12 - Die Herde

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Mit vor Entsetzen geweiteten Augen starrte Lenoa auf den toten Körper ihres Inyanzas. Es dauerte wohl einige Minuten, bis sie nähertrat und mit tauben Fingern begann die Satteltaschen zu lösen. Malion half ihr dabei und legte einen Arm um ihre Schultern. Cyvas und Arsiena konzentrierten sich darauf, die Blutung der Wunde von Cyvas' Inyanza zu stoppen.

,,Du bist auch verletzt", sagte Malion und deutete auf den Kratzer auf Lenoas Oberarm, wo der Armbrustbolzen sie gestreift hatte.

,,Das ist nichts", murmelte sie und verdeckte die kleine Verletzung mit ihrem Ärmel.

,,Das ist schon etwas. Komm, lass es mich wenigstens auswaschen", entgegnete Malion und ließ seiner Schwester keine Zeit für eine Antwort, sondern nahm seinen Wasserschlauch und ließ das kühle Wasser ihren Arm hinunterlaufen.

Nach einer Weile kam auch Arsiena zu ihnen. ,,Das erschwert unsere Reise jetzt ziemlich. Wir haben nur zwei lastenfähige Tiere. Cyvas hat sich den Knöchel verstaucht, weil ihr Inyanza auf die Seite gefallen ist, sie wird auf Yaranliq reiten. Malion, wir laden das schwerste Gepäck auf Merandil und was er nicht tragen kann, nehmen wir selbst mit."

Die Sachlichkeit in Arsienas Stimme half Lenoa, sich von dem Gedanken abzulenken, dass mit Artholan auch ein Stück Heimat gestorben war. Jetzt blieb ihr allein Malion, der sie davor bewahrte, in dieser fremden Gegend ganz allein zu sein.

,,Wir müssen den Waldrand erreichen, bevor es dunkel wird. Kommt", ertönte die kühlere Stimme Cyvas' von hinten. Sie saß schon wieder im Sattel von Arsienas Inyanza, den Blick in Richtung Westen, zum Saum des riesigen Waldes Hendiryn, gerichtet.

Lenoa warf einen Blick auf den blutverschmierten Leichnam ihres eigenen Reittieres. ,,Wir können ihn nicht einfach so liegen lassen", protestierte sie. ,,Wer weiß, was ihn hier alles frisst."

,,Was willst du denn machen, ihn mitnehmen?", fragte Cyvas verächtlich, was ihr einen wütenden Blick von Lenoa einbrachte, den die Inaari aber einfach ignorierte.

Lenoa mochte Cyvas nicht. In ihren Augen behandelte die Älteste der Gruppe sie immer wie ein Kind, das nicht selbst für sich sorgen konnte, und auf das man immer aufpassen musste.

,,Ich verstehe dich, Lenoa, aber wir haben keine Zeit ein Grab auszuheben. In der Nacht wollen wir nicht hier, auf freier Fläche sein. Tut mir leid", mischte Arsiena sich ein und Lenoa nickte seufzend. Recht hatte sie ja leider trotzdem.

Die vier Inaari sammelten die meisten ihrer verschossenen Pfeile wieder ein und reinigten sie vom schwarzen Blut, dann packten sie um und machten sich wieder auf den Weg.

Sie kamen jetzt um einiges langsamer voran. Cyvas saß auf Yaranliq und hielt die Zügel ihres eigenen Inyanza in der Hand. Lenoa und Malion gingen nebeneinanderher, letzterer führte Merandil neben ihnen her. Arsiena ging voraus, den Bogen immer schussbereit in der Hand.

Als es dämmerte, waren sie noch immer ein gutes Stück vom Waldrand entfernt, doch Cyvas drängte immer weiter.

,,Die hat gut reden, sie muss ja nicht laufen", murmelte Malion, ohne, dass es jemand außer Lenoa hören konnte. Ihre Füße schmerzten von dem langen Marsch, und sie wusste, dass es Malion genauso ging.

Die Dunkelheit war nicht das Problem, die Inaari'i konnten ihren Weg auch in tiefster Nacht noch gut erkennen. Im Gegensatz dazu, konnten die Kwir aber in der Finsternis viel besser sehen als im Tageslicht und waren in den nächtlichen Schatten beinahe unsichtbar, was sie so zu noch gefährlicheren Gegnern machte.

Die drei Monde Arlemias waren inzwischen aufgegangen, als sie unter den ersten Bäumen anhielten und das Lager aufschlugen. Ihre Mahlzeit war kalt und nur karg, denn sie hatten beschlossen das Essen zu rationieren, falls sie nun zu Fuß mehrere Tage länger brauchten, als geplant gewesen war.

Ma'kani - Auserwählte der Inaari'iDonde viven las historias. Descúbrelo ahora