin oder her, der Fleck war trotzdem da.
Wenige Stunden später hatte Marco gerade den Grill angezündet, nachdem wir seinen Garten dekoriert hatten, als es plötzlich an seiner Haustür klingelte. „Geh du!" rief er mir, total auf den Grill fixiert, herüber. Meine Augen wurden riesig vor Schock: „Nein, du!" rief ich zurück und machte keine Anstalten von meinem Gartenstuhl aufzustehen. Was sollten seine Eltern oder Schwestern denn denken, wenn ich ihnen die Tür öffnete? Marco warf mir einen irritierten Blick zu: „Yve, wirklich du siehst doch, dass ic-", „Du gehst an die Tür! Es ist dein Geburtstag!" unterbrach ich ihn ernst. Er verdrehte die Augen. Ich quälte mich doch aus dem Stuhl und nahm ihm die Grillzange ab: „Ich kümmere mich hier drum." zwinkerte ich ihm zu und drückte ihm einen entschuldigenden Kuss auf die Wange. Marco, der sich vor ungefähr sieben Minuten erst in eine dunkle, zerrissene Jeans und ein weißes Shirt geschmissen hatte, stiefelte wiedereinfing los zur Tür. Die Vorfreude in ihm auf seine Familie schien ja riesig zu sein, dachte ich mir als ich das Fleisch auf dem Grill platzierte. Kurz darauf hörte ich laute, freudige Geburtstagsgrüße aus dem Haus herüber schallen. Mir wurde ganz flau im Magen. Jetzt wurde es ernst.
„Oh wow!" grinste Marcos Vater überrascht, als er mich am Grill entdecke. „So lobe ich mir das, wenn es sich die Frau nicht nehmen lässt, am Grill zu stehen." zwinkerte er mir zu: „Ich bin Marcos Vater Thomas. Du musst die neue Frau an seiner Seite sein?" grinste er lieb und zog mich direkt in eine unkomplizierte Umarmung. Ich lächelte ihn an und schaute mich um: „Solange wir hier keine andere Frau entdecken. Ich bin Yve." scherzte ich und biss mir daraufhin direkt auf meine Zunge. Ich war ja so witzig. Nicht. Marcos Vater aber begann zu lachen. „Wir kennen uns ja schon. Schön dich zu sehen Yve." begrüßte mich seine Mutter Manuela liebevoll und umarmte mich genau so. Marco hatte mir währenddessen die Grillzange abgenommen und ging seiner neu dazu gewonnenen Passion wieder nach. War der nervös, oder was? Nachdem wir uns lösten, schaute seine Mutter strahlend an mir herunter. „Oh Liebes, das ist aber ein total ärgerlicher roter Fleck!" bemerkte sie direkt das kleine Malheur von heute Morgen. Wow, da hatte sie ja einen tollen zweiten-ersten Eindruck von mir. Sie stupste Marco an seiner Schulter an, um ihn aus seiner Trance zu befreien: „Sohnemann, hast du ihr nicht mein Wundermittel gezeigt? Du bist doch echt ein vergesslicher Vogel." Marco schaute seine Mutter empört an: „Natürlich habe ich ihr das Teil gezeigt, aber so toll ist dieser überteuerte Schwamm dann auch wieder nicht. Wir werden das Kleid waschen und gut ist." brummte er, konnte sich aber ein Lachen nicht verkneifen. „Jetzt lass den Jungen doch in Ruhe Manuela! Er hat Geburstag." Marcos Vater klopfte seinem Sohn auf die Schulter und zwinkerte ihm zu. „Bier?" fragte Marco mit einem entspannteren Grinsen auf den Lippen. Sein Vater nickte ihm noch tiefen entspannter zu. Sofort setzte sich mein Blondschopf in Bewegung in Richtung, aber nicht ohne mir vorher einen beruhigenden Blick zu zu werfen und mir einen Kuss auf die Schläfe zu drücken. Ich spürte, wie sich meine Nervosität so langsam wieder ausschlich. Jetzt musste ich aber schalten: „Ich weiß nicht, ob du Wein magst, aber Marco und ich haben letztens einen richtig leckeren gekauft, komm Probier ein Glas." grinste ich schief. Sie kam mir hinterher in die Küche. „Sehr gerne." strahlte sie beruhigt: „Aber du zeigst mir jetzt erst einmal schnell, wo Marco diesen angeblich überteuerten Schwamm hingepfeffert hat, damit ich dir helfen kann den Fleck los zu werden, damit dein schönes Kleid nicht für immer ruiniert ist." warf sie zwinkernd hinterher. Es hinterließ ein schönes, warmes Gefühl in meiner Herzgegend.
Wo war eigentlich die vorwurfsvolle, herablassende und unentspannte Schwiegermutter in Marcos Mutter die ich mir vorgestellt hatte oder hatte ich diese Sorgen nur, weil ich schon lange nicht mehr wusste, wie fürsorglichen stinknormale, tolle Mütter agierten?
Seine Eltern waren ja der absolute Hammer.

Schmetterlingseffekt IIWhere stories live. Discover now